Sechs Jahre und drei Monate. So lautete am Dienstag das (noch nicht rechtskräftige) Urteil im Prozess um den ausgesetzten Säugling von Unterglauheim (lesen Sie hier mehr dazu). Angeklagt war die 32-jährige Mutter, sie musste sich vor dem Schwurgericht des Augsburger Landgerichts wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Nun empört sich die Dillinger Lebenshilfe, die die Frau betreute, über die Ausdrucksweise der Vorsitzenden Richterin.
Ausgesetzter Säugling von Unterglauheim: Dillinger Lebenshilfe kritisiert Richterin
Das Besondere an dem Prozess: Die Frau ist geistig behindert. Eine zentrale Frage für die Urteilsfindung war, inwieweit sie für ihre Tat verantwortlich gemacht werden kann. Zwar ist die 32-Jährige emotional zurückgeblieben und offenbar auf dem geistigen Stand eines Kindes. Dennoch äußerten sich die Beteiligten vor Gericht kritisch über das Verhalten der Angeklagten. Ein psychiatrischer Gutachter sagte, die Frau „instrumentalisiert“ ihre Behinderung. Und auch die Vorsitzende Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser wandte sich in ihrer Urteilsbegründung mit scharfen Worten in Richtung der Mutter: „Wir glauben nicht, dass Sie so doof sind, wie Sie sich darstellen.“
Diese Äußerung empört die Dillinger Lebenshilfe, die die Frau ambulant betreut hat. Geschäftsführer Dominik Kratzer sagt: „Ich halte diese Wortwahl – auch als ehemaliger Schöffe am Landgericht Memmingen – bei allem Verständnis für die Emotionalität auch einer Juristin, nicht nur für unglücklich, sondern für vollkommen deplatziert, einer Richterin nicht angemessen und einen Schlag ins Gesicht von Menschen mit Intelligenzminderung ganz allgemein.“
Die Etikettierung eines Menschen mit geistiger Behinderung als „doof“ habe nicht nur bei ihm als Geschäftsführer, sondern in der ganzen Lebenshilfe Dillingen großes Unverständnis ausgelöst. „Wohlgemerkt: Unabhängig von der Schwere und Abscheulichkeit der Tat, für die das Gericht ein angemessenes Strafmaß gefunden hat“, sagt Kratzer, der jedoch betont: „Hier hätte sich in der Urteilsbegründung eine andere Wortwahl nicht nur finden können, sondern finden müssen.“
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