Startseite
Icon Pfeil nach unten
Dillingen
Icon Pfeil nach unten

Dillingen: Dillinger Psychologin meint: „Die sozialen Probleme verdichten sich“

Dillingen

Dillinger Psychologin meint: „Die sozialen Probleme verdichten sich“

    • |
    Nicht nur Homeschooling belastet die Familien derzeit. In Dillingen finden sie bei der KJF Hilfe.
    Nicht nur Homeschooling belastet die Familien derzeit. In Dillingen finden sie bei der KJF Hilfe. Foto: picture alliance / dpa (Symbol)

    Das ganze Spektrum seelischer und sozialer Probleme habe sich im vergangenen Jahr, im Corona-Jahr, dargestellt wie unter einem Vergrößerungsglas, sagt Antje Werner. „Die Probleme im Alltag der Familien verdichten sich.“

    Werner und ihr Team von der Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung der Katholischen Jugendfürsorge in Dillingen wissen das – denn ihre Hilfe wurde auch 2020 rege in Anspruch genommen. „Gefühlt haben wir mehr Klienten. Die Themen waren intensiver. Die Probleme werden größer. Vom Schreibaby bis zum pubertierenden Jugendlichen hatten wir alles.“

    Was die Dillinger Psychologin empfiehlt, wenn es beim Homeschooling kracht

    Eines betrifft das Homeschooling. Wenn Eltern zu Lehrern werden müssen, das sei nie gut. Sie können ihren Kindern bei den Hausaufgaben vielleicht helfen. Doch wenn der Schüler gar nicht weiß, worum es geht und sich auch von der Mutter überhaupt nichts sagen lässt, sollte man den Lehrer mit ins Boot holen, empfiehlt die Psychologin.

    Im Corona-Jahr 2020 ist die tägliche Internetnutzungsdauer von Jugendlichen im Vergleich zum Vorjahr um rund 50 Minuten gestiegen. Wie kann man das verhindern?
    Im Corona-Jahr 2020 ist die tägliche Internetnutzungsdauer von Jugendlichen im Vergleich zum Vorjahr um rund 50 Minuten gestiegen. Wie kann man das verhindern? Foto: Tobias Hase/dpa/Symbolbild

    Die Schule sollte generell nicht das einzige Thema zwischen Kindern, Jugendlichen und Eltern sein. „Begrüßen Sie Ihr Kind nach der Schule doch mal mit den Worten ‚Schön, dass du da bist‘ und nicht ‚Wie war es in der Schule und was hast du heute wieder alles auf?‘“, sagt die Expertin.

    Eltern müssen nicht cool sein, damit ihre Kinder mit ihnen sprechen, doch man sollte die Beziehung pflegen. Etwa nach dem Musik- oder Klamottengeschmack fragen; gemeinsam Uno oder Stadt-Land-Fluss mit zusätzlichen Kategorien wie Computerspielen und Influencern spielen. Das könnte auch helfen, wenn das Kind am liebsten stundenlang mit dem Handy, vor dem Rechner oder dem Fernseher sitzt.

    Die Dillinger Psychologin warnt vor regelmäßiger Mediennutzung

    Die Psychologin empfiehlt: „Mediennutzung so unregelmäßig wie möglich. Bei Regen mehr, sonst weniger oder gar nicht. Denn Regelmäßigkeit erzeugt Sucht.“ Und Eltern, die selbst dauernd aufs Handy gucken, wirken nicht positiv auf die Kinder. Ansagen wie „was für die Schule machen“ als Alternative zum Zocken vor dem Computer seien überhaupt nicht attraktiv und erzeugen stattdessen Widerstand.

    Das Pubertier und sein Chaos: ein Lösungsansatz aus Dillingen

    Und was tun, wenn der Teenager in seinem Zimmer, wie Werner sagt „vor sich hinkompostiert“, also völlig im Chaos versinkt und sich zumüllt? Werner empfiehlt Eltern, sich mit dem Nachwuchs in der Mitte zu treffen: Klamotten, die nicht an einem bestimmten Platz liegen, werden nicht gewaschen. Geschirr gehört in die Küche. Der Weg von der Zimmertür zum Fenster bleibt frei. Aber wenn der Rest nicht so ordentlich ist, könnte man sich damit arrangieren. „Irgendwann taucht aus dem Kompost ein Schmetterling auf, ein bisschen so wie bei der Raupe Nimmersatt“, tröstet Werner die Eltern. Und wenn die innerfamiliäre Hausordnung nicht klappt, könnte eine Uhr mit Aufgaben helfen und Namen auf den Zeigern. So werden Zuständigkeiten wie in einer Wohngemeinschaft verteilt und jeder weiß, wann er etwa für den Müll oder die Spülmaschine zuständig ist.

    Ehemalige Klienten rufen jetzt wieder vermehrt in Dillingen an

    Das Team der KJF Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung in Dillingen, im Bild von links vorne Beate Bronnhuber, Rainer Blasius, Sabrina Graf und Carola Sauer. Hinten von links Ursula Jurende, Kerstin Pfitzmaier und Antje Werner.
    Das Team der KJF Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung in Dillingen, im Bild von links vorne Beate Bronnhuber, Rainer Blasius, Sabrina Graf und Carola Sauer. Hinten von links Ursula Jurende, Kerstin Pfitzmaier und Antje Werner. Foto: Homann

    Einige Familien, mit denen das Team der Dillinger Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung früher bereits Kontakt hatte, meldeten sich während des vergangenen Jahres wieder, um sich konkrete Tipps zu holen. Das sei einfach gewesen, weil man sich kannte und Vertrauen da war. Auch der Kontakt per Mail nahm zu. Das sei für Eltern zum Teil praktisch, weil sie sich die Zeit dafür nehmen können und nicht spontan ans Telefon müssen, findet Werner. Ein Thema dabei: Die Eingewöhnungen in Kitas klappten nicht, weil sich die Kleinen nicht von den Eltern trennen können. „Kinder lernen als erstes im Leben zu spüren und mit etwa einem Jahr sprechen. Und so nehmen sie viel stärker die Ängste und Befindlichkeiten wahr, können sie aber nicht benennen und lösen. Die Kleinen tun sich schwer in einer Kita zu bleiben mit strengen Corona-Regeln wie Abstand und den Masken“, erklärt die Psychologin.

    Einige Angebote der Erziehungsberatung konnten nicht mehr stattfinden, etwa die Gruppe des Marburger Konzentrationstrainings, wo mit Kindern ein planvolles Bearbeiten von Aufgaben trainiert wird. Auch die KIB-Gruppe für Eltern, die sich getrennt haben, konnte nicht fortgeführt werden. Das oberste Prinzip sei die Sicherheit von Klienten und Mitarbeitern, da sei ein persönlicher Kontakt in Gruppen irgendwann in diesem Jahr nicht mehr sinnvoll gewesen. Und eine Fortsetzung des Gruppenangebots per Video nicht machbar.

    Die Dillinger Psychologin fürchtet, dass Essstörungen jetzt zunehmen

    Ordentliches therapeutisches Arbeiten sei coronabedingt ohnehin kaum möglich. Werner meint, dass Ängste, Depressionen und Essstörungen unter Jugendlichen aller Geschlechter aufgrund des Drucks in sozialen Netzwerken zunehmen. So sollten Eltern, wenn sie den Verdacht haben, dass ihre Tochter oder ihr Sohn eine Essstörung haben, hinterfragen, ob es in der Familie überhaupt noch gemeinsame Mahlzeiten gibt und vielleicht etwas genauer hinschauen, was das Kind isst und trinkt und ob die Toilettengänge häufiger werden nach dem Trinken von sprudelhaltigen Getränken. Das Essverhalten sollte aber nicht dauerthematisiert werden. Genuss sollte vorgelebt werden.

    So ist die Dillinger Erziehungsberatung erreichbar

    Doch vor allem die Angst junger Menschen könnte noch ein großes Problem werden, fürchten Werner und ihr Team. Um einen Ausbildungsplatz, um einen Job, vor dem Studium daheim oder um die Gesundheit der Großeltern. Die Jugendlichen haben, so Antje Werner, alle Corona-Regeln schnell umgesetzt, keine Partys veranstaltet, das Maskentragen sei für sie normal. „Aber sie brauchen sich miteinander in der Schule und in der Freizeit.“ Die Welt der jungen Menschen sei durch das Virus eng und klein geworden – gerade jetzt, wo die Hormone sie manchmal wie fernsteuern, wo man neue Freunde sucht, Partnerschaften gründet und sich ausprobieren will. „Dieser Widerspruch macht etwas mit den jungen Leuten und wird sie verändern“, ist sich Werner sicher.

    Würden sich Ängste oder Aggressionen in den Jugendlichen manifestieren, könnten sich daraus Depressionen oder andere Erkrankungen entwickeln. Die Zahl der Neuanmeldungen bei Psychologen und in Kliniken würden bereits entsprechend steigen, sagt Werner.

    Die Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung in Dillingen ist unter Telefon 09071/77039-0 erreichbar.

    Lesen Sie dazu auch:

    Was leistet die Dillinger Erziehungs-, Jugend- und Familienberatung?

    Pflegeeltern aus dem Lankreis kämpfen um mehr Pflegegeld

    Familien und Corona: Ein Interview mit dem Leiter des Dillinger Jugendamtes

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden