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Dillingen: Die Besuche bei Papa wurden zum Horror

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Die Besuche bei Papa wurden zum Horror

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    Hat ein Vater seine Kinder vergewaltigt?
    Hat ein Vater seine Kinder vergewaltigt? Foto: picture alliance / Nicolas Armer/dpa (Symbol)

    Werden die Kinder persönlich aussagen oder von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen? Diese Frage war bis kurz vor Beginn des zweiten Verhandlungstags am Landgericht Augsburg ungewiss. Im Strafverfahren der Jugendkammer wird einem 60-Jährigen aus dem Landkreis Dillingen zur Last gelegt, seine Kinder beginnend im Alter von zehn beziehungsweise sieben Jahren in den Jahren 2010 bis 2014 sexuell missbraucht zu haben (wir berichteten). Am Tag der Verhandlung ist klar: Sohn und Tochter wollen nicht persönlich vor Gericht erscheinen.

    Die Tochter ist hochschwanger

    Kurz zuvor lag dem Gericht und der Verteidigung ein Schriftsatz der Opferanwältin Marion Zech vor: Die Tochter sei hochschwanger. Eine erneute Aussage vor Gericht könnte ihr und ihrem Kind schaden. Wäre dem Ungeborenen im Anschluss etwas passiert, hätte der Vater es geschafft, auch ihr restliches Leben zu zerstören, so die drastischen Worte der Erklärung. Der Junge hätte dagegen ein persönliches Erscheinen vor Gericht bis kurz vor dem Termin in Betracht gezogen. „Seine Mutter hat mich angerufen. Ihrem Sohn ginge es wieder schlechter“, erklärt Zech.

    Stattdessen werden Videomitschnitte aus bereits getätigten Zeugenaussagen im Saal gesichtet. Dazu hatten der Jugendliche und seine mittlerweile volljährige Schwester ihr Einverständnis gegeben. Eine Ermittlungsrichterin hatte die Geschwister, damals 13 und 17 Jahre alt, nacheinander im Juli 2018 in einem Raum der Jugendkammer vernommen. Die Szenerie wirkt grotesk: Die Zeugen sitzen bei der Befragung auf einem bunt gemusterten Sofa, ihr Auftreten ist jedoch alles andere als fröhlich, als sie zu den mutmaßlichen Taten ihres Vaters ausgefragt werden.

    "Er hat uns vergewaltigt"

    Der Junge wirkt unkonzentriert und spielt mit seinem Smartphone. Zunächst war er gegen eine Aufnahme des Gesprächs, doch als die Ermittlungsrichterin betont, dass seine Aussage das Verfahren mitentscheide, willigt er ein. „Muss ich das wirklich beantworten?“, ist seine Gegenfrage auf die Frage nach den konkreten Missbrauchsfällen und doch erzählt er der Richterin: „Er hat uns vergewaltigt.“ Er wirkt dabei emotionslos, gar abwesend.

    Angefangen habe es nach der Trennung der Eltern. Jedes zweite Wochenende hätten er und seine Schwester den Vater besucht. Zu ihm habe es „nie ein richtig gutes Verhältnis“ gegeben. An einem Freitag habe der Vater sich und den damals circa Siebenjährigen im Schlafzimmer ausgezogen und ihn zu Analsex gezwungen. Daraufhin sei er weinend in sein Zimmer gerannt, worin er sich bis zum Sonntag verbarrikadiert hätte, als ihn seine Mutter abholte. Auf die Frage, warum er der Mutter nichts von dem Vorfall erzählt habe, sagt er: „Es ging einfach nicht. Ich habe es nicht sagen können.“ Auch seiner Schwester sagte der Junge lange nichts. Die angeklagten Übergriffe gegenüber seiner Schwester habe er nicht direkt mitbekommen, sondern ihr Weinen aus dem Schlafzimmer des Vaters gehört und durch das Schlüsselloch Bewegungen unter der Bettdecke sehen können.

    Die Kinder zeichnen das Bild eines gewalttätigen und skrupellosen Säufers, der sie mit Drohungen eingeschüchtert haben soll. Der Sohn lässt an seinem Vater kein gutes Haar und bestätigt in seiner Aussage, dass er seinen Vater hasse und will, dass sein Vater für seine Taten bestraft wird. Die Tochter sagt, dass ihre ersten Lebensjahre schön gewesen seien und sie ein „Papakind“ war, er sie wie eine Prinzessin behandelt hätte. Doch mit den Jahren hätte es nur noch Streit gegeben. „Es gab kaum friedliche Stunden“, sagt die junge Frau, die trotz der sommerlichen Jahreszeit einen dicken Pulli und eine Mütze trägt.

    Traumatische Erinnerungen kommen hoch

    Sie erzählt von einem schleichenden Prozess. Zunächst habe der Vater sie dazu gedrängt, gemeinsam zu duschen. „Das war unangenehm. Aber mit zehn Jahren wusste ich nicht, ob das tatsächlich unnormal ist“, sagt sie. Das Erzählen scheint ihr viel Kraft zu kosten. Sie knetet ihre Hände oder hält sich diese vor das Gesicht. An den Haaren habe er sie ins Schlafzimmer gezogen. Küsse, Streicheln und das schmerzhafte Eindringen in ihren Körper: Diese traumatischen Erinnerungen seien alle miteinander vermischt.

    Am Anfang hätte sie sich noch mit Händen und Füßen gewehrt. Doch irgendwann habe das zehnjährige Mädchen aufgegeben und die Taten verdrängt. Dem Jugendamt hätte sie damals nur erzählt, dass der Vater ihr das Handtuch vom nackten Leib weggezogen hätte. „Damit ich ihn nicht mehr besuchen musste“, sagt sie rückblickend. Dass ihrem Brüder Ähnliches widerfahren sein sollte, habe sie nicht mitbekommen –„oder ich wollte es nicht wahrhaben“, so ihre Erklärung, er sei schließlich noch einmal vier Jahre jünger als sie. Mit 14 Jahren habe sie sich das zweite Mal in psychiatrische Behandlung begeben und im Zuge dieser Therapie seien die verdrängten Erinnerungen wieder hochgekommen. Über soziale Netzwerke hätte sie erfahren, dass ihr Vater auf Sri Lanka eine neue Familie gegründet habe. Die Angst, dass dem Halbbruder das Gleiche widerfahre, habe sie zur Anzeige motiviert. „Ich bin kein rachsüchtiger Mensch. Ich versuche nur, das Richtige zu machen.“

    Neue Familie in Sri Lanka

    Der Tatverdächtige hatte sich zwischenzeitlich auf dem Inselstaat Sri Lanka ein neues Leben aufgebaut – samt Ehefrau und Kind. Am zweiten Verhandlungstag sind die Sri Lankerin und das Kleinkind mit einer Schwester des Angeklagten zugegen. Während der Verhandlung bleibt nur seine junge Ehefrau im Saal. Der Tatverdächtige hat sich zum Video gewandt, eine Regung ist somit nicht zu sehen. Nach den fast zweistündigen Aufnahmen seiner Kinder geht sein Blick zu seiner Frau. Auch an diesem Tag tuschelt der Angeklagte nur mit seinen Verteidigern Helmut Linck und Ulrich Swoboda und äußert sich nicht zu den Aufnahmen.

    Im Anschluss wird die ermittelnde Polizeibeamtin der Kriminalpolizei Dillingen befragt. Dort hatten die Kinder mit Unterstützung der Mutter und eines Mitarbeiters des Weißen Ringes ihre Aussagen getätigt. Bei beiden Kindern des Angeklagten wurden eine Posttraumatische Belastungsstörung nachgewiesen. Die Tochter hätte zudem unter anderem eine Persönlichkeitsstörung, heißt es vor Gericht. Das nehmen die Strafverteidiger zum Anlass, die Glaubwürdigkeit der Anklagenden anzuzweifeln. Sie fordern ein weiteres, tiefergreifendes Gutachten über die psychische Verfassung der Jugendlichen. Richter Hoesch möchte darüber nach der Vernehmung des bereits beauftragten Sachverständigen urteilen.

    Ende Mai geht das Verfahren weiter. Neben den Gutachten des Angeklagten und der mutmaßlichen Opfer wird unter anderem die Ex-Frau des Angeklagten aussagen. Die Frage ist: Hat sie damals etwas mitbekommen?

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