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Dillingen: Bahnfahren, Einkaufen, Kochen: Wie Johann Becherer im Alltag kämpft

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Bahnfahren, Einkaufen, Kochen: Wie Johann Becherer im Alltag kämpft

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    Eine gewaltige Rampe führt ins Haus. Ohne diese kommt Johann Becherer, 75, nicht hinein.
    Eine gewaltige Rampe führt ins Haus. Ohne diese kommt Johann Becherer, 75, nicht hinein. Foto: Cordula Homann

    Wenn gehbehinderte Menschen mit dem Zug fahren und dabei Hilfe brauchen, sollten sie sich einen Tag vorher anmelden. In Dillingen steht ihnen dann die Regens-Wagner-Stiftung bei, in Donauwörth die Johanniter Unfallhilfe. Was passiert, wenn man zu spontan für eine Anmeldung unterwegs ist, hat Johann Becherer jetzt erfahren.

    Seine Fahrt von Dillingen nach Donauwörth hatte geklappt. Doch dann musste der Mann mit dem schlohweißen Bart und den Koteletten von Gleis 1 auf Gleis 7. Keine Chance. An der Information empfahlen ihm Mitarbeiter der Deutschen Bahn, sich ein Zimmer zu suchen und für eine Fahrt am nächsten Tag anzumelden. Da reichte es dem 75-Jährigen. Er griff zum Handy und rief das Rote Kreuz an, kurz BRK. Der Fahrdienst holte ihn ab und fuhren ihn nach Dillingen. Die Fahrtkosten will die Bahn nicht erstatten. „Aber wenn ich die Rechnung vom BRK habe, werde ich sie trotzdem mal der DB schicken“, sagt Becherer.

    Deutsche Bahn bietet Ein-, Aus- und Umsteighilfen an - eigentlich

    Den Mann kann nichts stressen. Immer wieder fährt er mit dem Zug zu Bekannten und Probleme gibt es dauernd. Auch wenn man sich zuvor angemeldet hat, sagt Becherer. „Von der Bahn selbst hilft einem ja keiner auf den Bahnhöfen.“

    Immer sind Retter wie Johanniter, Malteser oder eben von Regens Wagner gefragt. Die Deutsche Bahn bietet im Internet eine Übersicht über die Ein-, Aus- und Umsteigehilfe. Eine Service-Hotline gibt den Wunsch nach einer Umsteigehilfe dann an Helfer vor Ort weiter, die im Auftrag und auf Kosten der Bahn tätig werden. „Wir bitten um Verständnis dafür, dass ohne eine rechtzeitige Anmeldung eine solche Hilfe nicht geleistet werden kann“, teilte die Bahn weiter mit.

    Viele Läden und Geschäfte in Dillingen sind nicht barrierefrei

    Richtig ärgern kann sich Becherer darüber nicht. Wozu auch? Nicht nur ein anderes Bahngleis ist für den Rentner allein oft unerreichbar, auch viele Geschäfte sind es. „In der Kapuzinerstraße sind überall Stapfla, ich komm nirgends rein“, beschwert er sich. Und beim Tag der Bundeswehr sei er mit dem Rollstuhl nicht durch die Menschenmenge gekommen. Also ist er wieder umgedreht (Wer die Veranstaltung ebenfalls verpasst hat: Zum Nachlesen: Der Tag der Bundeswehr im Liveblog).

    Doch sonst weiß sich der gelernte Maler oft selbst zu helfen: Als sein Rollstuhl mal einen Platten hatte und die Reparatur zu lange gedauert hätte, richtete er ihn selbst. Er kocht sich sein Essen, er füllt die Waschmaschine. Er jätet sogar Unkraut im Garten. Über einen kleinen Schemel kommt er allein in und aus dem Rollstuhl. Handwerkliche Arbeiten erledigt er selbst. Nur von elektrischen Sachen lässt er die Finger.

    Es klingt alles ganz einfach, und der Rentner macht auch einen fröhlichen, gut gelaunten Eindruck. Er sagt aber auch: „Ohne Hilfe geht es nicht.“ Doch das Haus, in dem er seit 1957 in Dillingen wohnt, aufgeben? Manchmal denkt er über einen Umzug ins Betreute Wohnen nach. „Es wäre alles so einfach, wäre man in Miete und nicht krank“, sagt er. Es klingt nicht traurig, sondern nüchtern.

    Vor vier Jahren stürzte Johann Becherer mit dem Rücken auf eine Mauer

    Er hat ja auch schon viel erlebt. Die Ehefrau starb bereits mit 42 Jahren und ließ ihren Mann allein im Haus zurück. Der brach sich in vier Jahren je zwei Mal das linke und das rechte Fußgelenk. „Ich hatte eigentlich dauernd Krücken. Ich nehm’ halt mit, was ich erwische“, sagt er und lacht. Einmal blieb er mit einem Schuh in seinem Hof hängen, fiel hinaus und lag dann da. „Einen Tag später habe ich erfahren, dass die Kniescheibe durch ist. Manchmal ist es schon verzwickt.“

    Becherer ist vor vier Jahren hinter seinem Auto gestürzt und mit dem Rücken auf eine kleine Mauer gefallen. Zwei Wirbel waren verschoben. Seitdem ist er behindert. Nach einem Jahr in verschiedenen Krankenhäusern und auf Reha kam der 75-Jährige zurück in sein leeres Zuhause.

    Da hatte er sich schon die gewaltige Rampe von der Garten- zur Haustür bauen lassen. „Am Anfang war es ganz schlimm mit dem Rollstuhl. Ich war doch früher immer draußen. Aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.“ Immer wieder fährt er in die Stadt rauf. Sein Rollstuhl habe die Kraft eines Bulldoggs sagt er und lacht laut. Das Fahrzeug käme überall hoch. Nur eben nicht über die elenden Stapfla.

    Die Bahnhöfe Donauwörth und Dillingen sind zwar wie so viele momentan noch nicht barrierefrei. Doch inzwischen sind sie immerhin in Förderprogrammen des Bundes beziehungsweise des Freistaats enthalten. Auch Lauingen und Gundelfingen wären gerne im Programm, doch dafür sieht die Bahn keinen Handlungsbedarf (Lesen Sie dazu: Barrierefreiheit auch für Lauingen: Was passiert am Bahnhof?).

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