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Die Trauer um Kinder, die nicht leben durften

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Die Trauer um Kinder, die nicht leben durften

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    Tanja Gsell kniet vor dem Grab ihres Sohnes in Altenbaindt.
    Tanja Gsell kniet vor dem Grab ihres Sohnes in Altenbaindt.

    Vor zwei Jahren war das. Nun sei es an der Zeit, dieses Foto zu entfernen, meinte eine Bekannte. Doch Tanja Gsell ist nur dieses Bild von ihrem Kind geblieben, sonst nichts, keine Erinnerungen. Das Bild wegtun? "Unmöglich, mein Sohn gehört doch zur Familie."

    "Sternenkinder" werden die Babys genannt, die vor, während oder kurz nach der Geburt verstorben sind. Das Schlimmste für die Eltern: Sie sind allein mit ihrer Trauer, keiner hat ihr Kind kennengelernt und kann ihre Gefühle teilen. Stattdessen hören sie Kommentare wie "Du bist doch noch jung und kannst wieder ein Kind kriegen" oder "Du hast doch deine anderen Kinder".

    Wie kann man um jemanden so intensiv trauern, den man nicht oder kaum gekannt hat, mögen sich die Menschen im Umfeld der Betroffenen fragen. Erika Obleser aus Ehingen versucht, eine Antwort zu geben: "Wenn man schwanger ist, lebt man mit diesem ungeborenen Kind, man macht sich Vorstellungen von ihm, man spürt es und freut sich drauf. Wenn das jäh endet, bleibt nichts als eine gähnende Leere und die Trauer darüber, dass dieses Kind das Leben nie erfahren durfte."

    Nur einen Tag auf dieser Welt

    Das Kind von Barbara Beck kam in der 25. Woche zur Welt. "Die Lunge ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgereift", erklärt die 34-jährige Arzthelferin, "deshalb hat meine Tochter nur einen Tag gelebt." In ihrer großen seelischen Not sei sie leider nur auf Leute getroffen, die mit der Situation völlig überfordert waren, berichtet die junge Frau. Der Pfarrer habe nicht gewusst, wie eine Nottaufe zu vollziehen ist. Die Klinikseelsorgerin habe an ihrem Bett geweint, statt sie zu trösten, und beim Bestattungsunternehmen sei man erschreckend unsensibel gewesen.

    Barbara Beck sagte sich damals: "So soll es keinem mehr ergehen", und gründete den Kontaktkreis "Sternenkinder". Zum ersten Treffen im Gasthaus in Nordendorf kam eine Handvoll Betroffener. Jeder habe sein Schicksal erzählt und viele hätten dabei geweint. "Und doch war es einfach darüber zu reden, denn jeder hat ja das gleiche Schicksal." Seitdem treffen sich die Frauen alle vier Wochen. Anfangs war auch ein Mann dabei, doch der sei nur einmal gekommen. "Männer trauern wohl anders", vermutet Beck.

    "Aber wir heulen nicht nur", betont Tanja Gsell, die in Aislingen wohnt, die längere Fahrt aber gerne in Kauf nimmt, "wir reden über alles, was uns beschäftigt." Die Gruppe hilft den Frauen, mit bestimmten Situationen besser umzugehen. Und, ja, es wird auch gelacht in dieser Gruppe. Allerdings gibt es eine, die das noch nicht wirklich schafft: Mandy Heyde, deren Sohn Robin mit einem seltenen Gen-Defekt auf die Welt kam. Dass Robin nur vier Monate alt wurde, lag freilich nicht daran. Als die Nordendorferin ihre Eltern in Dresden besuchte, fand sie das Kind eines morgens weinend im Bett. Sie hob es hoch. "Da verdrehte Robin die Augen und war tot."

    Der Notarzt konnte das Kind zwar wiederbeleben, aber drei Stunden später im Krankenhaus starb es. In diesen drei Stunden durfte Mandy Heyde ihren Sohn nicht sehen, nur die letzten fünf Minuten des Kindes erlebte sie noch mit.

    Weil keiner etwas zur Todesursache sagen konnte, wurde die Kripo eingeschaltet, das Kind obduziert, sogar die Wohnung der Eltern durchsucht. Entsetzliches hat die 34-Jährige durchmachen müssen und hat es noch immer nicht verkraftet. "Auch heute weiß kein Mensch, warum Robin sterben musste", sagt Mandy, und doch fragt sie sich ständig: "Hätte ich es irgendwie verhindern können?" Der jungen Frau geht es schlecht, sie kann nicht arbeiten, weil sie es nicht aushält, als Altenpflegehelferin ständig mit dem Tod konfrontiert zu werden. Auch die professionelle Hilfe eines Psychologen konnte nichts ausrichten. "Ich bin mit meiner Trauer immer noch ganz am Anfang." Auch die anderen Frauen müssen zu bestimmten Gelegenheiten noch mit den Tränen kämpfen, zum Beispiel wenn sie ein Kind sehen, das den Namen ihres Sternenkindes trägt. "Das wird wohl immer so bleiben", meint Tanja Gsell. Barbara Beck ist da optimistischer: "Irgendwann wird es anders, irgendwann heilt die Wunde."

    Das nächste Treffen des Kontaktkreises Sternenkinder findet am 7. Dezember um 19 Uhr in einem separaten Raum der Gaststätte Miller in Nordendorf, Hauptstraße 20, statt.

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