Nahezu wöchentlich hat Sebastian Krämmel seiner Liebsten geschrieben. „Prosit Neujahr 1905“ steht auf einer Karte oder „Gruß aus dem zoologischen Garten zu Berlin“. Stadtansichten in Farbe und Schwarzweiß, Kätzchen und Hunde, Blumen oder Engelmotive zieren die Karten. Auf der Rückseite steht nur die Adresse – Frau Anna Krämmel in Bachhagel bei Lauingen, Bayern – , vorne dazu zwei Zeilen in Süterlin. „Du, nur Du allein, sollst mein Alles sein“, steht auf einer Karte mit einem Liebespaar darauf. Der Absender hat nur die Adresse dazugeschrieben und „Dein Wastl“. Am 22. Mai 1915 liegt Feldpost aus Frankreich im Bachhagler Briefkasten. Darauf ein Soldat mit Gewehr, eine Frau schwingt eine deutsche Fahne und darüber steht „Herzliche Pfingstgrüße“. Auf der Rückseite steht: „Nun will ich Ihnen mitteilen, dass ich verwundet bin und dass ich wieder in Deutschland bin. Es geht mir soweit gut, auch werden wir gut behandelt. Ich habe einen Schulterschuss durch Granatsplitter, aber er ist noch darin. Nun wünsche ich ihnen fröhliche Pfingstfeiertage und viele Grüße an alle, Sebi, Alfons und Frau Herzog. Auf Wiedersehen. Auf einer Karte jammert der Soldat auch „Haben kein bayerisches Bier mehr bekommen“. Soldaten in dicken Wintermänteln zieren die Karten vom 16. Dezember des gleichen Jahres mit den Worten „Herzliche Weihnachtsgrüße“.
Ingrid Krämmel hat das Album, das von 1905 bis 1949 reicht, im Keller gefunden. Erst bat ein Verwandter, Reinhold Krämmel, um Unterstützung bei der Familienforschung, dann stand auch noch die 750-Jahr-Feier von Bachhagel an. „Ich saß nächtelang im Keller, die Kinder sagten schon Kellerassel zu mir“, erzählt Ingrid Krämmel und lacht. Ihr Verwandter hat die Postkarten abfotografiert und in einem Buch säuberlich aufgelistet, dazu das Datum und den Text, den man auf manchen Postkarten kaum mehr erkennen kann, dazugeschrieben.
Ingrid Krämmel träumt von einem Heimatmuseum für Bachhagel
Ingrid Krämmel weiß, dass Sebastian vor dem Krieg auf Wanderschaft war und Kurzwaren verkaufte – denn der Wandergewerbeschein ist noch da. Nach der Hochzeit mit seiner Anna in München – auch davon gibt es in Bild – gründete er das Lebensmittelgeschäft. Drei Kinder, Elzi, Alfons und Josef, hatte das Paar. Elzi arbeitete in Hamburg, bis sie den Laden übernahm. Alfons’ Sohn Werner war Ingrid Krämmels Ehemann. Die wiederum recherchierte auch nach der eigenen Familie. „Ich bin ja eine geborene Willer, meine Eltern hießen Josef und Maria. Es leben viele Willers in Bachhagel – aber nicht alle sind miteinander verwandt – da gibt’s noch Arbeit“, sagt die ehemalige Bürgermeisterin begeistert. Die alten Unterlagen seien hochinteressant – „und jetzt habe ich ja auch Zeit“. Die ehemalige Bürgermeisterin träumt von einem Heimatmuseum, oder wenigstens einer Glasvitrine. Doch dann wurden erst mal das 750. Jubiläum der Gemeinde gefeiert und das Buch dazu fertiggestellt. „Vieles blieb damit liegen, aber jetzt kommt das Familienarchiv dran“, sagt Krämmel festentschlossen.
Durch die Unterlagen im eigenen Keller oder im Standesamt habe sie zahlreiche Querverbindungen oder auch ein anstehendes Vereinsjubiläum entdeckt. „Man entdeckt immer mehr, und auch Emotionales kommt dazu“, schwärmt Krämmel von ihrer Archivarbeit. Dutzende Postkarten hat sie lose gefunden, teils nicht mal beschriftet, dazu unzählige Unterlagen. Es reizt sie, mehr herauszufinden. Doch nur darauf kann sie sich auch nicht konzentrieren: Zwei Mal in der Woche ist sie mit den Laufdamen unterwegs, sie kocht regelmäßig für die ganze Familie, die auf einem großen Grundstück wohnt. Im Garten ist immer was zu tun. Und eines gab Ingrid Krämmel besonders zu denken: „Zu meinem Abschied hat der Kindergarten einen Maibaum mit bunten Bändern gebastelt. Das große Fest kam wegen des Lockdowns ja nicht zustande – aber die Bänder habe ich noch.“ Jedes Kind hatte seiner Bürgermeisterin einen guten Wunsch daraufgeschrieben. Auf einem steht: „Ich freue mich auf viel Zeit mit Dir“ – der stammt von Enkelin Emma.
Postkartenaktion der Donau Zeitung: Wie Sie teilnehmen können
Im neuen Schuljahr soll es feste Oma-Tage geben. Und dann ist da noch ein Problem: Ihrem Nachfolger im Rathaus, Bürgermeister Ingo Hellstern, hat sie schon gedroht, ja nichts aus ihrem alten Büro wegzuschmeißen: Die ganzen Geschenke, die die ehemalige Bürgermeisterin während ihrer zwölfjährigen Amtszeit bekommen hat, müssen auch noch irgendwo hin. In ein künftiges Heimatmuseum? Oder erst mal in den Keller...?
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