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Wie ein Jugendlicher zum Hacker wurde: Jung, virtuell, kriminell

Wie ein Jugendlicher zum Hacker wurde

Jung, virtuell, kriminell

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    Nie zuvor sind Hacker so sehr in den Blick der breiten Öffentlichkeit geraten wie in diesem Jahr.
    Nie zuvor sind Hacker so sehr in den Blick der breiten Öffentlichkeit geraten wie in diesem Jahr. Foto: dpa

    Die heile Welt fiel mit einem einzigen Anruf in sich zusammen. Sie implodierte binnen Sekunden. „Mama, ich bin’s, reg dich nicht auf. Das LKA durchsucht gerade unser Haus und ich brauche einen Anwalt.“ An den genauen Wortlaut ihres Sohnes Florian kann sich Anne (Namen von der Redaktion geändert) nicht mehr erinnern, denn natürlich regte sie sich auf. Sie hörte Landeskriminalamt, Durchsuchung, Anwalt. Worte, die sie die nächsten Wochen und Monate immer wieder hören sollte. Den ganzen Albtraum konnte Anne zu dem Zeitpunkt noch nicht erahnen. Es sollten noch weitere Worte hinzukommen: Gefängnis, Internetkriminalität und Insolvenz.

    Florian sitzt am Küchentisch seines Elternhauses und entspricht auf dem ersten Blick nicht dem Klischee eines Nerds, also einer Person, die quasi im Internet lebt. Er ist nicht übermäßig blass, hat weder Pickel noch fettige Haare oder eine dicke Brille. Florian wirkt gepflegt und ist gut angezogen. Burberry-Schal, Boss-Uhr, Markenjeans. Ansonsten sieht er aus wie ein ganz normaler Teenager, der nachmittags im Coffeeshop herumhängt.

    Im Internet war Florian ein Macher

    Sobald er aber spricht, ist der Unterschied zu anderen Jugendlichen schnell hörbar. Florian benutzt Wörter, die viele Menschen nicht verstehen. Auch Anne nicht. Bots, Keys, Fame, IPs, WoW. Es sind Vokabeln aus einer anderen Welt, in der der 17-Jährige zirka eineinhalb Jahre zu Hause war. Und in der er jemand war. In der virtuellen Wirklichkeit des Internets besaß der 17-Jährige einen sogenannten „Fame“-Status. Er war ein Macher, einer, der sich auskennt, einer, der im Internet Macht hat. „Macht und Geld ist für viele der Antrieb“, sagt Florian. Und das war es auch für ihn. Von seinem Kinderzimmer aus beamte er sich auf Server in Russland und half so Internetkriminellen bei ihren Machenschaften.

    Dabei fing alles ganz harmlos an. Mit 13 spielte Florian zunächst Counterstrike, ein Computerballerspiel, das unter Jugendlichen sehr beliebt ist. Dann war er, wie so viele, bei World of Warcraft, kurz WoW. Das beliebte Online-Rollenspiel hat weltweit über elf Millionen Nutzer. In einem Forum über WoW traf er auf Ulrich (Name ebenfalls geändert), der Florian neue Möglichkeiten im Internet aufzeigte und ihn schulte. Den Rest ergoogelte sich der Teenager. „Mit Google kannst du alles herausfinden und alle Probleme lösen, da lernst du alles, was du wissen willst.“

    Alles, was nötig war, war ein PC und ein schneller Internetzugang

    Seine Eltern wussten nicht einmal, dass es solche Probleme gibt, die ihr Sohn löste. „Diese Welt ist verdammt kompliziert. Das ist für ältere Menschen nur schwer nachvollziehbar, weil viel mit der Gaming-Szene zusammenhängt“, sagt er und versucht es trotzdem zu erklären: „Geschätzt 80 Prozent der Internetkriminellen sind unter 18. Sie kommen über Spiele rein.“ Eine Karriere steigere sich langsam. Anfangs knacken sie Spieleschlüssel, dann finden sie Sicherheitslücken und räumen Spielshops im Internet leer. „Du machst dir keine Gedanken, dir ist nicht bewusst, dass das kriminell ist. Du baust dir da eine virtuelle Welt auf und lebst darin“, sagt Florian rückblickend. Alles, was diese Jugendlichen brauchen, ist ein handelsüblicher PC und ein schneller Internetzugang. Wer sich auskennt, ist in dieser virtuellen Welt ein König. Es gibt scheinbar keine Grenzen, alles ist möglich und erhältlich. Eine gefälschte Kreditkarte? 10 bis 15 Euro im Internet. Eine anonymisierte Computerkennung (IP)? 10 Euro im Monat. Manche Kriminelle spielen mit der Polizei Katz und Maus. Den Cyber-Cops sind oftmals die Hände gebunden, weil Server im Ausland stehen. „Der einzige Grund, weshalb Internetkriminalität möglich ist, sind Server in Russland und China, die IPs verschleiern“, sagt Florian und ergänzt: „Der Großteil des Schadens im Internet entsteht durch Kinder wie mich.“

    Tagsüber Schüler, nachts Krimineller

    In diese „Kiddykriminalität“ stieg er immer tiefer ein und führte bald ein Doppelleben. Tagsüber war er der normale Schüler, nachts war er der Internetkriminelle. Zunächst war es nur ein Nebenjob. Irgendwann betreute er ein Forum, auf dem sich Hacker austauschen, und er leitete einen Anonymisierungsdienst auf einem russischen Server. Die meisten seiner Kontakte kannte Florian nicht, auch nicht wo sie wohnen, denn ihren Wohnort haben nur „die Dummen verraten“ – und zu denen zählt sich Florian nicht. Er hat nur eine Person getroffen: Ulrich. Aber das wurde ihm im richtigen Leben zum Verhängnis.

    Denn vergangenes Jahr kam das bayerische Landeskriminalamt Ulrich auf die Spur. Der 20-Jährige war nach Ansicht der Ermittler Mitglied einer „Fakeshop-Bande“, die Tausende Internetnutzer betrogen hat. Über gefälschte Internetshops verkauften sie Kunden hochwertige Produkte zum halben Preis, schickten die Ware jedoch nie zu. Der Schaden wird auf einen zweistelligen Millionenbetrag geschätzt. Der Server lag in Russland, die Kennung der Computer war verschlüsselt, die Täter nicht greifbar. Wenn sich ein Fakeshop unter Internetnutzern herumgesprochen hatte, machten am nächsten Tag drei neue auf.

    "Nur ein paar Tausend Euro"

    Doch das Internet besitzt selbstreinigende Kräfte, und so machten „gute Hacker“ Jagd auf die Betrüger. Sie gaben den Ermittlern vom Landeskriminalamt den entscheidenden Tipp. Die Polizei hörte daraufhin das Telefon von Ulrich ab und kam so auch auf Florian – im Internet hätten sie ihn wohl nie gekriegt, meint der 17-Jährige. Da sei er zu vorsichtig gewesen. Doch plötzlich standen vergangenes Jahr die Cyber-Cops vor seiner Haustür. Florian war zunächst cool. „Mir hatte das Schuldbewusstsein gefehlt. Uli hat immer gesagt, dass einem quasi da nichts groß passiert, wenn man unter 18 ist.“ Uli hatte unrecht. Die Beamten nahmen Florian mit. „Beteiligung an Fakeshops“ stand im Haftbefehl.

    „Mit Fakeshops hatte ich nichts zu tun“, das betont Florian immer wieder. Er habe seine Grundsätze gehabt und „nicht das Big Money gemacht“ – obwohl er fünfstellige Beträge hätte „abräumen können“, wie er sagt. Er habe nur „ein paar tausend Euro“ verdient.

    Passwort mit 80 Stellen

    Sechs Wochen saß Florian im Jugendgefängnis. U-Haft, Verdunklungsgefahr, Einzelzelle, Verhör. Die Staatsanwaltschaft kochte ihn mit eigenen Mitteln weich. Die Ermittler kamen nicht an seine Daten heran, denn er hatte seinen Computer mit einem 80-stelligen Passwort gesichert. Seine Mutter fiel fast vom Glauben ab, als ihr Sohn drei Minuten lang Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen eingab. Ihr Passwort auf ihrem Computer war ganz einfach gewesen: Florian. Das hatte ihr Sohn schon längst geknackt.

    Jetzt, im Nachhinein, fällt es Anne wie Schuppen von den Augen. Die Anzeichen waren da. Ihr Sohn hatte morgens manchmal rot unterlaufene Augen. Sie glaubte ihrem einzigen Kind die Geschichte vom Heuschnupfen. Die benutzte Florian auch, als sie ihn beim Taxifahren erwischte. „Ich bin viel Taxi gefahren“, sagt Florian. Teure Sachen konnte er sich nicht von dem ergaunerten Geld kaufen, dann hätten seine Eltern ja Verdacht geschöpft. Wenn er mal wieder seine Freunde einlud, erzählte er, er habe sein Geld über WoW verdient.

    Florian ist froh, dass die Zeit der Lügen vorbei ist. Und: „Ich bin froh, dass ich raus bin. Mehr als froh. Es ist nicht gut, was ich gemacht habe.“ Er bereitet sich auf seinen Schulabschluss vor und wartet auf den Prozess. Höchststrafe wäre Gefängnis. Er hat sich auch schon Gedanken über eine Schadenersatzklage und eine mögliche Insolvenz gemacht. Und über seine berufliche Zukunft: „Ich will auf jeden Fall etwas in dem Bereich Servermanagement machen, aber auf der legalen Seite.“ Manche Firmen sehen den Schatten in Florians Lebenslauf nicht als Nachteil. Im Gegenteil.

    Das Urvertrauen der Mutter in ihren Sohn ist seitdem zerstört

    Und das Vertrauensverhältnis zu seinen Eltern? „Das hat stark gelitten“, sagt der 17-Jährige. Anne muss noch heute weinen, wenn sie an „die schlimme Zeit letztes Jahr“ denkt. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie nichts gemerkt hat, sie fragte sich, was sie falsch gemacht hat und wie es weitergehen soll. Letztlich bleibt Anne wohl nichts anderes übrig, als ihrem fast volljährigen Sohn wieder zu vertrauen und zu hoffen, dass er seine Lektion gelernt hat. „Ich bin jetzt ein frommes Lämmchen. Ich lade nicht einmal Musik runter, und das macht doch jeder“, sagt Florian, während er am Küchentisch sitzt. „Ich kenne meinen Sohn, ich weiß, dass er gut ist und das alles nur aus Geltungsdrang getan hat“, sagt seine Mutter. Doch sie sei vorsichtiger geworden. Ihr Urvertrauen ist seit dem Anruf ein für alle Mal zerstört.

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