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Interview: Hat Mark Zuckerberg die Kontrolle über Facebook verloren?

Interview

Hat Mark Zuckerberg die Kontrolle über Facebook verloren?

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    Was wussten Facebook und sein Gründer Mark Zuckerberg von den Machenschaften von Cambridge Analytica?
    Was wussten Facebook und sein Gründer Mark Zuckerberg von den Machenschaften von Cambridge Analytica? Foto: Peter da Silva, dpa (Archiv)

    Herr Giesler, Sie schreiben, der Cambridge-Analytica-Skandal zeige einmal mehr, wie wenig Facebook noch in der Lage sei, sich selbst zu regulieren. Hat Mark Zuckerberg die Kontrolle über seine Erfindung verloren?

    Martin Giesler: Die Frage steht schon länger im Raum, letztlich seitdem er zunächst so lapidar auf Hinweise reagierte, dass Fake News auf Facebook eine Rolle im US-Wahlkampf gespielt haben könnten. Ich glaube also, man kann das bejahen. Die Frage ist, was wir daraus lernen. Ich kann aktuell nicht sehen, dass Facebook den Masterplan für sich gefunden hat. Facebook schwankt zwischen der Befriedigung der Nutzer und der Befriedigung der Anleger hin und her. Das ist auch der Grund, warum man aktuell von Zuckerberg nichts hört. Ich glaube, bevor er sich vor der Allgemeinheit äußert, muss er erstmal mit seinen Juristen einen Masterplan absprechen, um endlich Ruhe im Karton zu kriegen. Die Frage ist, ob es vielleicht nicht schon zu spät ist.

    Zuckerberg hat sich noch nicht zum Fall Cambridge Analytica geäußert. Wird es nicht langsam mal Zeit?*

    Giesler: Eigentlich ist es komisch, dass er sich noch nicht geäußert hat. Wir haben in den vergangenen Monaten ein Aufbegehren erlebt. Zuckerberg, Sandberg (Facebooks Geschäftsführerin, Anm. d. Red.), Stamos (Facebooks Ex-Sicherheitschef, Anm. d. Red.) und Mosseri (Facebooks News-Feed-Chef, Anm. d. Red.) haben sich in sozialen Medien überraschend oft zu Wort gemeldet. Das kannte man von ihnen so nicht, denn eigentlich ist es schwierig, von Facebook Antworten zu bekommen. Da dachte man, es findet ein kleiner Kulturwandel statt. Dass sie sich jetzt nach fast einer Woche noch nicht gemeldet haben, erstaunt schon. Das zeugt von der Dimension dieses Skandals, vielleicht auch davon, wie wenig sie darauf vorbereitet waren und wie sehr sie jetzt möglicherweise intern bemüht sind herauszufinden, was da los war. Denn so oder so kann Facebook das Ganze nicht gefallen: Entweder wurde Facebook vorgeführt. Oder Facebook ist nicht in der Lage, die Daten seiner Nutzer zu schützen.

    Nach der US-Wahl hatte Zuckerberg zunächst gesagt, es sei „verrückt“ zu glauben, dass Falschinformationen auf Facebook eine Rolle bei der Trump-Wahl gespielt haben könnten. Hat Zuckerberg denn begriffen, was er mit Facebook erschaffen hat?

    Giesler: Ich glaube, er umreißt das schon. Die Ingenieure im Silicon Valley umgibt der Glaube, dass man mit Technik Dinge lösen oder zum Besseren wenden kann. Die Idee, dass es fremde Mächte gibt, die sich dieser Plattform annehmen und schlimme Dinge damit veranstalten, herrschte jahrelang nicht vor. Das wurde komplett außer Acht gelassen.

    War das nicht naiv?

    Giesler: Ich denke, der Vorwurf der Naivität ist angebracht. Aber auch ich als Facebook-Kritiker kann mir nicht vorstellen, dass das alles in Zuckerbergs Interesse ist. Das düpiert ihn, das gefällt dem ganzen Sicherheitsapparat nicht. Man sieht es auch an den Verwerfungen mit dem Sicherheitschef Stamos, der jetzt geht, weil Facebook nicht weiß, wie transparent es bei den ganzen Eskapaden sein will. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Zuckerberg egal ist. Ich glaube schon, dass er erkannt hat, was für eine machtvolle Plattform er kreiert hat – auch im negativen Sinne.

    Ist Mark Zuckerberg denn bei Facebook noch der, bei dem die Fäden zusammenlaufen? Kann er das kontrollieren, was er geschaffen hat?

    Giesler: Das Schwierige ist: Wenn man annimmt, dass Facebook sich nicht mehr selbst kontrollieren kann, braucht es eine externe Instanz, die Facebook kontrolliert. Doch wer soll das sein? Dass die Trump-Regierung in den USA ein Ministerium einrichtet, dass sich um die digitale Souveränität von Internetplattformen kümmert, mag ich mir kaum vorstellen. Aber die Frage, wie sehr Facebook sich nach außen öffnen kann, muss gestellt werden. Es wird beispielsweise immer wieder gefordert, mehr Wissenschaftler einzubinden, die forschen, wie die Plattforum funktioniert.

    Also muss Facebook sich ändern?

    Martin Giesler ist Social-Media-Experte. Cambridge Analytica sei ein Beispiel von Tausenden Unternehmen, die auf riesigen Datensätzen sitzen, sagt er.
    Martin Giesler ist Social-Media-Experte. Cambridge Analytica sei ein Beispiel von Tausenden Unternehmen, die auf riesigen Datensätzen sitzen, sagt er. Foto: Robert Winter

    Giesler: Es ist eine Herkulesaufgabe, die Zuckerberg gerade vor sich hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nur mit immer neuer Technik zu bewerkstelligen ist. Ich glaube, bei Facebook muss eine kleine Revolution stattfinden hinsichtlich des Personals, das man einstellt. Facebook sollte zusehen, dass es mit viel mehr Menschen zusammenarbeitet, die sich mit ethischen Werten, mit journalistischen Ideen, mit Psychologie auseinandersetzen. Und zwar nicht auf die Art, dass man sich überlegt, wie man Instrumente kreiert, die die Leute länger fesseln und dazu verleiten, immer wieder zur Plattform zuzukehren. Man muss sich damit beschäftigen, was die Plattform mit der Gesellschaft, mit dem einzelnen Individuum macht. Ein Algorithmus allein kann solche Probleme nicht lösen.

    Warum hat Facebook im Fall Cambridge Analytica offenbar nicht geprüft, dass die Daten wie gefordert gelöscht werden?

    Giesler: Man mag sich das kaum vorstellen. Andererseits: Cambridge Analytica ist ein prominentes Beispiel, letztlich aber ist das gelebte Praxis. Es gibt wahrscheinlich jeden Tag Hunderttausende von Drittanbietern, die auf Daten von Facebook zugreifen. Ich könnte mir vorstellen, dass es im Alltagsgeschäft schlichtweg untergeht, in jedem Fall nachzuspüren. Nun prüft Facebook mit Akribie, mit forensischen Teams, ob die Daten wirklich weg sind. Doch so etwas ist nicht Facebooks Tagesgeschäft. Wenn Facebook das bei jedem einzelnen Akteur auf der Plattform machen würde, sähe seine Bilanz vielleicht nicht so schön aus.

    Inwiefern unterscheidet sich der Fall Cambridge Analytica von anderen Anbietern, die Facebook-Daten genutzt haben, sei es ein Spiel wie Farmville, sei es die Obama-Kampagne?

    Giesler: Letztlich hat sich Cambridge Analytica die Daten auf eine Art und Weise beschafft, die formaljuristisch nicht in Ordnung war. Aber das Hantieren mit Daten findet auch bei vielen anderen Akteuren statt – und ist da genauso zweifelhaft. Obama hat man gefeiert, als er die Wahl auch mithilfe von Social Media gewann. Man schrieb vom Facebook-Präsidenten, seine Mitarbeiter wurden wie Stars herumgereicht. Dasselbe passiert nun mit Steve Bannon und seinen Digitalexperten, die reisen auch durch die Welt und werden hofiert. Und bei ihnen goutieren wir es nicht mehr, dass dieses Spiel noch weiter getrieben wurde. Das ist sehr janusköpfig.

    Wie sehen Sie die Rolle von Christopher Wylie, dem Whistleblower, der früher mit Cambridge Analytica gearbeitet hat und nun von deren Aktivitäten berichtet?

    Giesler: Schwierig. Das, was er gemacht hat, ist sicherlich nicht zu entschuldigen. Auf der anderen Seite braucht es Whistleblower, die auf solche Zustände hinweisen. Ich habe jetzt nicht so richtig die Reue in seinen Interviews gesehen. Man hat schon gesehen, dass er das auch besonders fand, was er erschaffen hat. Damit taugt er nicht als bemitleidenswerte Figur.

    In der Finanzkrise hat man davon gesprochen, dass manche Banken zu groß seien, um sie scheitern zu lassen. Ist Facebook inzwischen „too big to fail“?

    Giesler: Wahrscheinlich ist dem nicht so. „Too big“ bedeutet nur, es hat zu viele Nutzer und Nutzerdaten. Das aber ist nur deswegen ein Problem, weil Facebook es nicht möglich macht, diese Daten mit zu anderen Diensten oder von der Plattform herunter zu nehmen. Wenn das der Fall wäre, wären Facebook-Nutzer freier, die Plattform wieder zu verlassen. Dann könnte Facebook sehr viel kleiner werden, dann könnte man es fallen lassen. Schon die EU-Datenschutzverordnung könnte eine Verbesserung mit sich bringen. Wenn man annimmt, es gäbe die Möglichkeit, alle seine persönlichen Daten restlos von Facebook herunterzuladen und dann Teile davon in ein attraktiveres, neueres Netzwerk zu integrieren, dann sehe ich nicht, warum Facebook „too big to fail“ wäre.

    Muss Facebook Konsequenzen im Fall Cambridge Analytica fürchten? Wenn ja, von wem?

    Giesler: Was Facebook fürchten muss, sind Klagen seitens der Aktionäre. Ist Facebook seiner Pflicht nachgekommen, die Aktionäre über den eigenen Kenntnisstand aufzuklären? Wenn 270.000 oder 50 Millionen Datensätze verloren gehen, ist das vielleicht ein Grund, die Aktionäre zu benachrichtigen. Weiter muss sich Facebook verloren gegangenes Vertrauen, sofern es denn geht, zurückholen. Denn letztlich ist das Vertrauen dafür entscheidend, dass Leute zu Facebook gehen und dort ihre privaten und kommerziellen Geschäfte machen. Und drittens steht Facebook seit der Trump-Wahl im Kreuzfeuer der Politik. Das wird weiter zunehmen. Jetzt wird Mark Zuckerberg nicht mehr darumkommen, vor dem Parlament aussagen zu müssen, anstatt seine Chefjuristen vorzuschicken. Ich glaube auch, das würde ihm nochmal mehr vor Augen führen, was er da gebaut hat.

    Die Nutzer zeigen dagegen kaum Anzeichen, Facebook zu verlassen.

    Giesler: Von den Nutzern hat Facebook tatsächlich nichts zu befürchten. Das haben die ganzen Skandale der Vergangenheit gezeigt. Schon mit Snowden hätte ein Ruck durch die Gesellschaft gehen müssen. Aber letztlich haben sich die Leute noch mehr an den Facebook-Kosmos gewöhnt. An Instagram und WhatsApp beispielsweise, die glücklicherweise beide Facebook gehören. Sie sind aber, und das darf man nicht verkennen, nicht profitabel. Sie werden von Facebook quersubventioniert. Das heißt, wenn Facebook als Geschäft nicht mehr funktioniert, dann leiden auch die Tochtergesellschaften. Ich kann mir bei bestem Willen nicht vorstellen, dass Facebooks Gewinne der vergangenen Quartale noch merklich zu steigern sind. Inwiefern Facebooks andere Unternehmungen das kompensieren können, kann ich so noch nicht sehen.

    Wie viele Skandale kann sich Facebook noch leisten? Wie viele Leben hat Facebook?

    Giesler: Bislang schaffen sie es immer, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Solange genug Leute an Facebook verdienen, solange die Metriken noch funktionieren, wird Facebook noch viele Skandale überleben. Wenn sich aber herausstellt, dass große Konzerne wie Unilever oder Procter & Gamble ihren Worten Taten folgen lassen, Kapital abziehen und tatsächlich weniger Werbung schalten, kommt Facebook ins Schlingern. Das ist ja das Schöne am Kapitalismus: So blöd man es dann findet, dass Milliardenkonzerne über Gesellschaften richten: Wenn Procter & Gamble am Ende entscheidet, nicht mehr bei Facebook sein zu wollen, dann hat auch Procter & Gamble einmal etwas richtig gemacht.

    Zur Person: Martin Giesler beschäftigt sich als Kulturanthropologe, Journalist und Blogger mit dem digitalen Wandel. Aktuell arbeitet er bei der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen an einem Forschungsprojekt zum Thema digitales Publizieren. In seinem Newsletter, dem Social Media Watchblog, kuratiert Giesler mehrmals die Woche Nachrichten und Debatten rund um Social Media. Zuvor arbeitete er unter anderem für Spiegel Online und das ZDF.

    *Update, 21. März, 21.45 Uhr: Nun hat sich Mark Zuckerberg auf Facebook zu Cambridge Analytica geäußert. Der Facebook-Chef räumte Fehler ein. Das Vertrauen der Nutzer, die ihre Daten Facebook anvertrauen und erwarten, dass sie sicher sind, sei verletzt worden, schrieb Zuckerberg. "Ich habe Facebook gestartet und am Ende des Tages trage ich die Verantwortung dafür, was auf unserer Plattform geschieht." Zugleich enthielt der Beitrag des Facebook-Chefs keine ausdrückliche Entschuldigung. In einem CNN-Interview fügte Zuckerberg dann am Mittwochabend (Ortszeit) eine Entschuldigung hinzu: "Das war ein grober Vertrauensbruch und es tut mir sehr leid, dass das passiert ist." 

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