Die Enthüllungsplattform Wikileaks setzt die Veröffentlichung geheimer US-Regierungsdokumente mangels Geldes aus. Eine finanzielle "Blockade" durch mehrere Kreditinstitute habe Wikileaks in den vergangenen elf Monaten mehrere zehn Millionen US-Dollar gekostet, sagte der Gründer der Plattform, Julian Assange, am Montag. Sollte der Finanzengpass nicht bald behoben werden können, müsse Wikileaks seine Arbeit einstellen.
Während der "vorübergehenden" Aussetzung weiterer Veröffentlichungen wollen sich die Aktivisten Assange zufolge auf "aggressives" Fundraising konzentrieren. Nur zehn Tage nach Beginn den Veröffentlichungen im Winter vergangenen Jahres habe eine Blockade durch die Kreditkartenriesen Visa und Mastercard sowie Finanzinstitute wie die Bank of America, PayPal und Western Union begonnen, sagte der Wikileaks-Chef vor Journalisten in London. Assange gab politischen Kräften in den USA die Verantwortung für die Blockade.
"Der Angriff hat 95 Prozent unseres Einkommens zerstört", sagte Assange. Die monatlichen Spenden seien von rund 100.000 US-Dollar umgerechnet rund 72.300 Euro auf rund 7000 US-Dollar gefallen, sagte Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson.
Wikileaks habe bei der Europäischen Kommission Klage wegen Verstoßes gegen das Kartellrecht eingereicht und erwarte eine Entscheidung bis Mitte November, teilte Assange mit. Außerdem bereite die Plattform Prozesse gegen die Blockade in Island, Dänemark, Großbritannien, der EU, den USA und Australien vor.
Andere Aktionen wie Versteigerungen stehen nun im Mittelpunkt
Um ihre Finanzen auszubessern, startete Wikileaks in den vergangenen Monaten bereits eine Reihe von Aktionen. Im September versteigerten die Aktivisten im Internet Erinnerungsstücke wie ein geschmuggeltes Kaffeepäckchen, eine handsignierte Diplomatendepesche oder ein Notebook, mit dem die Veröffentlichung der US-Botschaftsdepeschen vorbereitet worden war. Im Juli veranstaltete Wikileaks ein Mittagessen mit Assange in London. Die acht verfügbaren Plätze versteigerte die Plattform ebenfalls über das Internetauktionshaus Ebay. Assange steht in Großbritannien wegen Vergewaltigungsvorwürfen aus Schweden unter Hausarrest und kämpft gegen seine Auslieferung.
Spektakuläre Enthüllungen durch Wikileaks
Seit seiner Gründung 2006 ist Wikileaks für spektakuläre Enthüllungen gut. Nach dem Umbruch in Tripolis hatte das Web-Portal im August Dokumente im Internet veröffentlicht, bei denen es sich um Mitteilungen von US-Diplomaten zur Situation in Libyen handeln soll. Andere Wikileaks-Enthüllungen der vergangenen Jahre:
Militärhandbuch für Guantánamo: Das Handbuch «Camp Delta Standard Operating Procedures» enthält Bestimmungen der US-Streitkräfte zum Umgang mit Gefangenen. Daraus veröffentlicht das US-Magazin «Wired» im November 2007 unter anderem einen Lageplan.
Dokumente der Schweizer Julius Bär Bank & Trust Co: Die Papiere enthalten Daten von Bankkunden und Daten von Transaktionen auf die zu Großbritannien gehörenden Kaimaninseln, die als Steueroase gelten. Aufsehen erregen weniger die Dokumente an sich als vielmehr der vergebliche Versuch des Schweizer Instituts, im Februar 2008 gerichtlich gegen Wikileaks vorzugehen.
Auszüge aus Verträgen zwischen der Bundesregierung und dem Lkw- Maut-Betreiber Toll Collect: Über die Enthüllung zu den Maut- Verträgen berichtet im November 2009 unter anderem das Internet- Portal heise.de.
Video der US-Streitkräfte zu einem Luftangriff im Irak: Dieser im April 2010 von Wikileaks veröffentlichte Film mit Aufnahmen einer Bordkamera wird bei YouTube millionenfach abgerufen. Medien berichten, der Film dokumentiere einen Angriff auf Journalisten und andere Zivilisten.
Afghan War Diary: Nahezu 92 000 US-Militärdokumente über den Afghanistan-Krieg enthalten Details über den internationalen Einsatz. «Spiegel Online» schreibt, die im Juli 2010 ins Netz gestellten Dokumente zeigten «ein ungefiltertes Bild des Krieges».
US-Militärakten zum Irak: Fast 400 000 geheime Dokumente über Gräueltaten werfen ein grelles Licht auf den Krieg im Irak. Die Akten zeugen nicht nur von Folter und Tod in irakischen Gefängnissen. Sie beweisen auch, dass die USA und ihre Verbündeten bewusst weggeschaut haben. Die USA reagieren empört. Die Veröffentlichung im Oktober 2010 gefährde das Leben ihrer Soldaten.
Vertrauliche Dokumente aus US-Botschaften: Ihre Veröffentlichung erschüttert im November 2010 die Weltdiplomatie und bringt die US-Regierung in Bedrängnis. Wikileaks veröffentlicht mehr als 250 000 brisante Dokumente, die einen schonungslosen Blick hinter die Kulissen der internationalen Politik bieten. Zugleich berichten fünf renommierte internationale Medien, darunter der «Spiegel». US-Außenministerin Hillary Clinton kündigt «entschlossene Schritte» gegen die Hintermänner an.
Wikileaks hatte im April 2010 ein schockierendes Video veröffentlicht, das die tödlichen Schüsse einer US-Kampfhubschrauber-Besatzung auf Zivilisten in Bagdad zeigt. Später machte Wikileaks 77.000 Dokumente zum Afghanistan-Krieg sowie rund 400.000 geheime Unterlagen des Pentagons zum Irak-Krieg und zum Afghanistan-Einsatz zugänglich. Damit zog es den Ärger von USA und NATO auf sich.
Zuletzt hatte es Anfang September Wirbel um die ungeschwärzte Veröffentlichung brisanter US-Botschaftsdepeschen gegeben. Die US-Regierung, aber auch Menschenrechtsorganisationen hatten gewarnt, dass dadurch das Leben von Informanten gefährdet sei. Assange machte für die Panne einen Journalisten der britischen Zeitung "The Guardian" verantwortlich. Dieser hatte in einem Buch ein Passwort für die ungeschwärzte Version der Depeschen veröffentlicht. Der Autor des Buches hatte erklärt, ihm sei versichert worden, dass das Passwort nur einige Stunden gültig sein solle. Nach Bekanntwerden der Panne stellte Wikileaks die unredigierten Dokumente selbst ins Netz. afp/dapd/AZ