Die Radiowelt verändert sich – und das gefällt nicht jedem. Als etwa die Pläne des Bayerischen Rundfunks Schlagzeilen machten, er wolle sein digital verbreitetes Jugendradio Puls von 2018 an auf der Ultrakurzwellen-Frequenz von BR-Klassik ausstrahlen, hagelte es Kritik. 2014 überreichte der Bayerische Musikrat dem BR eine Petition mit mehr als 63.000 Unterschriften – für den Erhalt von BR-Klassik auf UKW.
EU wollte schnellen Übergang von analog zu digital
UKW ist der gewohnte, weitverbreitete Standard. Dem Digitalradio aber scheint die Zukunft zu gehören. Wie in Norwegen. Das skandinavische Land hat im Jahr 2017 als erstes weltweit den Übergang vom UKW-Radio zum digitalen Sendestandard DAB+ vollzogen. Das geschah seit dem 11. Januar schrittweise, von Region zu Region. Das Ende kam für UKW dann – zumindest bei den landesweiten Sendern – am 13. Dezember auch in den nördlichsten Landesteilen und auf der arktischen Insel Spitzbergen. Nur lokale, private Radiosender sind weiter auf UKW empfangbar.
Norwegen ist Taktgeber eines Prozesses, den etwa auch die Europäische Kommission 2005 von den EU-Mitgliedstaaten eingefordert hatte: Sie sollten den Übergang vom analogen zum digitalen Rundfunk beschleunigen. Denn: „Der digitale Rundfunk bietet bessere Bild- und Tonqualität, besseren Empfang mit tragbaren und mobilen Geräten, mehr Fernseh- und Hörfunkprogramme sowie bessere Informationsdienste.“ Die Kommission schlug „als Frist für die Abschaltung des herkömmlichen analogen terrestrischen Rundfunks Anfang 2012 vor“.
UKW-Abschaltung sorgt für Aufregung
Es folgte eine kontroverse Debatte, die bis heute anhält. Hörer fürchten mitunter die Kosten, die die Anschaffung eines DAB+-Empfangsgeräts für zu Hause oder fürs Auto mit sich bringt. Viele fühlten sich genötigt, so ein Gerät kaufen zu müssen. Etwa um weiter Volks- und Blasmusiksendungen hören zu können – die hatte der BR 2016 komplett aus seinem UKW-Sender Bayern 1 gestrichen und in sein Digitalprogramm BR Heimat verschoben. Ein Riesenaufreger auch das.
Deutsche Hörfunksender haben mittlerweile mit Erfolg Digitalsender etabliert. Was in der Branche für Aufregung sorgt, ist das Thema UKW-Abschaltung. Einen Termin dafür gibt es in Deutschland nicht; ein Plan, der ein UKW-Abschaltdatum Ende des Jahres 2015 vorsah, wurde vom Bundestag verworfen. Über das nach wie vor marktbeherrschende analoge UKW-Radio werde Geld verdient, erklärte die Programmdirektorin des Privatsenders Antenne Bayern, Ina Tenz, kürzlich während des Branchentreffs Medientage München. „Wir können alle die Lichter ausmachen, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, wenn UKW abgeschaltet wird.“
Autobauer haben eine wichtige Rolle
Auch Felix Kovac, Vorsitzender der Vereinigung Bayerischer Rundfunkanbieter und Geschäftsführer der Augsburger rt1.media group, lehnt „eine UKW-Abschaltung zu irgendeinem Datum energisch ab“: „Wir gehen davon aus, dass es sich bei der DAB+-Technologie um einen ergänzenden Verbreitungsweg für den Hörfunk handelt.“ Die Vereinigung Bayerischer Rundfunkanbieter habe überdies, so Kovac, den „Eindruck, dass sich die Radionutzung sehr dynamisch in Richtung Online verlagert“.
Vermutlich auch vor diesem Hintergrund sagt Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, unserer Zeitung: „DAB+ braucht weiter Impulse und die politische Unterstützung auf allen Ebenen.“ Schneider appelliert besonders an die Automobilindustrie, „Digitalradio in allen Neuwagen als Standard anzubieten“. Den Autobauern kommt damit eine wichtige Rolle zu, auch mit Blick auf die (künftigen) Einnahmequellen der Privatsender. Als sich Audi-Manager Holger Hees 2016 bei den Münchner Medientagen dafür aussprach, dass Radioprogramme im Auto nur mehr als Internet- und Digitalradio empfangbar sein sollten, löste das heftigen Widerspruch aus. Hees’ „Wunschvorstellung“ ist für Rundfunkanbieter eine Horrorvorstellung. UKW-Radio wäre damit wahrscheinlich tot.
UKW dominiert noch immer klar
Noch ist es längst nicht so weit. Selbst Siegfried Schneider hält eine Diskussion über ein Abschaltdatum „zum jetzigen Zeitpunkt für unnötig und für eher kontraproduktiv“. Schließlich bleibe derzeit noch die Wirtschaftlichkeit von DAB+-Radioprogrammen hinter der generellen Entwicklung von DAB+ zurück.
Laut „Funkanalyse Bayern 2017“ hatten 20,1 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren im Jahr 2017 im Freistaat Zugang zu mindestens einem DAB+-Empfangsgerät. 2015 waren es 10,2 Prozent. Zugang zu einem DAB+-Empfangsgerät im Auto hatten allerdings der Studie zufolge 2017 nur 5,9 Prozent der Befragten ab 14. Was die Funkanalyse ebenfalls zeigt: Jüngere empfangen Radioprogramme verstärkt übers Internet und nutzen intensiv Musikstreamingdienste oder Youtube. Nur bei den über 50-Jährigen liegt DAB+ vor dem Radioempfang via Internet. UKW dominiert klar.
Damit vollzieht sich der Übergang vom analogen zum digitalen Hörfunk in Bayern und dem gesamten Bundesgebiet schleppender als der vom analogen zum digitalen Fernsehen.
Umstellung auch in Norwegen umstritten
Umso genauer wird beobachtet, welche Erfahrungen Norwegen bislang mit der Umstellung gemacht hat. „Die Zahlen können nicht anders interpretiert werden. Der Übergang von UKW auf DAB+ ist ein Erfolg“, sagt Ole Jørgen Torvmark, Chef von Digitalradio Norge AS, einer Dachorganisation von Rundfunkveranstaltern. Er weist darauf hin, dass inzwischen 85 Prozent der norwegischen Haushalte ein oder mehrere DAB+-Empfangsgeräte hätten. Auch die Zahl der erreichten Hörer sei weniger stark gefallen als erwartet. Torvmark kann eine Reihe von Erfolgszahlen aufzählen. Sind sie zu schön, um wahr zu sein?
Private lokale Radiosender, die weiter auf UKW senden und diesen Verbreitungsweg erhalten wollen, haben eine eigene Umfrage in Auftrag gegeben. Demnach ist die Anzahl der Norweger, die täglich Radio hören, um zehn Prozent gesunken. Die öffentlich-rechtlichen Sender hätten sogar 21 Prozent verloren. „DAB+ wurde dem Volk gegen seinen Willen aufgezwungen. Der Übergang zu DAB+ war überhastet und unnötig“, kritisierte denn auch Morten Wold von der großen nationalistischen Fortschrittspartei.
Der BR übrigens hat BR-Klassik im Dezember die UKW-Frequenz gelassen. Thomas Goppel, Präsident des Bayerischen Musikrates, sagte dazu: „Im BR-Rundfunkhaus ist man zu der guten Einsicht gelangt, dass das treue Stammhörerpublikum von BR-Klassik noch nicht so weit ist, zu hundert Prozent ausschließlich auf digitale DAB+-Versorgung umsteigen zu wollen.“