Das Internet kann schnell zum Pranger werden. Eine falsche Bemerkung, ein dummes Bild, ein Fehltritt sind mit einem Klick öffentlich gemacht. Google und die sozialen Netzwerke sorgen dann für die rasend schnelle Verbreitung. Nicht nur Prominente erleben immer wieder, dass Informationen über sie im Netz kursieren, die eigentlich privat sein sollten. Heutzutage kann jeder Mensch ungewollt zur öffentlichen Person werden, auch zum Ziel von Hohn und Spott. Und selbst Heerscharen von Anwälten und Technikern werden beim Versuch scheitern, diese unerwünschten Bilder, Texte oder Dokumente aus allen Blogs und Foren zu löschen.
Müssen wir also hinnehmen, dass unsere sensiblen, personenbezogenen Daten für immer über Suchmaschinen abrufbar sind? Nein, sagte gestern der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Wir Bürger haben ein Recht darauf, auch im Internet irgendwann vergessen zu werden.
Deshalb kann Google dazu verpflichtet werden, missliebige Links in seiner Trefferliste nicht mehr anzuzeigen. Eine Löschung müsse zum Beispiel dann erfolgen, wenn die gefundenen Informationen schon sehr alt und nicht mehr relevant sind.
Suchergebnisse müssen auf Anforderung gesichtet werden
Das Urteil der europäischen Richter ist richtig und für uns alle eine gute Nachricht. Denn es gibt uns erstmals – zumindest teilweise – wieder die Herrschaft über unsere Reputation im Internet zurück.
Das war bisher anders. Suchmaschinenbetreiber wie Google, Microsoft oder Yahoo zogen sich auf den für sie bequemen Standpunkt zurück, nicht für die Informationen verantwortlich zu sein, die sie darstellen. Dass durch ihre Zusammenstellung von Informationen ungewollte, falsche oder irreführende Persönlichkeitsprofile erstellt werden können, sei nicht ihr Problem. Dem aber widersprachen die Richter gestern in überraschender Deutlichkeit. Google verarbeite personenbezogene Daten und sei damit für die Einhaltung des europäischen Datenschutzrechts mit verantwortlich – zumal der Konzern in Europa Niederlassungen habe und hier Geschäfte mache.
Das Urteil dürfte weit reichende Folgen haben. Viele tausend Menschen werden demnächst prüfen, was über sie im Internet zu finden ist – und Google dazu auffordern, unerwünschte Suchergebnisse zu entfernen. Wie der US-Konzern diese Aufgabe bewältigen wird, bleibt abzuwarten.
Auch die Zukunft der sogenannten Personensuchmaschinen steht seit gestern auf dem Spiel. Denn Dienste wie Yasni sind nun ebenfalls in der Pflicht, ihre Suchergebnisse auf Anforderung zu sichten und möglicherweise zu löschen.
Missbrauch des Internets möglich
Das aktuelle Urteil birgt allerdings auch eine Gefahr des Missbrauchs in sich. Während die einen mit Recht versuchen werden, ihren guten Ruf im Internet zu pflegen oder wiederherzustellen, gibt es auch die andere Seite: dubiose Geschäftemacher, fragwürdige Firmen und Kriminelle, die alles daransetzen, Aufklärung und Berichterstattung über sie im Internet zu verhindern. Schon heute sind Verbraucherschützer und Medien regelmäßig gezwungen, ihre Online-Archive gegen juristische Maulkorbversuche zu verteidigen. Das Urteil des EuGH könnte Wasser auf die Mühlen derer sein, die ihre Vergangenheit schönen und Links zu wichtigen Informationen bei Google verschwinden lassen wollen. Das aber darf nicht passieren.
Eine der größten Errungenschaften des Internets ist es, sich umfassend und leicht informieren zu können. Der Europäische Gerichtshof hat dieser technischen Möglichkeit rechtliche Leitplanken verpasst. Gut so. Meinungs- und Informationsfreiheit dürfen dadurch aber nicht gefährdet werden.