Bevor Walter Hildebrandt von den Vorzügen seiner Erfindung schwärmt, erzählt er erstmal eine Geschichte. Sie handelt von seinem Sohn und davon wie schwer es ihm fiel, den Jungen früher alleine zur Schule gehen zu lassen. Die gelbe Warnweste, die er eigentlich tragen sollte, um besser gesehen zu werden, zog er bald nicht mehr an. Jeden Tag zur Schule fahren wollte ihn Hildebrandt auch nicht. "Aber Kinder mögen Digitales, so kam ich auf die Idee."
Hildebrandt hat nach einer Möglichkeit gesucht, Kinder im Straßenverkehr besser zu schützen. Das klingt zunächst nach einer guten Sache. Eigentlich. Und doch hagelt es Kritik - an einer Schutzranzen-App seines Unternehmens Coodriver mit Sitz in Grünwald bei München. Datenschützer warnen vor einer totalen Überwachung.
Schulranzen-App soll Kinder auf dem Schulweg schützen
Es funktioniert so: Eine App auf dem Smartphone oder ein kleiner GPS-Sender im Ranzen erfassen die Position des Kindes. Kommt ein Autofahrer ihm gefährlich nahe, erhält er eine Warnung über sein eigenes Telefon, visuell und akustisch: "Achtung Kinder" oder auch "Achtung Schule", wenn er in die Nähe eines Schulgebäudes fährt. Telefoniert der Fahrer über eine Freisprecheinrichtung, wird das Gespräch mit der Ansage unterbrochen. So sollen Unfälle vermieden werden, etwa wenn Schüler von parkenden Autos verdeckt werden.
Das setzt allerdings voraus, das sowohl Kind als auch Fahrer die Anwendung installiert haben. Für Eltern bietet sich noch eine weitere Funktion: Sie können feststellen, wo sich ihr Nachwuchs aufhält.
Für einen Test hat das Unternehmen die Stadt Ludwigsburg in Baden-Württemberg gewonnen. "Wir wollen zusammen mit den Eltern als erste Stadt in Deutschland eine flächendeckende Verbreitung der Schutzranzen-App erreichen", erklärte Oberbürgermeister Werner Spec im vergangenen Jahr. Momentan informiert die Stadt Schulen und Elternbeiräte über das Projekt. Einen Starttermin gibt es nicht.
Auch im niedersächsischen Wolfsburg wollte man den Praxistest machen, doch inzwischen ist die Stadt zurückgerudert. Es gebe noch Klärungs- und Kommunikationsbedarf. Volkswagen hatte 2016 ebenfalls Interesse bekundet und eine Partnerschaft mit Coodriver unterzeichnet. Die Anwendung sollte in das Anzeige- und Bedienkonzept neuer Modelle integriert werden. Nach Auskunft des Konzerns wird das Projekt jedoch bereits seit dem vergangenen Jahr nicht mehr weiterverfolgt.
Kritik an GPS-Sender für Kinder: Dient die App der Totalüberwachung?
Kritik kommt auch von der niedersächsischen Datenschutzbeauftragten Barbara Thiel. "Wenn Eltern jederzeit per Knopfdruck die Position ihrer Kinder erfahren können, stellt das eine Totalüberwachung dar", sagte sie. "Die Aussage, dass die Positionsdaten der Kinder nur anonym in die Cloud übermittelt werden, ist zumindest zweifelhaft."
Auch der Verband Bildung und Erziehung hat wenig für das Projekt übrig. "Ich warne mit Nachdruck davor, sich trügerischen Sicherheiten im Tausch von Daten hinzugeben", sagt der Bundesvorsitzende Udo Beckmann. Es sei nicht Aufgabe der Eltern, stets zu wissen, wo ihr Kind sei, sondern sie fit für den Straßenverkehr zu machen.
Noch deutlicher wird der Bielefelder Verein Digitalcourage, der auf seinem Blog von einer neuen Stufe der Kinderüberwachung schreibt. "Wenn man das zu Ende denkt, müsste man jeden Fahrer, jedes Kind mit der App ausstatten, das ist utopisch", sagt eine Sprecherin. Zudem beklagen die Datenschützer mangelnde Transparenz - Daten gingen über die Server etwa an Google, Amazon und Microsoft.
Schulranzen-App-Entwickler: Daten sind sicher
"Wir wollen keine Daten verkaufen und speichern sie auch nicht", wehrt sich Hildebrandt. Alles werde verschlüsselt. Um sich zu registrieren, genüge ein Pseudonym. "Kein Autofahrer bekommt die exakte Position eines Kindes." Die App zeige lediglich Sektionen mit einem Radius von 150 Metern an, in der sich Kinder aufhielten. Für ein gutes Ergebnis brauche auch nicht jeder den digitalen Schutz - eine Abdeckung von 30 Prozent genüge.
Auch auf die Überwachungs-Vorwürfe hat Hildebrandt eine Antwort. Denn zumindest über die App können Eltern die Kinder nicht automatisch lokalisieren. "Das Kind muss die Funktion selbst freischalten und kann sie auch jederzeit wieder deaktivieren."
Ludwigsburg hält weiter an der Partnerschaft fest. Aber auch hier ist die Kritik angekommen. Datenschutz und -sicherheit hätten höchste Priorität, heißt es in einer Stellungnahme. Die Stadt will nun Datenschützer, Polizei, ADAC, Schulen und Eltern an einen Tisch holen, um über die Bedenken zu diskutieren. (dpa/lby)
Lebensretter Smartphone
Grundsätzlich kann jeder Handynutzer in Deutschland mit einer aktivierten SIM-Karte unter der Notrufnummer 112 eine Rettungsstelle erreichen.
Auch mit speziellen Apps kann ein Notruf abgesetzt werden. Zusätzlich können solche Anwendung den Standort lokalisieren und halten weitere wichtige Telefonnummern bereit.
Per Notfall-App kann oft mit nur einem Klick ein Notruf versendet werden. Mit Hilfe zuvor hinterlegter Daten wissen die Einsatzkräfte sofort, woher der Notruf stammt, was zu tun ist und welche Angehörigen/Freunde zu benachrichtigen sind.
Wenn Internetverbindung besteht, kann der aktuelle Standort mit entsprechenden Daten auch in einer Karten-App wie "Google Maps" angezeigt und übermittelt werden.
Wichtig: Per SMS können Rettungsdienste keine GPS-Daten empfangen. Rettungszentralen hingegen können zwar Geräte orten, das dauert jedoch und ist nicht unbedingt genau.
Prinzipiell sind Handys mit Satellit per GPS immer leichter zu orten. Dafür muss allerdings die GPS-Funktion eingeschaltet sein.
Für Android und iOS gibt es beispielsweise die kostenlose Notruf-App "Echo112". Per Knopfdruck ortet die Funktion den Handynutzer, stellt eine Verbindung zu einer Notrufzentrale im jeweiligen Land her und versendet die GPS-Koordinaten, auf die der Notdienst zugreifen kann.
Die kostenlosen iPhone-App "Protegon SOS" löst mit nur einem Knopfdruck einen Notruf aus. Die sogenannte GSM-Ortung ermöglicht auch ohne GPS oder WLAN Mobiltelefone ausfindig zu machen.