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Rechtsextremismus: Krieg, Flüchtlinge, Bildung: Gespräche in Senftenberg

Rechtsextremismus

Krieg, Flüchtlinge, Bildung: Gespräche in Senftenberg

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    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Die Kaffeetafel war gut gedeckt im altehrwürdigen Parkhotel Senftenberg, doch die Gesprächspartner von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vergaßen vor lauter Fragen und eigenen Erzählungen, vom Kuchen abzubeißen. Es ging in fast privater Atmosphäre bei Themen wie Bildungspolitik, Integration von Geflüchteten und Ukraine-Krieg - wie vom Bundespräsidialamt gewünscht - "kontrovers" zu. Das Staatsoberhaupt nahm sich auch am zweiten Tag seines Besuchs in der Stadt als ehemaligem Lausitzer Zentrum der Braunkohle Zeit für Gespräche mit Bürgern, einem Verein, Unternehmern und Kommunalpolitik. Bei einer Stippvisite in der Stadt hielt er in kleinen Geschäften an, kaufte in einem Buchladen einen neuen Roman und kam dem Wunsch von Einwohnern nach einem gemeinsamen Foto nach.

    Steinmeier hat Senftenberg mit seinen rund 23.000 Einwohnern bewusst für seine siebte "Ortszeit Deutschland" ausgesucht, jener Reihe, die ihn seit dem vergangenen Jahr immer wieder in kleinere Städte weit ab von Berlin führt. Er wolle genauer hinhören und hinsehen, Stimmungen mitbekommen, so der Bundespräsident. Nach der Corona-Pandemie müsse man das Gespräch miteinander wieder einüben. "Ich finde, das gelingt hier in Senftenberg", fasste Steinmeier zusammen. Die Stadt habe sich mit viel Kraft eine neue Zukunft aufgebaut. Nach 150 Jahren Bergbautradition könne man den Mut zum Wandel nicht hoch genug schätzen, sagte Steinmeier in der Stadtverordnetenversammlung.

    Auch an der Kaffeetafel im Parkhotel ging es im Gespräch mit Bürgern um Strukturwandel und den Fachkräftemangel. "Wenn Neues wächst, verschwindet Altes oft schneller, als das Neue da ist. Deshalb muss Politik immer wieder nachweisen, dass der Strukturwandel gelingen wird", betonte Steinmeier. In der Runde gab es auch eine ausgedehnte Debatte über Ursachen und Verantwortung für den Ukraine-Krieg und über die Frage nach Verhandlungen mit Russland. Steinmeier lobte die Aufnahme der ukrainischen Geflüchteten in der Stadt, die es geschafft habe, sie in Wohnungen unterzubringen. Gleichzeitig verurteilte er einmal mehr den Angriff Russlands auf die Ukraine. Zu viel Vertrauen sei zerstört worden, als dass es nach dem Ende des Krieges eine gemeinsame europäische Friedenspolitik geben werde wie vor dem Krieg. "Ich glaube, dass die Kriegsschuldfrage selten so eindeutig zu beantworten war wie das jetzt der Fall ist", so Steinmeier.

    Über Gegendemonstranten bei seiner Ankunft am Dienstag zeigte er sich "nicht beunruhigt". Dafür, dass bestimmte Gruppierungen auch über soziale Medien länger versucht hätten zu mobilisieren, seien die schätzungsweise 25 Gegendemonstranten eher eine "peinliche Veranstaltung" gewesen, so Steinmeier. Die Menschen, die ihn freundlich begrüßt hätten, seien in der Mehrzahl gewesen.

    Zum Auftakt seines Besuches hatten am Dienstag in der Nähe des Rathauses etwa 30 Anhänger der AfD gegen das Staatsoberhaupt demonstriert. Sie skandierten "Kriegstreiber", auf Transparenten hieß es "Frieden mit Russland" und "Steinmeier: Präsident der Regierung, nicht des Volkes". Die Stimmung war dennoch friedlich.

    Zu Beginn des Tages hatte sich das Staatsoberhaupt beim Verein "Unsere Welt - eine Welt e.V." über die Integration von Geflüchteten informiert. Der Verein begleitet seit über 25 Jahren Menschen mit Migrationshintergrund, etwa bei Behördengängen und Sprachkursen sowie bei der Vermittlung von Arbeit unterstützt. Mitglieder sind unter anderem geflüchtete Frauen aus der Ukraine, Syrien, Ungarn, Spätaussiedler und der Stadtgesellschaft. Sie erzählten dem Staatsoberhaupt vom Ankommen, den Familien und der Hilfe.

    Solch ein Verein brauche Wertschätzung für seine Arbeit, hob Steinmeier hervor. "Sie leben das als Beispiel, als Vorbild für andere." Er sehe sich in der Rolle, Menschen in ihrem Einsatz für ein Leben in einer demokratischen Gesellschaft zu ermutigen. "Natürlich gibt es Hass und Hetze (...), es gibt aber Gott sei Dank fast überall in unserer Republik eine Mehrheit in der Bevölkerung, die nicht bereit ist, das hinzunehmen", sagte er. In seiner Rede vor den Stadtverordneten ging er noch einmal darauf ein.

    Dort würdigte er den Einsatz von Lehrkräften und Betreuern in Schulen und Kitas für die Demokratie. "Dieses Engagement - und auch das Vorleben von Zivilcourage, das Aufstehen gegen Hetze, Hass und Rassismus - ist genauso wichtig wie Mathematik oder Biologie", erklärte das Staatsoberhaupt. Steinmeier nahm in seinem Manuskript nicht direkt Bezug zu Berichten über rechte Umtriebe an einer

    Gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Stern" ging er am Mittwoch direkt auf die Vorfälle ein und forderte Konsequenzen sowie eine offene Debatte über die Ursachen. "Es ist wichtig, dass die Geschehnisse nicht mehr verschwiegen oder klein geredet werden", sagte er. "Wie kann es sein, dass neonazistische Propaganda von größeren Schülergruppen offen zur Schau gestellt wird - und das so lange kaum Konsequenzen hat?", fragte Steinmeier. "Wieso überfallen gewaltbereite Vermummte friedliche Schüler und Schülerinnen?"

    Die Menschenwürde sei Kern unserer Demokratie, sagte Steinmeier. "Die Verherrlichung der Nazi-Verbrechen, rassistischer Hass auf andere Menschen, Mobbing und Gewalt - all das kann niemals Normalität sein."

    (dpa)

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