Etwa jeden Tag kommt es nach der Statistik einer Opferberatungsstelle in Berlin zu einem rassistischen Angriff oder einer Bedrohung. Die Zahlen der registrierten rassistischen sowie homosexuellenfeindlichen und antisemitischen Taten bewegen sich demnach seit mehreren Jahren auf einem ähnlichen Niveau, meist zwischen 300 und 400 Fällen, wie die Beratungsstelle Reachout am Mittwoch mitteilte. Im vergangenen Jahr wurden 353 entsprechende Taten gezählt. Im Jahr 2020 waren es 357 Taten, davor 390 Fälle.
Mindestens 620 Menschen seien im vergangenen Jahr bedroht, beschimpft oder verletzt worden, sagte Sabine Seyb von Reachout. Darunter seien 51 Kinder und 44 Jugendliche gewesen. Die Dunkelziffer solcher Taten sei aber sehr groß. "Wir erfahren nur von einem Bruchteil."
Meistens handelte es sich um Körperverletzungen. Der größte Anteil der Taten (219 Fälle, 60 Prozent) geschehe aus rassistischen Motiven, hieß es. 47 Taten richteten sich gegen Homosexuelle oder Transsexuelle, 24 Fälle waren antisemitisch, 27 Angriffe galten politischen Gegnern. Dazu kamen 17 Bedrohungen und Angriffe gegen Journalisten und zehn gegen obdachlose Menschen.
Die meisten Angriffe wurden demnach in Mitte (61) und Friedrichshain-Kreuzberg (55) erfasst. Es folgten Neukölln (36), Pankow (35), Lichtenberg (32), Charlottenburg-Wilmersdorf (26) und Tempelhof-Schöneberg (23).
Häufige Tatorte waren Straßen und Plätze, aber auch Haltestellen, Bahnhöfe und öffentliche Verkehrsmittel. Ein Schwerpunkt der Angaben von Reachout waren aber auch Übergriffe und Bedrohungen durch die Nachbarschaft im Wohnumfeld.
Als Beispiele wurden Fälle genannt, bei denen Eltern und Kinder aus rassistischen Motiven bedroht und beleidigt oder angezeigt würden. Bei einem Mann in Pankow wurden demnach von Nachbarn rassistische Parolen auf seine Wohnungstür geschrieben, sein Name wurde vom Briefkasten entfernt, Briefe wurden gestohlen und Müll wurde auf seinen Balkon geworfen. Eine Frau berichtet von Schikanen gegen sie und ihre Familie durch die Nachbarn, die sich bei der Wohnungsbaugesellschaft und dem Jugendamt beschwert hätten.
Reachout sammelt die Daten nach eigenen Angaben anhand von Mitteilungen der Polizei, Medienberichten sowie Meldungen von Zeugen und Betroffenen. Hinzu kommen Angaben anderer Initiativen in den Bezirken. Damit werden auch Ereignisse und Taten erfasst, die nicht bei der Polizei angezeigt wurden. Entscheidend für die Erfassung sei die Wahrnehmung des Opfers und nicht die juristische Einordnung als Gewaltdelikt. Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr 153 Gewaltdelikte aus dem Bereich rechtsradikaler Täter.
Die Opferberatung forderte eine Enquete-Kommission gegen Rassismus im Abgeordnetenhaus für eine langfristige Auseinandersetzung mit dem Thema - auch mit Blick auf Rassismus von Institutionen wie der Polizei oder anderen Behörden.
(dpa)