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Jahreswechsel: Böllerverbot? Berlin diskutiert über Silvester-Gewalt

Jahreswechsel

Böllerverbot? Berlin diskutiert über Silvester-Gewalt

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    Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk.
    Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk. Foto: Julius-Christian Schreiner/TNN, dpa (Archivbild)

    Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat eine bundesweite Debatte über Konsequenzen nach den Angriffen auf Polizei und Feuerwehr in der Silvesternacht gefordert. "Es gibt hier natürlich Gesprächsbedarf, das ist völlig klar", sagte Giffey am Montag in Berlin. "Es ist auch klar, es wird nicht nur eine Berliner Diskussion sein können, es muss eine bundesweite Diskussion sein. Wir können bestimmte Regelungen nicht alleine in Berlin treffen." Giffey wies darauf hin, dass Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) im Januar den Vorsitz der Innenministerkonferenz übernehme und schon zugesagt habe, das Thema dort anzusprechen. Immer wieder kam es in Berlin in den vergangenen Jahren über Silvester zu Zwischenfällen. Nun fällt die Debatte in die heiße Phase des Wahlkampfs. Am 12. Februar ist die Wiederholungswahl angesetzt. Über den Jahreswechsel waren Polizei und Feuerwehr in der Hauptstadt bei fast 4000 Einsätzen gefordert - dabei wurden sie in zahlreichen Fällen etwa mit Böllern und Raketen angegriffen. Die Feuerwehr dokumentierte nach eigenen Angaben bei mindestens 38 Einsätzen Angriffe. Sie beklagte am Sonntag 15 Verletzte. Die Feuerwehr sprach in einer vorläufigen Bilanz zudem von mehr als 20 verletzten Bürgern.

    Bei der Polizei gab es nach jüngstem Kenntnisstand 41 Verletzte, wie ein Polizeisprecher am Montagabend sagte. Zu der Schwere der Verletzungen konnte er keine Angaben machen. Im Zusammenhang mit den Vorfällen habe es 159 Festnahmen gegeben, sagte der Sprecher.

    Am Montag meldete die Polizei zudem weitere Zwischenfälle, bei denen Einsatzkräfte mit Feuerwerk beschossen worden sein sollen - in Kreuzberg sowie in Neukölln. Die Feuerwehr veröffentlichte ein Video mit wilder Böllerei aus der Silvesternacht: "Wir sind fassungslos!" In dem Video sind wild fliegende Knallkörper zu sehen. Ein Stimme ist aus dem Einsatzwagen zu hören: "So meine Herren, jetzt hören wir aber mal auf, zu schießen!" Dann entfernt sich der Wagen rückwärts von der Böllerei.

    Die Berliner Gewerkschaft der Polizei sprach sich für ein bundesweites Verbot von Böllern und Raketen für Privatleute aus. "Wir glauben nicht, dass die Bevölkerung in größeren Teilen an Silvester Pyrotechnik selbst zünden muss", sagte GdP-Sprecher Benjamin Jendro am Montag der Deutschen Presse-Agentur.

    Um das Verbot umzusetzen, müsse sich die Bundesregierung für ein bundesweites Verkaufsverbot entscheiden. Auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und Grünen-Fraktionsvorsitzende Silke Gebel forderten ein Böllerverbot. "Es braucht ein ganzjähriges Verkaufsverbot durch den Bund. In Berlin braucht es flächendeckende Verbotszonen für das Abbrennen von Feuerwerk. Andere Metropolen machen es längst vor, dass auch mit öffentlichem Feuerwerk bessere Alternativen zur Verfügung stehen", so Gebel.

    Auch Innensenatorin Spranger hält eine deutliche Beschränkung privater Feuerwerke für nötig und spricht sich für eine Anpassung des bundesweiten Sprengstoffgesetzes aus. "Ich appelliere an die Bundesländer, Initiativen aus Berlin im Bundesrat zu unterstützen, um das Sprengstoffgesetz dahingehend anzupassen, dass jedes Bundesland weitgehende Beschränkungsmöglichkeiten erhält bis hin zum Verbot des privaten Einsatzes von Pyrotechnik", sagte sie am Montag.

    Der Chef der Tourismusgesellschaft Visit Berlin, Burkhard Kieker, sprach sich ebenfalls für solche Einschränkungen aus. "Ich bin inzwischen für ein totales Böllerverkaufsverbot in Berlin", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Wenn friedliches Feiern nicht möglich sei, dann müsse man sich eben auf ein großes Feuerwerk beschränken. Die Bilder von der Silvesterfeier am Brandenburger Tor seien jedenfalls ein Aushängeschild für Deutschland. "Die sind in der ganzen Welt zu sehen", sagte Kieker. Er befürchtet Aufnahmen von Angriffen auf Einsatzkräfte könnten Touristen eher abschrecken.

    CDU-Landeschef Kai Wegner lehnt ein allgemeines Böllerverbot ab. "Ich finde, wir dürfen nicht, weil einige Hundert Chaoten, Verbrecher Polizei und Feuerwehr angreifen, den Familien diese Tradition nehmen", sagte er am Montagmorgen im ARD-"Morgenmagazin".

    Auch der FDP-Fraktionschef im Bundestag, Christian Dürr, sagte, er glaube nicht, dass man mit Verboten weit käme: "Wer Rettungskräfte und Polizisten gezielt angreift, den wird auch ein Verbot von Feuerwerkskörpern nicht stoppen. Diese Menschen üben bewusst Gewalt aus und werden sich Böller auf anderen Wegen beschaffen", so Dürr.

    Die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft forderte, Einsatzfahrzeuge mit sogenannten Dashcams auszustatten - also mit kleinen Kameras, mit denen Angriffe besser dokumentiert werden könnten. "Es ist unvorstellbar, was unsere Einsatzkräfte in dieser Silvesternacht erleben mussten", sagte der Landesvorsitzende Lars Wieg einer Mitteilung zufolge.

    Aus Sicht des Psychologen Ahmad Mansour wäre eine bundesweite Integrationsdebatte nötig. "Wir haben es mit einer Gruppe zu tun, die nicht integriert ist, die nicht angekommen in dieser Gesellschaft ist. Eine Gruppe, die die Polizei und den Rechtsstaat teilweise verachtet und ablehnt", sagte Mansour.

    Seinen Beobachtungen zufolge sind in der Hauptstadt unter den Angreifern junge Menschen mit Migrationshinterhintergrund, aber auch Flüchtlinge gewesen. Immer wieder komme es zu Angriffen auf Polizisten und andere Einsatzkräfte - auch in anderen Städten. "Wir müssen endlich aufhören, solche Phänomene und Debatten punktuell wahrzunehmen", forderte Mansour.

    Das Wichtigste sei, die Menschen zu erreichen, zum Beispiel durch mehr Kommunikation und Begegnungen mit dem Sicherheitsapparat. "Wir müssen klarmachen, dass die Tatsache, dass man bei uns gegenüber Staat und Polizei Rechte hat, kein Ausdruck von Schwäche, sondern von Stärke ist", sagte Mansour. In Böllerverboten sehe er keine Lösung. Man könne nicht alles mit Verboten regeln.

    (Von Anja Sokolow und Andreas Heimann, dpa)

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