Berlin ist bei der Europawahl seinem Ruf gerecht geworden, politisch etwas anders zu ticken als der Rest der Republik. Dabei zeigt das Abstimmungsverhalten allerdings auch deutliche Unterschiede innerhalb der Hauptstadt. Auffallend ist, dass in der Hauptstadt die Grünen mit 19,6 Prozent der Stimmen auf Platz eins landeten. Die Partei verlor im Vergleich zum Ergebnis von 2019 allerdings deutlich. Damals erreichte sie noch 27,8 Prozent. Die CDU, bundesweit mit Abstand klarer Sieger der Europawahl, musste sich in Berlin mit 17,6 Prozent und dem zweiten Platz zufriedengeben.
Die Christdemokraten, die seit gut einem Jahr den schwarz-roten Senat anführen, schnitten damit zwar etwas besser ab als bei der Europawahl vor fünf Jahren, lagen aber weit hinter ihrem Ergebnis bei der Wahl zum Landesparlament 2023, bei dem sie auf 28 Prozent kamen. Die AfD dagegen, die in den ostdeutschen Bundesländern und auch im Nachbarland Brandenburg am Sonntag stärkste Kraft wurde, schaffte solche Zuwächse in Berlin nicht. Sie landete mit 11,6 Prozent der Stimmen auf Platz vier.
"Die Volksparteien verschrumpeln"
Landeswahlleiter Stephan Bröchler sieht die Unterschiede zwischen ehemals großen und kleinen Parteien immer mehr schwinden. "Die Volksparteien verschrumpeln, verzwergen", sagte er am Montag. Auch durch die Zersplitterung in viele kleine Parteien zeigten sich Veränderungen, etwa wenn Volt (4,8 Prozent) in Berlin mehr Stimmen erhalte als die FDP (4,3 Prozent).
Die Wahlbeteiligung sei in den Bezirken erneut sehr unterschiedlich gewesen, in Steglitz-Zehlendorf als sehr bürgerlichem Bezirk lag sie bei 69,8 Prozent, in Marzahn-Hellersdorf und Spandau am Stadtrand bei 54,6 und 54,7 Prozent.
Auffällig sei die Aufteilung Berlins in einen westlichen Teil mit Mehrheiten für die CDU, einen mittleren Teil der Innenstadt plus Pankow und Neukölln mit den vorne liegenden Grünen und die östlichen Bezirke mit der AfD an erster Stelle. In Marzahn-Hellersdorf erreichte die Partei 25,3 Prozent der Stimmen.
BSW im Osten stark
Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht sei im Osten Berlins am stärksten gewesen, sagte Bröchler. In Marzahn-Hellersdorf kam das BSW auf 17,1 Prozent. Insgesamt schnitten die Grünen in der Hälfte der zwölf Berliner Bezirke am besten ab. In je drei Bezirken lagen die CDU und die AfD vorn.
Die SPD in Berlin ist dagegen insgesamt auf Platz drei gelandet und im Vergleich zu den zurückliegenden Wahlergebnissen noch ein Stück abgerutscht: Sie erreichte 13,2 Prozent und damit ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Europawahl in der Hauptstadt überhaupt. Die Linke verlor deutlich und kam auf 7,3 Prozent, das BSW, das erstmals in Berlin bei einer Wahl angetreten ist, auf berlinweit 8,7 Prozent.
Bundesweit haben die Parteien der Ampel-Regierung alle verloren. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) forderte die Bundesregierung entsprechend zu einem Kurswechsel auf. Der Ausgang der Wahl sei ein deutliches Zeichen an die Ampel-Regierung, ihre Politik endlich zu ändern und auf die Sorgen der Menschen zu reagieren, sagte er am Montag. "Der Dauerstreit in der Bundesregierung richtet großen Schaden an, immer mehr Menschen wenden sich den extremen Parteien zu. Die Wahlergebnisse für die AfD müssen wir alle sehr ernst nehmen." Deutschland brauche dringend einen Neustart in der Migrationspolitik, in der Wirtschaftspolitik und in der Sicherheitspolitik.
14 Abgeordnete aus Berlin kommen ins Europaparlament
Ins neue EU-Parlament ziehen 14 Abgeordnete aus Berlin ein, das ist einer mehr als bisher. Darunter sind nach Angaben der Landeswahlleitung vier Abgeordnete von den Grünen und jeweils zwei von SPD, Linke und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Je einen Abgeordneten stellen CDU, AfD, Volt und Die Partei des Satirikers Martin Sonneborn. Neun der Politiker saßen bisher schon im Europaparlament, fünf wurden neu hineingewählt.
Eine Fünf-Prozent-Hürde wie bei Wahlen auf Bundes- und Landesebene gab es am Sonntag nicht. In Berlin standen 34 Parteien auf dem Stimmzettel. Einzig die CDU trat mit einer Landesliste an, Berliner Spitzenkandidatin war Hildegard Bentele. Die übrigen Politiker mit Wohnsitz Berlin zogen über die Bundeslisten ihrer jeweiligen Parteien in das Europaparlament ein.
(dpa)