Deutlich mehr rassistische, antisemitische und queerfeindliche Angriffe und Bedrohungen hat die Sammelstelle Berliner Register erfasst. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 5286 Vorfälle registriert, teilte die Meldestelle am Donnerstag mit. 2022 seien es 4156 Fälle gewesen.
Ein Höchststand der Zahlen sei in den Themenfeldern Antisemitismus, Rassismus und LGBTIQ*-Feindlichkeit erreicht worden, hieß es. Hier sei der besonders deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen der Mobilisierung im Internet und dem Geschehen auf der Straße gebe, sagte Projektleiterin Kati Becker. "Hass im Netz verwandelt sich zu Hass auf der Straße", sagte sie.
Starker Anstieg antisemitischer Vorfälle
Deutlich zu spüren sei dies im Kontext mit dem Gaza-Krieg. Unmittelbar nach dem Terroranschlag der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 gab es laut der Sammelstelle erste Meldungen. 62 Prozent der insgesamt 1113 antisemitischen Vorfälle im Jahr 2023 seien nach dem Angriff erfasst worden. 2022 wurden 810 Fälle gezählt.
Zu den Auffälligkeiten gehörte die Vielzahl von Davidsternen, die an Hausfassaden prangten. "Ich habe in fast 20 Jahren noch nie erlebt, dass Davidsterne an Wohnhäuser gesprayt wurden", sagte Becker. Jüdische Menschen hätten diese an die Novemberpogrome und Markierungen durch Nazis erinnert. Die Innenstadtbezirke sind insgesamt stärker betroffenen als die Randbezirke. Als Gründe dafür sieht die Sammelstelle, dass es dort mehr Demonstrationen gibt und mehr jüdische Einrichtungen ihren Sitz haben.
Auch die Berliner Polizei und Meldestellen des Netzwerks Rias haben seit dem Terrorangriff einen starken Anstieg antisemitischer Vorfälle registriert. Die Zahlen unterscheiden sich jedoch wegen unterschiedlicher Grundlagen. Das Berliner Register, das in allen Bezirken der Stadt aktiv ist, zählt beispielsweise auch Vorfälle wie Schmierereien oder Beleidigungen, die keine Straftaten darstellen oder nicht bei der Polizei angezeigt werden.
Doppelt so viele queerfeindlicher Vorfälle
Die Zahl der LGBTIQ*-Feindlichkeit hat sich laut Register 2023 verdoppelt, es gab bei 464 Vorfälle (2022: 239). Die Abkürzung LGBTIQ* steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-Menschen, intergeschlechtliche sowie queere Menschen, das Sternchen ist Platzhalter für weitere Identitäten und Geschlechter. "Die Hetze im Netz ist ein Grund für den Anstieg der Zahlen", hieß es. Zudem seien queere Menschen und ihre Symbole öffentlich sichtbarer geworden. "Dadurch gab es mehr Gelegenheiten sie anzugreifen als in den Vorjahren."
Nach wie vor gibt es nach Einschätzung von Beratungsstellen eine hohe Dunkelziffer. Die gemeldeten Fälle seien "nur die Spitze des Eisberges", sagte Anne Schaar vom Lesbischen Antigewaltprojekt L-Support. Für viele Betroffene sei der Prozess, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten, zu aufwendig.
Mehr rassistische Angriffe
Auch die Anzahl rassistischer Angriffe stieg nach den Zahlen des Registers: 2023 wurden 155 Vorfälle erfasst, im Vorjahr waren es 130. Insgesamt wurden 1459 Vorfälle als rassistisch eingestuft (2022: 1132). 28 Prozent aller von der Sammelstelle erfassten Ereignisse sind nach den Angaben rassistisch motiviert.
14 Vorfälle täglich im Durchschnitt erfasst
Im Durchschnitt dokumentierte die Sammelstelle täglich 14 Vorfälle. Den größten Anteil mache mit 54 Prozent aller Vorfälle Propaganda aus (2023: 2865; 2022: 2459). In 21 Prozent der Fälle gehe es um Antisemitismus.
Der Berliner Grünen-Landesvorsitzende Philmon Ghirmai bezeichnete den Anstieg der Vorfälle als "verheerend". "Antisemitismus und Rassismus bleiben in Berlin ein grassierendes Problem, Antifeminismus und Queerfeindlichkeit nehmen zu." Die schwarz-rote Regierung stehe in der Pflicht, für die Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger in der Stadt zu sorgen.
Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) hob hervor, das Land fördere und unterstütze das Berliner Register. "Denn eine Gesellschaft kann nur gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Formen der Menschenverachtung vorgehen, wenn sie diese Verstöße sichtbar macht", so Kiziltepe. "Die Registerstellen werfen ein Licht in diesen dunklen Bereich unserer Gesellschaft und ermöglichen somit eine orts- und kiezbezogene Auseinandersetzung mit menschenverachtenden Aktivitäten."
(dpa)