Der frühere Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat jede Verantwortung des Bundes für das Kosten- und Planungsdebakel bei der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München zurückgewiesen. Der Bund, so sagte Scheuer am Montag vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags, sei bei der zweiten Stammstrecke kein „Projektbeteiligter“ sondern lediglich „Finanzhilfegeber“. Warnungen aus München, dass die Kosten sich verdoppeln und der Bau sich um viele Jahre verzögern könne, hätten ihn nicht erreicht – und selbst wenn, wäre er nicht zuständig gewesen.
Dass in München im Herbst 2020 alle Alarmglocken schrillten, liegt den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss schwarz auf weiß vor – unter anderem in Form eines Briefes, den die damalige bayerische Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) am 7. Oktober an ihren Parteifreund Scheuer geschickt hatte. Dieser Brief, so sagte Scheuer, habe zwar sein Ministerium, nicht aber ihn persönlich erreicht. Auch an ein Telefonat mit Schreyer zur zweiten Stammstrecke, könne er sich nicht erinnern. Nach Darstellung Scheuers wäre er in der Sache ohnehin der falsche Ansprechpartner gewesen. Bei der zweiten Stammstrecke handle es sich um ein Projekt der Bahn. Auftraggeber sei der Freistaat Bayern. Der Bund prüfe lediglich, ob das Projekt aus Bundesmitteln mitfinanziert werden könne. Diese Entscheidung sei schon gefallen gewesen, als er im Jahr 2018 das Ministerium übernommen hatte.
Die Bahn habe versichert, die Kosten würden im Rahmen bleiben
„Die zweite Stammstrecke hatte für mich, dadurch, dass der Bund nicht Projektbeteiligter ist, gar keine Relevanz“, sagte Scheuer. Er habe lediglich im Juli 2019 an einem Spitzengespräch teilgenommen. Dabei wurden mehrere Umplanungen beschlossen, die mittlerweile als Hauptursache des Debakels gelten. Damals aber, so betonte Scheuer, habe die Bahn noch versichert, dass Kosten und Bauzeit im Rahmen bleiben würden. Danach sei er mit dem Projekt nicht mehr befasst gewesen. Die Abgeordneten zeigten sich über die Antworten irritiert. Kostensteigerungen im Umfang von mehreren Milliarden Euro beträfen schließlich auch den Bund, weil dann andernorts Mittel für Verkehrsprojekte fehlten. Außerdem habe auch der Bundesrechnungshof das Projekt kritisiert.
Scheuer verwies darauf, dass sich die Mitfinanzierung des Bundes nach klar definierten gesetzlichen Vorgaben richte und das Bundesverkehrsministerium darauf keinen Einfluss habe. Und was den Bundesrechnungshof betreffe, könne man das „so oder so sehen“. Dort beschäftigt man sich nach seiner Darstellung auch mit Kleinigkeiten. Er habe nach einer Prüfung eines Projekts mit E-Rollern mal 69,90 Euro zurückgezahlt.
Abgeordneter ist sprachlos über Scheuers Erinnerungslücken
Die Kommentare einiger Abgeordneter fielen wenig freundlich aus. Albert Duin (FDP) zeigte sich „sprachlos“ über Scheuers Erinnerungslücken. Inge Aures (SPD) erklärte: „Maut, Schrott-Masken, Stammstrecke – wo Andreas Scheuer seine Finger im Spiel hat, geht es immer um Murks, Mauscheleien und massive Steuergeldverschwendung.“ Der Ausschussvorsitzende Bernhard Pohl (Freie Wähler) sagte: „Wenn man sich als Bundesminister an eine Prüfungsmitteilung über 69,90 Euro erinnert, nicht aber an vier Milliarden, dann zeigt das eine völlig verquere Schwerpunktsetzung.“
Scheuers Nachfolger, Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), bestätigte als zweiter Zeuge die Darstellung Scheuers über die Zuständigkeiten. Die zweite Stammstrecke sei ein Projekt der Bahn, die Überwachung von Zeit- und Kostenplänen sei Sache des Freistaats Bayern. In einem Punkt aber korrigierte Wissing seinen Vorgänger. Aus einem Vermerk im Ministerium gehe hervor, dass Scheuer am 6. Oktober 2020 mit Schreyer wegen der zweiten Stammstrecke telefoniert habe.
Zum Abschluss der Sitzung fasste der Ausschuss den Beschluss, den früheren Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) als Zeugen zu laden – auf dessen eigenen Wunsch, wie Pohl sagte.