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Zwei Jahre Corona: Was uns fertig & was uns Hoffnung macht

Mit Masken durch die Straßen laufen: Wer das vorher gesagt hätte, dem hätten wir auf die Schulter geklopft und geraten, es doch mal im Drehbuchseminar bei Roland Emmerich zu probieren, Abteilung: unrealistische Plots.
Foto: Rüdiger Wölk, Imago Images
Essay

Zwei Jahre Corona: Was uns fertig und was uns Hoffnung macht

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    Journalistinnen und Journalisten sind keine Historiker, da müssen wir uns gar nichts einbilden. Wir schreiben, bestenfalls, eine allererste Version für die Geschichtsbücher, und auch das höchstens mit Bleistift, weil derart viele unserer ersten Versionen schon ziemlich bald ausradiert werden müssen.

    Da das so ist, tun wir uns meist schwer mit Begriffen wie „historisch“ und auch mit historischer Erinnerung. Aber es gibt Situationen, es gibt Themen, die einfach in diese Kategorie fallen, Corona gehört, leider, dazu. Zitieren wir doch eine Nachricht, die von der Deutschen Presse-Agentur verbreitet wurde, sie war recht kurz, es war keine Eilmeldung, so wie fast jedes Update aus dem Hause Trump oder die letzten Irrungen und Wirrungen um das britische Königshaus. Viele Medien haben sie nicht einmal abgedruckt. Am 31. Dezember 2019 um 10.31 Uhr lief sie über den Ticker, sie begann mit den Sätzen: „Eine mysteriöse Lungenkrankheit ist in der zentralchinesischen Metropole Wuhan ausgebrochen. Bislang seien 27 Erkrankte identifiziert worden, berichtete die Gesundheitskommission der Stadt . . .“

    Diese Meldung wird einst in Museen vielleicht ausgedruckt stehen, Doktorarbeiten werden darüber geschrieben werden, so wie über die Emser Depesche, die erste Erwähnung dieses „Internets“ oder die später ewig verlachte These eines IBM-Bosses, auf dem Planeten sei höchstens ein Markt für vielleicht fünf Computer. Aber wenn eine Gesellschaft, ja eine Menschheit, noch mittendrin steckt in der Krise, will sie nicht zurückschauen, keine historische Exegese betreiben, dann will sie vor allem wissen, wann es besser wird, und zuallererst sagt sie, wenn sie an diese Meldung zurückdenkt: Was für ein Mist!

    Corona ist eine Zumutung, die scheinbar nicht vergehen will

    Corona ist eine Zumutung, hat die damalige Kanzlerin Angela Merkel zu Beginn der Pandemie gesagt, es ist einer der (wenigen) Sätze, die von einer rhetorisch unauffälligen Kanzlerin hängen bleiben werden, fast wie ihr legendäres „Wir schaffen das“, nur ohne den optimistischen Teil. Vielleicht hat die Naturwissenschaftlerin Merkel, die exponentielle Kurven verschlingt wie andere Leute Klatschmagazine, schon geahnt, dass dieser Satz ohnehin eine (mal wieder historische) Untertreibung ist. Denn Corona ist eine Zumutung, die scheinbar nicht vergehen will. Im Januar 2020, als die ersten Nachrichten auftauchten, haben wir Journalisten – Händler in flüchtiger Tageswährung eben – noch überlegt, ob das Thema die nächsten Wochen trägt, wie oft es sich „weiterdrehen“ lässt.

    Aber dass wir zwei Jahre lang nahezu ausschließlich über dieses Thema schreiben würden, dass wir dies im Lockdown-Modus tun würden, sodass Volontärinnen uns sagen, sie könnten sich gar nicht vorstellen, wie das sei, mit Leuten persönlich zu sprechen, dass wir Grundrechte und deren Geltung offen verhandeln würden, mit Masken durch die Straßen laufen, Kinder zu Hause unterrichten, nun „Spaziergänger“ sehen würden, die auf ihren Spaziergängen Journalisten anpöbeln und manchmal gar schlagen? Wer das vorher gesagt hätte, dem hätten wir auf die Schulter geklopft und ihr oder ihm geraten, es doch mal im Drehbuchseminar bei Roland Emmerich zu probieren, Abteilung: besonders unrealistische Plots.

    Und plötzlich waren Menschen auf den Straßen, die sich unangemeldet in großen Gruppen versammelten und das "Spaziergang" nannten.
    Und plötzlich waren Menschen auf den Straßen, die sich unangemeldet in großen Gruppen versammelten und das "Spaziergang" nannten. Foto: Markus Scholz, dpa

    Ach so, mögen Sie nun einwenden, liebe Leserinnen und Leser, das ist doch nichts Besonderes. Schauen Sie mal, wie es bei mir ausschaut, was unsere Familie durchgemacht hat, wie sehr sich an den Schulen, in den Firmen alles geändert hat…

    Bei Corona kann jeder mitreden, aus persönlicher Betroffenheit

    Denn merke: Bei Corona kann jeder mitreden, aus persönlicher Betroffenheit. Das ist etwa der große Unterschied zur Flüchtlingsdebatte, die auch viele Debatten ausgelöst hat, aber nicht jeder war wirklich betroffen, nicht jeder wollte, konnte, musste ständig mitreden. Neulich stand eine Kollegin bei mir im Büro, sie sagte nur: „Es hört einfach nie auf mit diesem Corona, mit den Diskussionen dazu. Morgens, mittags, abends und dann weiter.“ Fast wie im Krieg, ohne dass man einen schiefen historischen Vergleich ziehen mag, es herrscht eine allumfassende Betroffenheit, eine persönlich/nationale/globale, die wohl kaum jemand von uns so vorher erlebt hat.

    Es kam in den vergangenen zwei Jahren vielen vor, als sei das ganze Leben ein einziges Würfelspiel.

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    Es sei gerade Ausdruck der Moderne, dass ab und an in einer Art Revolution ganz radikal neu gedacht werde, schreibt der Soziologe Andreas Reckwitz, nachdem über viele Jahre scheinbar alles immer gleich sein musste. Das ist eine Errungenschaft, historisch, so entstanden Parlamente, Mitbestimmung, Frauenrechte, Schwulenehe. Aber Gesellschaften haben sich diese Veränderungen in der Regel selbst erkämpft, in langen Debatten. Corona hat diese von außen aufgestülpt, in wenigen Momenten (einem historischen Wimpernschlag sozusagen). Gott würfelt nicht, hat Albert Einstein gesagt. Aber es kam in den vergangenen zwei Jahren vielen vor, ob gläubig oder nicht, als sei das ganze Leben ein einziges Würfelspiel, vielleicht gar eins mit gezinkten Würfeln.

    Das macht was mit uns Menschen. Menschsein macht nun mal aus, dass der Mensch seine eigene Rolle reflektiert. Haben wir den Test bestanden, sind wir menschlicher geworden, vielleicht auch mitfühlender? Global hat das schon mal nicht geklappt. Während wir in Deutschland schon über die Viertimpfung diskutieren, ist in Afrika nicht einmal jeder zehnte Mensch überhaupt geimpft.

    Wie ging es uns in dieser Krise?

    Kommen wir aber, ohne unsere eigene Rolle zu überhöhen, auf uns Journalisten zurück. Ein wenig sind wir auch ein Spiegel der Gesellschaft, deswegen lässt sich an unseren Erfahrungen einiges ableiten über unser Herein-Wachsen in eine ganz neue Herausforderung und die damit verbundenen Wachstumsschmerzen.

    Wie ging es uns in dieser Krise? Da war am Anfang der Schock, der Unglaube. Und auch das Unwissen. Wer hat überhaupt die Kompetenzen, so die bange Frage in jeder Redaktion, um über Corona kundig zu schreiben? In einer Zeit, da die Leute noch mehr auf diese Informationen warten, vertrauen, ja gieren?

    Man kann tun was man will: Corona ist seit zwei Jahren allgegenwärtig. Die Maske auch.
    Man kann tun was man will: Corona ist seit zwei Jahren allgegenwärtig. Die Maske auch. Foto: Marcus Brandt, dpa

    Dann kam der Unwille, eine Berufskrankheit. Wollen wir etwa Grundrechte in der Pandemie einfrieren lassen, gefühlt ja auch die Pressefreiheit? „Schaffen wir gerade unsere Freiheit ab?“, lautete damals ein Leitartikel, er führte zu tausenden Leserbriefen, viele positive, viele wütende.

    Danach die Phase, in der man nichts richtig zu machen schien. Kritik von denen, die einem vorhielten, man nehme die Seuche nicht ernst genug, sei also potenziell ein Oma-und-Opa-Mörder. Oder das Gegenteil: Man sei regierungshörig und lasse sich eh jeden Satz direkt von Merkel, Drosten und Lauterbach in den Block diktieren, von Bill Gates oder George Soros ganz zu schweigen.

    Ähnlich wie die Opposition im Bundestag tasteten auch wir uns ran

    Was ist dann die Aufgabe von Presse: im Zweifel dagegen? Oder müssen wir eine konstruktive Rolle spielen? Der Chef von Ringier, einem großen Schweizer Verlagshaus, ist in die Kritik geraten, weil er auf einer Tagung sagte, es sei Aufgabe seiner Blätter in dieser Krise gewesen, die Regierung zu stützen. Das ist natürlich Unsinn, der Mann hat sich auch entschuldigt. Aber ein bisschen von diesem Gefühl schlich in unser aller Köpfe: Ist es nun nicht auch zunächst einmal Aufgabe, verantwortungsvoll zu agieren?

    Das veränderte sich, aber dafür brauchte es Zeit. Wir bemühten uns, nach und nach diversere Meinungen abzubilden, etwa bei den Virologinnen und Virologen, wir versuchten, mit Leuten, die das Zeitungsabo wegen unserer Corona-Berichterstattung abbestellten, ins Gespräch zu kommen. Ähnlich wie die Opposition im Bundestag tasteten wir uns ran an die Erkenntnis: Man kann sehr wohl Corona-Maßnahmen kritisieren, ohne ein Corona-Verharmloser zu sein. Man muss aber auch eine rote Linie ziehen, was man nicht jeden Schwurbler sagen lassen kann in der Zeitung.

    Dann war da plötzlich die US-Präsidentenwahl mit Donald Trump. Sie brachte Abwechslung in den tristen Corona-Alltag. Damit kam gewissermaßen auch der Leichtsinn.
    Dann war da plötzlich die US-Präsidentenwahl mit Donald Trump. Sie brachte Abwechslung in den tristen Corona-Alltag. Damit kam gewissermaßen auch der Leichtsinn. Foto: Ross D. Franklin, AP/dpa

    Und dann kam, auch für uns, die Leichtsinnsphase. Die Sommer etwa, als wir uns auf Wahlkämpfe stürzten, erst den in den USA, dann den in Deutschland. Und ja, es ist schmissiger (und ehrlicherweise auch einfacher), über Trumps letzten Tweet oder Laschets letztes Lachen zu schreiben als über Virus-Zusammensetzungen. Und vor der nächsten Krise zu warnen, ist eh kein Geschäft für oft aufmerksamkeitsgestörte Politik und Medien. Politiker werden selten gewählt, weil sie vor Krisen warnen oder für diese vorsorgen (wir Bürger wollen das gar nicht so gerne hören). Journalisten werden aber auch seltener gelesen, wenn sie immer nur warnen und Düsterstes ausmalen.

    Gibt es nichts Positives in der Corona-Krise?

    Und dann kam, wieder, die Enttäuschung. Noch eine Welle. Noch mal eine monothematische Verengung, noch mal nur Corona, mit all seinen Einschränkungen, buchstäblich. Hoffnung war in Corona-Zeiten auch immer da, um enttäuscht zu werden. Der große Erich Kästner hat mal auf die Frage: „Herr Kästner, wo bleibt das Positive?“ geantwortet: „Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.“ So war Corona, und das macht was. „Wir sind alle so fertig und gereizt als Gesellschaft“, hat die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, gerade gesagt. Da geht es mal nicht um die Frage, ob die Corona-Warn-App zu langsam kam oder Gesundheitsämter über das Wochenende Inzidenzzahlen berichtet haben oder nicht, es geht um Größeres, um den dünnen Firnis der Zivilisation.

    Wir sehen an jeder Stelle, wie der ächzt und reißt, bei uns, aber auch auf dem Planeten. Die zehn reichsten Menschen der Welt haben in der Krise ihr Vermögen verdoppelt, hunderte Millionen Menschen mehr sind in Armut versunken. Spaltungen haben sich vertieft. Wie viele von Ihnen haben sich nicht getraut, an Weihnachten über Corona zu diskutieren, weil „doch Weihnachten“ ist und es friedlich bleiben soll? In den USA kann man am Maskentragen erkennen, wo jemand politisch steht. Die „Linken“ tragen sie, die „Rechten“ reißen sie sich stolz vom Mund oder setzen sie erst gar nicht auf. Und Donald Trump plant sein Comeback.

    Und doch: Vielleicht wurde noch nie so viel auch über Hoffnung gesprochen, denn was wäre das Leben ohne sie.

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    Gibt es also gar nichts Positives? Wir sollten mehr auf die Wissenschaft hören, hieß es immer wieder. Wir tun auch jetzt gut daran, weil selbst Christian Drosten genau diesen Optimismus scheinbar neu entdeckt hat. Ein normales Leben sei absolut vorstellbar, sagte er gerade, wir müssten vielleicht noch ein paar Jahre in bestimmten Situationen Maske tragen (dass so eine Aussage vor kurzem noch als unerhört pessimistisch ausgelegt worden wäre, zeigt, wie sich unsere Maßstäbe verschoben haben). Aber es habe eben viele medizinische Fortschritte gegeben zu allen Infektionskrankheiten, deswegen werde es der Menschheit dauerhaft besser gehen.

    Zwei Jahre Corona. Hoffnungslos verfahren, auch ganz viel Drama, mit allen Irrungen und Wirrungen, die eine so historische wie globale Notlage mit sich bringt, mit den erwähnten Dauer-Enttäuschungen. Und doch: Vielleicht wurde noch nie so viel auch über Hoffnung gesprochen, denn was wäre das Leben ohne sie. Viele Sätze fallen einem dazu ein, meistens rabenschwarze. Aber es gibt eben auch die positiven wie diesen: „Menschen, die nie Angst hatten, werden niemals Hoffnung haben.“ Oder: „Egal, wie lang die Nacht ist, der Tag wird immer kommen.“ Das hat William Shakespeare geschrieben. Und dessen Geschichten werden wir immer noch spielen und schauen, wenn Corona (hoffentlich) Geschichte ist.

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