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Zusum kämpft: Nach der Flut bleibt die Angst

Hochwasser in Bayern

Vier Wochen nach der Flut: Das Wasser ist weg, die Angst bleibt

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    Die Küche von Christina Bielefeld wurde beim Hochwasser in Zusum komplett zerstört.
    Die Küche von Christina Bielefeld wurde beim Hochwasser in Zusum komplett zerstört. Foto: Florian Lang

    Nachdem der Sommer schon Einzug gehalten hatte, ist es in Zusum an diesem Mittwoch kühl und regnerisch. Im Haus von Friedrich Köditz herrschen trotzdem erdrückende 38 Grad, in jedem Raum, auch in denen, die trocken geblieben sind. In denen, die überflutet waren, stehen Bautrockner und laufen unter ohrenbetäubendem Lärm im Dauerbetrieb. Der 40-Jährige schläft trotzdem oben im ersten Stock, an die Hitze und den Lärm hat er sich gewöhnt, auch an die Stechmücken. „Wenn es regnet, riecht man das Öl wenigstens nicht so sehr“, sagt er. Doch selbst den penetranten Gestank bei Sonnenschein nehmen die Menschen in Zusum kaum noch wahr.

    Der kleinste Stadtteil Donauwörths, mit seinen 20 Häusern eigentlich ein Dorf etwas abseits der Stadt, gilt als einer der am schwersten vom Hochwasser betroffenen Orte Bayerns. Zum einen, weil hier vor gut vier Wochen das Wasser, das teils meterhoch war, besonders lange nicht abfloss. Zum anderen, weil mehrere Heizöltanks im Ort der Wucht der Fluten nicht standhielten und Leck schlugen. Das Öl trieb auf dem Wasser durchs Dorf, verseuchte Obst, Gemüse und das Getreide, das noch braun und verkümmert auf den umliegenden Feldern steht. Zusätzlich zur Flut hat sich in Zusum also auch eine Umweltkatastrophe abgespielt. Und eine menschliche: Denn die Einwohnerinnen und Einwohner waren mit dem Kampf um ihre bloße Existenz beschäftigt. Sie sind es nach wie vor.

    Viele Menschen in Zusum plagen nach dem Jahrhunderthochwasser Existenzängste

    In den vergangenen Wochen haben sie Wasser abgepumpt, viele Kubikmeter Sperrmüll aus den Wohnungen weggeschafft und versucht, das Öl aus dem Dorf zu bekommen. Nun, einen Monat nach Beginn der Katastrophe, sind die Keller und Erdgeschosse leer geräumt. Und diejenigen, die es können, versuchen zu begreifen, was passiert ist. „Die ganzen Eindrücke muss man erst mal verarbeiten“, sagt Köditz, ein Feuerwehrmann. Es sei schwer, die Gedanken zu sortieren, noch immer wache er manchmal nachts auf und glaube, Wasser im Haus zu haben. „Einige hat es aber viel schlimmer getroffen, gerade die mit dem Öl, wie meinen Nachbarn.“

    An der Hecke von Friedrich Köditz sieht man gut, wo das Öl-Wasser-Gemisch stand.
    An der Hecke von Friedrich Köditz sieht man gut, wo das Öl-Wasser-Gemisch stand. Foto: Florian Lang

    Rainer Nowotny, der Nachbar, ist Altenpfleger und lebte bis zum Hochwasser in seinem Elternhaus im ersten Stock. Heute ist das Haus nicht mehr bewohnbar, der beißende Geruch des Heizöls steigt in die Nase, sobald sich die Wohnungstür öffnet. Länger als zwei Stunden dürfe man sich laut Gutachter darin nicht aufhalten, sagt der 64-Jährige. Wer ihn kennenlernt, ahnt, dass er es wohl trotzdem tut. Drei Untermieter hatte er im Erdgeschoss, über zehn Jahre dieselben, wie eine Familie seien sie gewesen. Nun gleicht die Etage einem Rohbau, alle Böden und Türstöcke mussten herausgerissen werden. „Das Wasser-Öl-Gemisch stand Wochen im Haus und hat sich hoch gefressen“, erzählt Nowotny. Ob man das schwer kontaminierte Haus je sanieren wird können, weiß er nicht. Der Gutachter glaubt nicht daran, spricht von einem Totalschaden.

    „Der Gedanke, irgendwann nicht mehr hierherzukommen, der ist noch gar nicht greifbar für mich“, sagt Rainer Nowotny, der im Wohnzimmer des Hauses geboren wurde und sein ganzes Leben hier verbracht hat. Stolz zeigt er den Garten mit den alten Bäumen und die große Dachterrasse auf der Garage, von der man die Ausläufer der Schwäbischen Alb sehen könne. „Vielleicht kann ich irgendwann die Terrasse weiter nutzen und im ersten Stock wenigstens Kaffee kochen.“ Illusionen aber macht er sich keine. Die Stadt Donauwörth zahlt ihm ein Hotelzimmer, seine Tage verbringt er mit der Suche nach einer Mietwohnung und hofft, sich von einer möglichen Entschädigung nochmal etwas Eigenes leisten zu können.

    Wie die meisten im Ort hat Nowotny keine Versicherung. Wegen der Hochwassergefahr verlangen die Versicherer bis zu 5000 Euro im Jahr oder lehnen gleich ganz ab. „Wer soll sich das leisten können?“, fragt Christina Bielefeld, die zwei Häuser weiter wohnt und mit einem Schaden von weit über 100.000 Euro rechnet. Für ein paar Wochen ist sie mit ihrer Familie bei Bekannten in Monheim untergekommen, an diesem Tag werden sie, ihr Mann und ihr Sohn zum ersten Mal in einem Campingwagen hinter dem Haus schlafen. Gleich daneben hat Bielefeld eine Küche improvisiert, mit Decken über zwei Gartenstühlen und Kaffee, Milch und Zucker auf dem Tisch.

    Christina Bielefeld und Rainer Nowotny in dessen zerstörter Erdgeschosswohnung.
    Christina Bielefeld und Rainer Nowotny in dessen zerstörter Erdgeschosswohnung. Foto: Florian Lang

    Braune Streifen an der Wand dahinter dokumentieren, wo das Wasser stand. Selbst wenn sie es finanziell stemmen können, werde eine Rückkehr ins Haus mindestens acht Monate dauern, sagt sie. „Das bedeutet, dass mein zehnjähriger Sohn den Winter über im Wohnwagen schlafen muss.“ Die 35-Jährige schüttelt mit dem Kopf. Das Haus sei noch nicht abbezahlt, sie werde sich ein Leben lang hoch verschulden müssen, um wieder alles aufzubauen. Und das immer mit der Angst, dass das Wasser wiederkommt und sich alles nimmt.

    Mitte Juni stand der Freie-Wähler-Chef und bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger in Nowotnys Keller, vor wenigen Tagen kam die schwäbische Regierungspräsidentin Barbara Schretter vorbei. Viel Pathos hätten sie im Gepäck gehabt, sagen die Dorfbewohner, Hilfe versprochen und Anteilnahme gezeigt. Aber konkrete Antworten auf die Fragen, wo das viele Geld herkommen soll und wie der Ort zukünftig geschützt werden kann, seien sie schuldig geblieben. Die paar tausend Euro an Soforthilfen, die an einige geflossen sind, lindern die Existenzängste der Menschen jedenfalls nicht. Auch verkaufen können sie nicht, die Grundstücke sind kaum mehr etwas wert.

    Die Einwohner von Zusum sind nach dem Hochwasser auf finanzielle Hilfe angewiesen

    Während die Zusumer darauf hoffen, von der Politik nicht alleine gelassen zu werden, laufen mehrere Spendenkampagnen. Auf der Plattform GoFundMe kamen unter „Rettet Zusum!“ bislang etwa 50.000 Euro zusammen. Noch einmal 20.000 Euro gingen auf das Konto der Feuerwehr Zusum ein, sagt deren Kommandant Timo Bablok. Das Geld wird helfen, doch bei Weitem nicht reichen. Manche befürchten Streit unter den Einwohnern, wenn die Hilfsgelder irgendwann verteilt werden, darüber, wer es verdient und wer nicht. „Die meisten würden es nicht laut aussprechen, aber es machen sich sicher viele Gedanken, ob es sich finanziell lohnt, hierzubleiben“, sagt Friedrich Köditz. In Zusum steht nicht weniger als die Zukunft des Dorfes auf dem Spiel.

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