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Zugunfall: Aus der Ukraine geflüchtet, beim Zugunglück in Garmisch gestorben

Zugunfall

Aus der Ukraine geflüchtet, beim Zugunglück in Garmisch gestorben

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    Kerzen brennen in der Nähe der Unglücksstelle bei Burgrain im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Fünf Menschen sind dort vergangene Woche ums Leben gekommen.
    Kerzen brennen in der Nähe der Unglücksstelle bei Burgrain im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Fünf Menschen sind dort vergangene Woche ums Leben gekommen. Foto: Angelika Warmuth, dpa

    Zwei Frauen fliehen mit ihren Kindern vor dem Krieg in der Ukraine. Sie fliehen vor Bombenangriffen, vor Gefahr – und suchen Sicherheit. Sie lassen ihre Männer zurück, die nicht ausreisen dürfen, kommen mit den Kindern nach Deutschland. Die eine Frau mit ihrem Sohn, die andere mit ihrer Tochter. Rund 2000 Kilometer entfernt von ihrer Heimat, im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, erhalten die Mütter bei Gastfamilien ein Dach über dem Kopf. Anastasia und Maria, so sollen sie in diesem Text genannt werden, haben es geschafft, dem Krieg zu entkommen. Halt hat das Schicksal vor ihnen trotzdem nicht gemacht.

    Keine fünf Kilometer vom Garmisch-Partenkirchener Bahnhof entgleist am Freitag vor einer Woche ein Regionalzug. Über 40 Menschen werden verletzt, als drei Doppelstockwagen kurz nach der Abfahrt umstürzen. Fünf Menschen kommen um: Eine 51-jährige Wiesbadenerin, eine 70-Jährige aus dem Landkreis München, ein 13-jähriger Junge aus der Gegend um Garmisch-Partenkirchen – und die beiden geflüchteten Frauen aus der Ukraine. 30 und 39 Jahre waren sie laut Polizeiangaben alt. Ihre beiden Kinder, ein siebenjähriger Junge, ein 13-jähriges Mädchen, bleiben zurück. Wer waren diese beiden Frauen, die eine Flucht überstanden, und dann solch ein Schicksal erlitten haben?

    Zwei geflüchtete Mütter aus Kiew sind unter den Opfern vom Zugunglück

    Die Anteilnahme war groß, als rund 200 Menschen am Pfingstmontag zum Trauergottesdienst in Garmisch-Partenkirchen kamen. Der Gottesdienst wurde zweisprachig, auf Deutsch und Ukrainisch, abgehalten. Mit dabei war auch ein Flüchtlingshelfer, der Anastasia und ihrem Sohn seit ihrer Ankunft in Deutschland betreute. Seinen vollen Namen möchte er nicht nennen – und auch über seine Gefühle, als er von ihrem Tod erfuhr, möchte er nicht sprechen. Zu tragisch sei das Passierte, um es noch einmal durchzugehen. "Es ist eine entsetzliche Geschichte", sagt er.

    Mitte März floh Anastasia mit ihrem Sohn aus Kiew nach Deutschland. Mit einer 30-köpfigen Gruppe, bestehend aus Müttern mit Kindern und zwei älteren Damen, war sie unterwegs. Sie alle kamen mit privat organisierten PKW in die Gegend rund um Garmisch-Partenkirchen. Auch die andere gestorbene Frau, Maria, war Teil der Gruppe. Nach ihrer Ankunft stand der Flüchtlingshelfer Anastasia und ihrem Sohn zur Seite. Sie fuhren gemeinsam ins Landratsamt, er half ihr, Anträge zu stellen.

    Was er bei seiner ehrenamtlichen Arbeit beobachtet hat: "Nach einer Zeit sind die Geflüchteten mit dem Notwendigsten gut versorgt." Mithilfe seines Vereins, in dem er sich engagiert, spendete er Geld für ein Fahrrad und einen Friseurbesuch.

    Garmisch-Partenkirchen: Umgekommene Ukrainerinnen hinterlassen Kinder

    Er erklärt weiter: "Und dann kommt der Moment, da brauchen sie nicht nur sachliche Betreuung, sondern auch psychologische." Ablenkung, das Geschehene verarbeiten, in Deutschland ankommen. Zu Hause arbeitete Anastasia als Chefin einer Notrufzentrale. Und nun hierzulande? "Sie sind in der Fremde und sprechen kein Deutsch. Sie hängen in der Luft und können sich nur mit den gemeinsam angekommenen Ukrainern über ihre Sorgen austauschen."

    Weil der Flüchtlingshelfer Russisch spricht, hatte er einen besonderen Draht zu Anastasia. "Ein Schulterklopfen, eine Umarmung, ein auf den Berg fahren", das sagte die Ukrainerin, bräuchte sie. Der Flüchtlingshelfer versuchte, ihr es zu geben. Sie machten Ausflüge, besuchten gemeinsam mit dem fast achtjährigen Jungen den Walchensee. Auch Anastasias Geburtstag feierten sie gemeinsam.

    Maria kannte der Flüchtlingshelfer nur vom Sehen. Einmal hat er die Geflüchteten-Gruppe in sein Vereinsheim eingeladen. Persönlich gesprochen mit ihr hat er aber nie. Laut einem Bericht von RTL soll die Ukrainerin als Lehrerin gearbeitet haben. Eine Garmisch-Partenkirchenerin nahm sie und ihre Tochter auf. Ihr soll Maria gesagt haben, dass sie hoffte, nach dem Krieg wieder in die Ukraine zu ihren Eltern und ihrem Mann, einem Soldaten, zurückzukehren. Menschen, die sie nicht mehr wieder sehen werden – und dabei war doch genau die Ukrainerin diejenige, die außerhalb ihres vom Krieg erschütterten Landes Schutz suchte.

    Flüchtlingshelfer fordert Entschädigung für Sohn der Verstorbenen

    Was geschieht nun mit den Kindern, die die beiden Ukrainerinnen zurücklassen? Das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen kann sich aus Datenschutzgründen dazu nicht äußern. Für den ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer steht fest: Er möchte für Anastasias Sohn Entschädigung fordern. "Er hat Rentenansprüche als Halbwaise", erklärt er. Allerdings: "Ich selber kann im Moment leider gar nichts machen. Ich brauche eine Vollmacht vom Vater des Jungen."

    Aus den Ehrenamtlichenkreisen weiß er, dass der Vater auf dem Weg nach Deutschland ist. Persönlich konnte er ihn bisher jedoch nicht erreichen. Auch Marias Mann hatte vor, nach Deutschland zu reisen, weiß der Flüchtlingshelfer. Doch weil ihm der Totenschein seiner Frau fehlte, durfte er wie alle Militärangehörigen der Ukraine zurzeit, nicht ausreisen.

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