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Rot, Grün, Gelb: Die Ampel wird 100

100 Jahre Verkehrsampel

In der Schaltzentrale des Stadtverkehrs: Das Geheimnis der grünen Welle

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    Ein Nachbau des ersten Ampelturms Deutschlands steht am Potsdamer Platz neben einem modernen Modell.
    Ein Nachbau des ersten Ampelturms Deutschlands steht am Potsdamer Platz neben einem modernen Modell. Foto: dpa

    Auf der Kommandobrücke des Münchner Stadtverkehrs ist es so ruhig wie im Auge eines Hurrikans. Rund um das Verwaltungsgebäude in München-Sendling hupt es, jaulen Motoren, eine Baustelle bremst Autos und Radfahrer aus, doch durch die Fenster im zweiten Stock des Mobilitätsreferats dringt kein Geräusch. Ein paar Schreibtische, grün leuchtende Topfpflanzen, eine Ampel aus Papier für die Türklinke. Rot heißt: draußen bleiben. Das Verkehrsgewirr der Landeshauptstadt blinkt auf großen PC-Bildschirmen lautlos in Form kleiner Ampelsymbole. Rot, gelb oder grün, je nachdem, in welcher Farbe die jeweilige Ampel draußen in der echten Welt gerade leuchtet. Von hier aus haben Mechthild Zeller und Erich Schlittenbauer alle Straßen Münchens im Blick, es sind fast 7000. Und 1147 Ampeln. Zeller weiß das, ohne eine Sekunde nachdenken zu müssen. Mit ein paar Mausklicks können die beiden darüber entscheiden, wie lange ein Fußgänger warten muss oder wie viele Autos es über die Grünphase schaffen. Hier, in diesem unauffälligen Büro, erfährt man, wie Busfahrer unbemerkt die Ampelschaltung beeinflussen und was es mit der grünen Welle wirklich auf sich hat.

    Am 20. Oktober 1924 wurde am Potsdamer Platz in Berlin mit dem Aufbau der ersten elektrischen Verkehrsampel Deutschlands begonnen – vor 100 Jahren. Rund acht Wochen später ging sie in Betrieb – und sparte der damals schon armen Hauptstadt mehrere Polizisten, die vorher an der Stelle, an der sich fünf Straßen kreuzten, durch wildes Pfeifen und per Hand den Metropolverkehr geregelt hatten.

    Mechthild Zeller und Erich Schlittenbauer haben alle Ampeln Münchens im Blick.
    Mechthild Zeller und Erich Schlittenbauer haben alle Ampeln Münchens im Blick. Foto: Sarah Ritschel

    In München waren Mitte der 1920er Jahre gerade einmal rund 5000 Kraftfahrzeuge zugelassen, wie in Berlin teilten sie sich die Straße mit Pferdekutschen. Die erste elektrische Aampel ging in der Isarstadt 1927 an der Nordseite des Bahnhofsplatzes in Betrieb.

    Mechthild Zeller und Erich Schlittenbauer haben einen gar nicht mal so kleinen Teil der Münchner Ampelgeschichte miterlebt. Zeller ist seit 1997 in der „Signalsteuerung“, wie die Profis ihre Arbeit nennen. Heute leitet sie die Abteilung „Verkehrssteuerung und Verkehrsleitzentrale“ im Münchner Mobilitätsreferat, Schlittenbauer ist der Sachgebietsleiter „Betrieb von Lichtsignalanlagen“ und seit drei Jahrzehnten Ampelmann. „Bis auf die Farben der Ampelschaltung hat sich so ziemlich alles daran verändert“, sagt er. Saß im ersten Ampelturm Deutschlands noch ein Polizist, der mit einer Stoppuhr die Zeit bis zur nächsten Grünphase stoppte und dann mit einem Schalthebel die passende Farbe zum Leuchten brachte, müssen die rund 80 Angestellten in der Signalsteuerung heute Ingenieure und IT-Expertinnen sein.

    Mechthild Zeller, selbst Ingenieurin, hat die Papier-Ampel auf Rot gestellt. Besprechung. „Was Sie draußen sehen mit Grün, Gelb und Rot, das ist nur der letzte Schritt unserer Arbeit. Ganz viele Softwareprozesse laufen im Hintergrund ab, um Fußgängerinnen und Fußgänger zeitgerecht zu bedienen, möglichst eine grüne Welle für Autofahrerinnen und Autofahrer aufrechtzuerhalten und vor allem um den ÖPNV ohne Halt über einen Knotenpunkt zu schleusen. Unsere Haupttätigkeit ist es, Software zu programmieren – für einen verkehrssicheren Ablauf.“

    Die historische Straßenszene aus den 1930er Jahren zeigt den Ampelturm mit Kabine auf dem Potsdamer Platz, dem damals verkehrsreichsten Platz Europas.
    Die historische Straßenszene aus den 1930er Jahren zeigt den Ampelturm mit Kabine auf dem Potsdamer Platz, dem damals verkehrsreichsten Platz Europas. Foto: Historisches Archiv, Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin/dpa

    Erich Schlittenbauer pickt auf seinem digitalen Ampel-Stadtplan eine heraus, Kreuzung Prinzregentenstraße/Widenmayerstraße, direkt an der Isar, gleich unterhalb des Friedensengels. 56 Seiten voll technischer Daten zeigt sein Programm an, viele in Echtzeit. Er checkt die Grünphasen. Zwölf Sekunden hat ein Fußgänger in diesem Moment Zeit, die Straße zu überqueren. Dazu eine „Schutzzeit“ von 14 Sekunden – jene Zeit, in der die Fußgängerampel schon auf Rot gesprungen ist, man aber trotzdem noch sicher bis zur anderen Bordsteinkante kommt. „In jedem Umlauf gibt es Änderungen“, erklärt Mechthild Zeller. Umlauf, so nennen die Fachleute hier die Zeitspanne, in der jeder Verkehrsteilnehmer an der Ampel einmal Grün haben muss. Je nach Tageszeit und Verkehrsaufkommen sind das 70 Sekunden, 90 oder 104. Mehr nicht, auch wenn es einem so vorkommen mag, als würde man an manchen Ampeln ganze Jahre an Lebenszeit verlieren.

    „9000 Detektoren unter dem Asphalt messen das Verkehrsaufkommen“, sagt Zeller. Sie und ihr Team haben die Ampeln so programmiert, dass diese automatisch auf den Verkehr reagieren. Nur im Bedarfs- oder Notfall greifen sie händisch ein. „Zum Beispiel, wenn die Hardware ausgetauscht werden muss, einfach wegen des Alters der Ampelanlage, oder bei Projekten wie Tramneubauten, Umsetzungen von Maßnahmen des Radentscheids oder wenn neue Stadtviertel entstehen. Immer dann wird die Ampelsoftware neu programmiert.“ Oder natürlich bei Beschwerden oder Anregungen von Bürgerinnen und Bürgern. Zum Schulstart sind es besonders viele, Münchner Eltern sind besorgte Eltern. Mal meldet sich ein Bürger mit Sehbehinderung, dem das akustische Ticken an einer Ampel zu leise, mal ein Anwohner, dem genau dasselbe Geräusch zu laut eingestellt ist. Schlittenbauer ist der Mann für den Kompromiss.

    München hat die meisten Pendler Deutschlands

    Es ist zehn Uhr vormittags, in der Pendlerhauptstadt Deutschlands hat sich der Verkehr beruhigt, die meisten der 525.000 „Einpendler“ und der etwa 492.000 Innerhalb-der-Stadt-Pendler dürften an ihren Arbeitsplätzen angekommen, der obligatorische Kriechverkehr am Mittleren Ring aufgelöst sein. Die Nerven vieler Autofahrer sicher auch. Rot sehen, weil Grün ausbleibt – in München an der Tagesordnung. Warum klappt das nicht mit der grünen Welle? Mechthild Zeller und Erich Schlittenbauer bleiben bei dieser Frage so ruhig, dass es auf entnervte Verkehrsteilnehmer fast ein wenig provokant wirken könnte.

    Damit sich der Puls beruhigt, erstmal noch ein Blick zurück in die Geschichte. Die erste Ampel, 1924 in Berlin, wurde als technisches Highlight überall gefeiert. „Das Wiederaufleben des durch den Krieg und die ersten Nachkriegsjahre gedrosselten Berliner Verkehrs“, bejubelten damals die Zeitungen. Man stritt sich mit Hamburg, das ebenfalls den Ruhm der ersten Lichtanlage für sich beanspruchte, schon seit 1922 blinkte dort eine, aber deren Signal diente nur den Straßenbahnen.

    Trams, Kraftfahrzeuge, diese beiden Gefährte sind auch die entscheidenden Akteure bei der Frage nach der grünen Welle. Denn, Autofahrer müssen jetzt ganz stark sein: Die grüne Welle ist nicht der alles entscheidende Auftrag der Münchner Ampelexperten. „Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Beschleunigung des ÖPNV“, sagt Schlittenbauer. „Und gleichzeitig achten wir darauf, dass der Fußgänger ausreichend viel Grün hat“, ergänzt Zeller.

    Busfahrer können Ampeln unbemerkt steuern

    Was kaum jemand weiß: In einzelnen Fällen darf der ÖPNV, also Bus- oder Tramfahrer, in die Ampelschaltung eingreifen und dafür sorgen, dass sich die Grünzeit verlängert. „Ein Bus soll nicht im Stau stehen“, sagt Schlittenbauer. „Damit das nicht passiert, kann man entweder eine Busspur einrichten, oder eben seine Fahrt möglichst im Fluss halten.“ So wie in München.

    Der Busfahrer setzt dafür ein Funksignal an einem festgelegten Ort ab. „Dann wissen wir: Jetzt braucht er noch 45 Sekunden bis zur Haltelinie an der Ampel“, sagt Zeller. „Und dann steuern wir über die Software im Hintergrund, dass der Bus auch wirklich ein grünes Signal hat.“ Komplett vermeiden ließen sich Verspätungen natürlich nie. „Mal steht ein Müllfahrzeug in der Straße, mal ist eine Baustelle im Weg, aber im Großen und Ganzen funktioniert es in München sehr gut.“

    Natürlich versuche man trotzdem, auch die grüne Welle möglich zu machen. „Morgens stadteinwärts und abends stadtauswärts“, verrät Zeller. „Das heißt natürlich, dass alle, die in die Gegenrichtung fahren, keine grüne Welle haben. Aber ich kann versprechen: Mit den Bedingungen, die wir haben, machen wir das Beste daraus.“

    In Berlin brach im Jahr 1926 ein Verkehrschaos aus, weil alle zentral gesteuerten Ampeln der Stadt gleichzeitig auf Grün wechselten. Kann ja auch niemand wollen. In München sei so etwas noch nie passiert, versichern die zwei Experten.

    Der Mittlere Ring ist einer der Verkehrsschwerpunkte Münchens.
    Der Mittlere Ring ist einer der Verkehrsschwerpunkte Münchens. Foto: Matthias Balk, dpa

    Über eine rote Ampel zu fahren, ist eines der letzten großen Tabus der Gesellschaft. Mögen die moralischen Grenzen noch so sehr verschoben sein, an der Haltelinie einer roten Ampel bleiben alle stehen. Oder? Selbst das gilt nicht unumstößlich. In den vergangenen fünf Jahren registrierte das Kraftfahrtbundesamt für Bayern jährlich zwischen 18.000 und 22.000 sogenannte Rotlichtverstöße. Eine Geldstrafe und einen Punkt in Flensburg gibt das immer –mindestens. Je nachdem, ob gerade noch das Gelblicht brannte oder die Ampel schon mehr als eine Sekunde lang dunkelrot leuchtet, kommt ein Fahrverbot dazu. Wenn jemand zuschaut. Gerade die Fälle, die nachts auf einsamer Straße geschehen, bleiben buchstäblich im Dunkeln.

    Erich Schlittenbauer und Mechthild Zeller wissen nie, welche Kurven und Wendemanöver ihr Tagesablauf bringen wird. Doch was Autofahrer ausbremst, bleibt oft auch ihnen in Erinnerung. Mitte April zum Beispiel, Brand im Luise-Kiesselbach-Tunnel, der Hauptschlagader des Mittleren Rings. Bis zu 150.000 Autos passieren den Tunnel jeden Tag. Doch an jenem Abend ging ein Kleintransporter in Flammen auf. Die Experten in der Verkehrsleitzentrale erkannten das Hindernis auf ihren Bildschirmen, noch bevor die Detektoren unter der Fahrbahn anschlugen. In solch einem Fall aktiviert die Leitzentrale ein spezielles Tunnelsperrprogramm. Das gibt es für alle Tunnel in München. „Die Sperrprogramme gelten für ganze Straßenzüge, über die der Verkehr abgeleitet werden soll“, erklärt Schlittenbauer. „Die Programme sorgen dafür, dass der Verkehr auf diesen Straßen so gut wie möglich fließt. Die Software dafür ist hinterlegt und kann auf einen Schlag eingeschaltet werden.“

    Doch selbst Menschen, die die Hoheit über Münchens Ampeln haben, stehen manchmal im Stau. Sie sehen ihn nur ein wenig gelassener. „Wenn ein Stau da ist, bekommt man ihn nicht auf die Schnelle weg“, sagt der Betriebsleiter. „Um einen Stau abfertigen oder gar verhindern zu können, bräuchte man schlicht mehr Platz für die Autos.“ Aber bevor der Puls der Autofahrer jetzt wieder nach oben schnellt, schwört Mechthild Zeller hoch und heilig, quasi bei Christophorus, der als Schutzpatron der Verkehrsteilnehmer an so vielen Armaturenbrettern klebt: „Wir mildern, was geht.“

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    1 Kommentar
    Markus Wagner

    Über rote Ampeln zu fahren ist ein Tabu? Das glaube ich nicht. Ich sehe in Augsburg jeden Tag so viele Rotlichtverstöße, dass ich sie gar nicht zählen kann. Selbst am Bahnübergang wird hemmungslos bei Rot gefahren.

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