Flexibilität ist das magische Stichwort. Die bayerische Arbeitsministerin Ulrike Scharf hat erkannt, dass viele Arbeitnehmende sich mehr davon wünschen. "Ein erster wichtiger Schritt ist es, für einzelne Arbeitstage in der Woche Arbeitszeiten von mehr als zehn Stunden zu ermöglichen", sagte sie dazu auf einer Ministerkonferenz. Natürlich auf freiwilliger Basis und unter Beachtung des Arbeitnehmerschutzes.
Der SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert wies die Idee daraufhin empört als "Kampfansage an Millionen Beschäftigte im Land" zurück und warf der CSU vor, sie würde "die derzeitigen Belegschaften wie eine Zitrone ausquetschen", anstatt für Entlastungen zu sorgen. Doch was halten Verbände und Betroffene aus Bayern von dem Vorstoß?
Nicht nur die Politik, auch die Gewerkschaften und Verbände stehen der Forderung gespalten gegenüber. Die IG Metall und der Deutsche Gewerkschaftsbund Bayern sehen die Idee kritisch. Statt Flexibilität berge Scharfs Vorschlag Ausbeutungspotenzial. "Die Vorschläge führen nur zu noch mehr Leistungsdruck, zu noch mehr Hamsterrad, aber zu keiner einzigen neuen Fachkraft", sagte der Vorsitzende des DGB Bayern, Bernhard Stiedl.
Dehoga Bayern: "Das Gastgewerbe ist keine Fließbandarbeit"
Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga Bayern dagegen findet, dass die Forderung "längst überfällig" sei. Laut Landesgeschäftsführer Thomas Geppert haben sich während der Pandemie für Betriebe viele neue Möglichkeiten ergeben, etwa durch das Homeoffice. Das sei für bestimmte Branchen, wie die Gastronomie, offensichtlich nicht möglich. Aber auch diese Bereiche wünschen sich mehr Kompromissbereitschaft. "Die Mitarbeiter fordern mehr Spielraum in der Gestaltung ihrer Arbeitszeit", sagte Landesgeschäftsführer Thomas Geppert.
"Das Gastgewerbe ist keine Fließbandarbeit. Es muss gearbeitet werden, wenn die Arbeit anfällt." Als Beispiel nannte er Hochzeitsfeiern, bei denen die Gäste oft länger feiern wollen. Oder Biergärten, die dann geöffnet sind, wenn die Sonne scheint. Angesichts des Arbeitskräftemangels wolle man nicht weniger Mitarbeiter mehr arbeiten lassen, sondern sie flexibler einsetzen.
Arbeitnehmer könnten den Job an ihre Bedürfnisse anpassen
"Weg vom Tag, hin zur Wochenarbeitszeit", fasst Alessandro Cacciola, Geschäftsführer des Augsburger Logistikunternehmens Andreas Schmid Group, seinen Wunsch für die Arbeitnehmer zusammen. So könnten etwa Teilzeitarbeitende sich zwei oder drei Tage vollschaufeln und den Rest der Woche freinehmen, um für die Familie da zu sein oder sich auf das Studium zu konzentrieren. "Die neue Generation der Arbeitnehmer denkt anders", sagt der Geschäftsführer. Flexibilität sei der Schlüssel für einen zukunftsfähigen Betrieb.
Die strikte Regelung ist für die Veranstaltungsbranche problematisch
Für Daniel Oberstetter sind lange Schichten manchmal ein notwendiges Übel. "In unserem Job gibt es viele Faktoren, die unseren Arbeitstag bestimmen", sagt der Veranstaltungstechniker aus dem Landkreis Freising. Das könne Material sein, das nicht funktioniert, oder ein Lastwagen mit Reifenpanne, der zu spät bei der Veranstaltung ankommt. "Wenn viele Sachen nicht zusammenspielen, dann überschreitet man schon mal die zehn Stunden." Und begibt sich damit in eine rechtlich sehr dunkelgraue Zone.
"Wir arbeiten auf einen bestimmten Moment hin. Wenn das Event stattfindet, dann muss bis dahin alles stehen, da kann man nicht einfach aufhören." Problematisch wird es vor allem dann, wenn beispielsweise teures Equipment kaputtgeht – in der elften Arbeitsstunde. "Die Versicherung zahlt da nicht mehr", sagt der 30-Jährige. "Oder noch schlimmer: Was ist, wenn sich jemand verletzt?" In dieser Hinsicht könnte die Maximierung der Tagesarbeitszeit Oberstetter und seine Kolleginnen und Kollegen (rechtlich) entlasten. Auf der anderen Seite befürchtet der Veranstaltungstechniker, dass Auftraggeber diese Regelung ausnutzen könnten.
Bei risikobehafteten Jobs soll es Ausnahmen geben
In der Veranstaltungsbranche ist es Larissa Klegraf von der Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft zufolge besonders schwierig mit der Arbeitszeiterfassung. Denn die Branche hat keine Gewerkschaft oder Tarifparteien und daher auch keine Sonderregelungen, wie es sie beispielsweise im medizinischen Bereich gibt.
Aber Klegraf betont auch, dass es Tätigkeitsfelder gibt, in denen die Arbeitszeit nicht verlängert werden sollte: Beim Rigging zum Beispiel, wenn Fachpersonal auf den Gerüsten in luftiger Höhe Zubehör montieren. "Wo es ins Risiko geht, da muss differenziert werden."
Für Daniel Oberstetter liegt die Lösung in einer Ausnahmeregelung. Diese könne die rechtliche Sicherheit bieten, die es für lange Arbeitszeiten benötige. "Sie sollte aber ein scharfes Schwert bleiben, damit Arbeit- und Auftraggeber daraus keinen Profit ziehen können."
Das Arbeitszeitgesetz in Bayern
Aktuell darf in Bayern die Höchstarbeitszeit von acht Stunden am Tag nicht überschritten werden. In die Berechnung fließt nur die reine Tätigkeit ein, keine Ruhepausen. Sie kann bis zu zehn Stunden verlängert werden, solange Arbeitnehmer durchschnittlich acht Stunden am Tag nicht überschreiten. Zwischen den Schichten muss eine elfstündige Pause liegen. Davon ausgenommen sind Krankenhäuser, Gaststätten und Landwirtschaft. Diese Gewerke dürfen, unter der Voraussetzung eines zeitnahen Ausgleichs, auf zehn Stunden verkürzen. Arbeitgeber, die dagegen verstoßen, drohen Bußgelder bis zu 15.000 Euro oder eine Freiheitsstrafe. Ein Verstoß kann bereits darin liegen, wenn Mitarbeitende länger als zehn Stunden arbeiten oder die Ruhezeiten nicht einhalten. (ost)