In Deutschland leben Wölfe vor allem in fünf Bundesländern: In Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern liegen mehr als 200 der zuletzt 226 Wolfsgebiete. In Bayern wird derzeit viel über Wölfe und den Umgang mit ihnen diskutiert, obwohl es im Freistaat nur sechs solcher Wolfsreviere mit drei Rudeln, einem Paar und zwei einzelnen Wölfen gibt – einer davon in den Allgäuer Alpen. Doch auch in Bayern könnten es mehr werden.
Das sind die Zahlen der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW). Sie stammen aus dem Zeitraum zwischen Mai 2021 und April 2022, aktuellere Daten sind bisher noch nicht vollständig veröffentlicht. Doch schon jetzt ist klar, dass in Bayern noch mindestens ein weiteres Wolfspaar hinzukam, das sein Territorium westlich des Staffelsees bei Murnau hat. Und vereinzelt können auch außerhalb von diesen Gebieten Wölfe auftauchen, die zum Beispiel auf der Suche nach einem neuen Revier sind.
Als Wolfsterritorium gilt ein Gebiet, wenn sich dort ein oder mehrere Wölfe über mindestens sechs Monate aufgehalten haben. Anders als die Zahl der Wolfsgebiete lässt sich die Zahl der einzelnen Wölfe nicht genau ermitteln. Denn häufig werden die Tiere durch Fotofallen nachgewiesen und auf Fotos sind einzelne Wölfe nahezu unmöglich voneinander zu unterscheiden. Genaue Zuordnungen sind deshalb nur mit DNA-Auswertungen möglich.
In Bayern gibt es relativ wenig Wölfe – doch es dürften mehr werden
Auch in Bayern dürfte die Zahl der Wölfe steigen, glaubt Uwe Friedel. "Große Teile Bayerns sind potenzielle Wolfsgebiete." Er ist Wolfsexperte des Bund Naturschutz in Bayern. "Es wird definitiv mehr werden", schätzt er. Wie schnell die Population steigen wird, sei aber schwer zu sagen.
Ein Blick auf die bundesweiten Zahlen zeigt: Es kann schnell gehen. Der Wolf war in Deutschland etwa 150 Jahre lang ausgerottet, doch seit Anfang der 2000er wächst die Zahl der Wolfsterritorien wieder. Anfangs langsam, dann immer schneller. 2011/12 waren es noch 23 Reviere in ganz Deutschland, inzwischen sind es fast zehnmal so viele.
"Das Wachstum ist aktuell noch so hoch, weil die Wölfe ständig neue Territorien besetzen können", erklärt Wolfsexperte Friedel. Jungwölfe verlassen das Rudel ihrer Eltern im ersten oder zweiten Jahr nach ihrer Geburt. Sie legen dann oft weite Strecken zurück, auf der Suche nach einem Ort, an dem sie bleiben können.
Laut Landesamt für Umwelt (LfU) gibt es bestimmte Voraussetzungen, die so ein Gebiet erfüllen muss. Es muss groß genug sein und ausreichend Nahrung bieten – also etwa Rehe, Hirsche oder auch Wildschweine. Zu Problemen mit Menschen führt, dass Wölfe auch Weidetiere wie Schafe reißen können. Neben der Nahrung seien Ruhezonen für die Aufzucht von Welpen wichtig, heißt es vom LfU. Und es darf noch kein anderes Rudel dort sein.
Die Zahl der Wölfe in Bayern ist seit Beginn der frühen 2000er stark angestiegen
Solche Orte finden Wölfe aktuell in der Regel problemlos, weil es in vielen Gebieten noch keine Artgenossen gibt. So kommen immer neue Reviere hinzu – und die Zahl der Wölfe steigt, momentan jedes Jahr um etwa 30 Prozent. Diese Entwicklung hat ein natürliches Ende, wenn die geeigneten Gebiete nach und nach von Rudeln besetzt sind. "Dann gibt es Revierkämpfe, die nicht selten tödlich enden", erklärt Friedel.
Dort, wo es bereits viele Wolfsterritorien gibt, dürfte sich der Anstieg deshalb schon verlangsamen. Bayern ist hingegen noch in weiten Teilen wolffrei, auch wenn sich eigentlich viele Gebiete für die Tiere eignen könnten. Zwar seien manche Regionen südlich der Donau nicht ideal, erklärt Friedel, aber auch da könne es sein, dass sich Wölfe ansiedeln, wenn andere Reviere erst einmal besetzt sind.
Warum gibt es dann noch so wenige Wölfe in Bayern? Das Landesamt für Umwelt antwortet schlicht: "Wo sich Wölfe dauerhaft niederlassen, kann im Einzelnen nicht vorhergesagt werden." Auch darüber, wie sich die Population entwickeln könnte, möchte die Behörde nicht mutmaßen. Entscheidend sei bei der Auswahl eines Reviers aber unter anderem, "ob sich zur gleichen Zeit im gleichen Gebiet ein geeigneter Partner aufhält". Oder, wie Friedel es veranschaulicht: "Eine attraktive Wölfin ist für einen Wolf immer ein guter Grund zu bleiben."
Wenn ein Wolf durch Bayern streift, zieht er aktuell auch deshalb weiter, weil er keine Paarungspartner trifft. Wenn aber immer mehr Wölfe unterwegs sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie einander begegnen, größer. So ist ein sprunghafter Anstieg der Anzahl der Territorien innerhalb weniger Jahre möglich. In Brandenburg hat der Anstieg von sechs Wolfsterritorien auf 60 gerade einmal neun Jahre gedauert, von 2010 bis 2019.
Was würde es für Bayern bedeuten, wenn es deutlich mehr Wölfe gibt?
Was bedeutet es für Bayern, wenn sich auch hier Wölfe in dieser Größenordnung niederlassen? „Aus Sicht der Allgemeinbevölkerung ist das sicher kein Problem", sagt Friedel. "Weil der Wolf für den Menschen nicht gefährlich ist." Zwar seien einzelne Unfälle möglich, wie bei anderen Wildtieren auch, sagt Friedel. "Aber verglichen mit dem Wildschwein, ist Letzteres auf jeden Fall gefährlicher."
Friedel sagt aber auch: "Anders sieht es für Weidetierhalter aus, für die ist der Wolf ein Problem." Die Weideflächen zu schützen koste Zeit und Geld, hinzu komme die Sorge um die eigenen Tiere. Und manche Gebiete, etwa in den Alpen, lassen sich kaum oder nur mit extremem Aufwand schützen. Die Kosten, die Weidetierhaltern durch Wölfe entstehen, bekommen sie nur teilweise ersetzt.
Wenn einzelne Wölfe verhaltensauffällig werden und im schlimmsten Fall auch für Menschen zur Gefahr, werden diese zum Abschuss freigegeben, erklärt Friedel. Diese Regel wolle der Bund Naturschutz nicht infrage stellen, heißt es in einer Pressemitteilung der Naturschützer. Doch Bayern hat die Voraussetzungen, wann ein Wolf abgeschossen werden darf, zum 1. Mai erheblich gelockert. Der Bund Naturschutz sieht darin eine Verletzung geltender Gesetze und hat gegen den Freistaat geklagt.