Kurz nach halb zwölf am Mittag rennen die meisten eigentlich nicht mehr auf der Wiesn. Ein paar aber doch. Eine Gruppe in Tracht verfällt in den Laufschritt und bahnt sich einen Weg durch die bereits beträchtliche Menschenmenge auf der Theresienwiese, um noch rechtzeitig ins Zelt zu kommen. Zeit wird's, denn ab zwölf Uhr soll er dann endlich fließen, der heiß begehrte (und teure) Gerstensaft: Die Oktoberfest-Maßen dürfen bekanntlich erst ausgeschenkt werden, wenn der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) mit möglichst wenigen Schlägen das erste Fass angezapft hat. "Ich freu mich aufs Bier", sagt ein Kellner zu seinem Kollegen und klopft ihm auf die Schulter in der schwarzen Weste. Die beiden machen sich unter dem wolkenlos blauen Himmel auf den Weg, um im Biergarten vor der Schottenhamel-Festhalle – bis zwölf Uhr ausschließlich alkoholfreie – Bestellungen aufzunehmen.
Um neun Uhr morgens waren die ersten Wiesn-Fans regelrecht aufs Gelände gestürmt, viele mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Einige stürzten dabei allerdings, wie es auf unzähligen Videos in den sozialen Medien festgehalten ist. Um 9.09 Uhr musste deswegen bereits der Wiesn-Sanitätsdienst zum ersten Mal ausrücken – hatte allerdings nur ein paar Schürfwunden zu verarzten.
Augsburger Schausteller zieht direkt vom Plärrer zum Oktoberfest
An Markus Hoffmann und seinem Kartoffelhaus in der Nähe vom Haupteingang des Oktoberfests sind sie am ersten Wiesn-Morgen auch erst einmal nur vorbei- und in die Zelte gerannt. Ab zehn Uhr etwa seien aber auch Menschen draußen unterwegs gewesen, hätten sich Pommes oder seine Spezialität, die Tornado-Kartoffel am Spieß, gekauft. Hoffmann und sein Team standen noch bis vorherigen Sonntag auf dem Plärrer in Augsburg. "Wir haben dann noch abends direkt abgebaut und sind hierhergefahren", erzählt der 34-jährige Augsburger. Denn dann habe es hier wenigstens noch Parkplätze für sie gegeben – und das Einparken des kleinen Häuschens habe ohne viel Stress funktioniert. "Das muss hier alles genau passen", Hoffmann zeigt auf die angrenzenden Stände. Mit einem meterlangen Lkw keine leichte Aufgabe.
Alle, die sich entscheiden, während des Anstichs im Schottenhamel-Biergarten zu bleiben, bekommen auch hier über Lautsprecher mit, was drinnen vor sich geht. Zwei Mädchen ist das trotzdem nicht genug. Sie stehen auf einem Tisch und schauen durch die Fenster ins Festzelt, wo Reiter gerade mit zwei Schlägen – und einige Sekunden zu früh – das Bier zum Sprudeln bringt. Dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig: Während Reiter noch "O'zapft is! Auf eine friedliche Wiesn!" ins Mikrofon ruft, schallen von den Stufen der Bavaria zwölf Böllerschüsse über die Theresienwiese, Rauch steigt auf, Vögel suchen das Weite. Das Signal, dass auch in den anderen Festzelten nun endlich Bier ausgeschenkt werden darf. Das größte Volksfest der Welt, es läuft. Und zwar für die 18 Tage bis zum 3. Oktober.
2023 kommen gut 100.000 mehr Menschen zum Wiesn-Auftakt als noch 2022
Allein am ersten Wiesn-Tag kommen rund 450.000 Gäste aufs Oktoberfest – und damit gut 100.000 mehr als 2022. Um sie möglichst schnell aufs Gelände zu bringen, fährt die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) Extra-Takt. Sogar die Rolltreppen im U-Bahnhof Theresienwiese machen mehr Tempo: Sie fahren zu Stoßzeiten 0,18 Meter pro Sekunde schneller als sonst. Den ersten "alkoholbedingten Totalausfall" auf der diesjährigen Wiesn gibt es nach Angaben der Sanitätsstation um 15.38 Uhr – und damit immerhin später als in den vergangenen Jahren. Einer der ernstesten Zwischenfälle ist am ersten Wochenende der Maßkrug-Angriff auf eine Kellnerin, deren stark blutende Kopfplatzwunde anschließend versorgt werden muss – und die beiden Pannen an Fahrgeschäften mit mehreren Leichtverletzten.
Entschleunigter geht es auf der Oidn Wiesn zu. Dieser Teil des Oktoberfests ist der Einzige, für den man Eintritt zahlen muss. Hier finden sich historische Attraktionen, Festzelte und Buden. Und auch Stefanie und Philipp Meeß von der Fischbraterei Meeß haben für die Wiesn einen 52 Jahre alten Wagen wieder fit gemacht. Während sie sich auf dem Plärrer auf ihre Stammkundschaft verlassen können, sind die beiden Schausteller aus Langweid (Kreis Augsburg) mit ihrem Steckerlfisch zum ersten Mal auf dem Oktoberfest. Auch sie mussten ihren Stand beim Plärrer rasch ab- und auf der Theresienwiese wieder aufbauen. Als sie am Dienstag ankamen, seien hier aber fast schon alle da gewesen und sie mussten ihren Wohnwagen etwas weiter weg abstellen. Kann man denn so nah am Geschehen überhaupt gut schlafen? "Das hören wir nimmer, das ist eine ganz normale Hintergrundbeschallung für uns", sagt Stefanie. Und auch ihre Kinder würden immer genau dann aufwachen, wenn die Musik abends ausgeht.