Es ist noch nicht lange her, da sah es auf manch bayerischer Skipiste so aus, als hätte da jemand mit einem Pinsel einen schmalen weißen Streifen hingemalt. Mitten rein ins Grün. Alles wirkte eher so, als wäre Frühling – und nicht tiefster Winter.
Der erste Schnee ließ im Freistaat lange auf sich warten. Zum Saisonstart auf der Zugspitze Anfang Dezember etwa war zunächst wegen Schneemangels nur eine Piste geöffnet. Aber nicht nur in den Bergen spielte das Wetter verrückt. Auch im Rest Bayerns war es viel zu warm, vor allem rund um den Jahreswechsel. Beim Neujahrsspaziergang konnte man T-Shirt statt Parka tragen, weil mancherorts die 20-Grad-Marke geknackt wurde. Jetzt sollen in dieser Woche plötzlich wahre Schneemassen – es war sogar von einer "Schneewalze" die Rede – nach Bayern kommen. Ist das alles noch normal?
Einer, der auf die Frage, wie ungewöhnlich dieser Winter denn ist, wissenschaftliche Antworten geben kann, ist Dirk Mewes, Diplom-Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst (DWD). "Die Wärmeperiode im Dezember ist sicher auf die Klimaänderung zurückzuführen", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Temperaturen, die gemessen wurden, würden deutlich von den bisherigen Mittelwerten abweichen. "Wenn wir jetzt eine Kaltfront haben, dann erscheint das auf den ersten Blick ungewöhnlich, aber wenn wir einige Jahre zurückblicken, dann sehen wir, dass das immer wieder so war."
Normal oder Klimawandel? Viel Neuschnee in Bayern im Februar erwartet
Allerdings räumt der Experte auch ein, dass der viele Schnee, der in den nächsten Tagen erwartet wird, durchaus auch etwas mit dem Klimawandel zu tun haben könnte. Mewes erklärt das so: Die kalte Luft, die nun nach Bayern komme, habe einen hohen Wassergehalt, weil sie aus erwärmten subpolaren Bereichen kommt. "Das ist im Winter öfter so, man kann das aber auch auf die Klimaerwärmung zurückführen." Diese Erwärmung und die daraus resultierende feuchtere Luft habe insgesamt höhere Niederschlagsmengen im Winter zur Folge – und das könne eben auch zu mehr Schnee führen.
Dieser Schnee wird sich in den kommenden Tagen in Bayern deutlich zeigen. Vor allem die höheren Lagen würden viel abbekommen, sagt Meteorologe Mewes. Besonders betroffen seien der Bayerische Wald und der Alpenraum. "Vorausgesetzt die Modelle sind korrekt, kann es 70 Zentimeter bis einen Meter Neuschnee geben", sagt Mewes. In den Allgäuer und Berchtesgadener Alpen könnten von der Nacht auf Donnerstag bis zum Samstag sogar mehr als 1,2 Meter Neuschnee fallen. "Das ist schon eine große Menge, die da in knapp drei Tagen zustande kommt." Auch im Flachland soll es dem DWD zufolge in den kommenden Tagen schneien. 15 bis 20 Zentimeter Neuschnee sind möglich.
Folgen des Wintereinbruchs: Blitzeis legte Go Ahead-Bahnverkehr lahm
Welche Auswirkungen derartige Wintereinbrüche haben können, wurde in den vergangenen Wochen in der Region deutlich sichtbar. Denn die ungewöhnlichen Wärmeperioden wechselten sich mit dem Gegenteil ab: Kälte und Blitzeis, etwa Mitte Dezember. Vor allem der Verkehr war damals betroffen. Wegen der vielerorts spiegelglatten Straßen kam es zu zahlreichen Unfällen. Aber auch der Bahnverkehr des neuen Anbieters Go Ahead wurde nahezu komplett lahmgelegt – tausende Pendler blieben auf der Strecke.
Längst ist die Debatte darüber, wie normal dieses Winterwetter denn nun ist und wie stark die Folgen des Klimawandels bereits zu spüren sind, zum Politikum geworden – die bayerische Landtagswahl im kommenden Herbst wirft ihre Schatten voraus. Wiederholt hatte sich etwa der bayerische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) für den Einsatz von Schneekanonen ausgesprochen, als der Schnee in den Bergen zunächst einfach nicht fallen wollte. Das Thema ist derzeit höchst umstritten, schließlich gelten die Geräte als wahre Energiefresser.
Als es dann schließlich doch schneite, schrieb Aiwanger auf dem Kurznachrichten-Portal Twitter: "Hallo Grüne, schon mitbekommen, dass Petrus die Schneekanone wieder eingeschaltet hat? Natürlichen Schnee gibt es ja nach eurer Ideologie nicht mehr." Das Echo auf Aiwangers Tweet war enorm. Dem bayerischen Wirtschaftsminister wurde – übrigens nicht zum ersten Mal – vorgeworfen, die Klimakrise zu verharmlosen.
Derweil spricht sich der neue Tourismus-Koordinator der Bundesregierung, Dieter Janecek (Grüne), dafür aus, sich unabhängiger davon zu machen, ob genug Schnee fällt. "Es gibt eine Zukunft für den Skitourismus in Bayern, aber es ist nur eine der Möglichkeiten. Die Botschaft muss sein, dass die Urlauber das ganze Jahr in die Berge kommen können", sagte Janecek unserer Redaktion.
Nicht nur die Wetterkapriolen dieses Winters sorgen übrigens für heftige Debatten – schon im ganzen vergangenen Jahr zeigte sich, wie sehr sich das Klima verändert. Dem Deutschen Wetterdienst zufolge war das Jahr 2022 in Bayern das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Tobias Fuchs, Vorstand Klima und Umwelt des Deutschen Wetterdienstes, sagte in einem Pressestatement: "Das rekordwarme Jahr 2022 sollte für uns alle ein erneuter Ansporn sein, beim Klimaschutz endlich vom Reden zum Handeln zu kommen." Man habe es bisher nicht geschafft, wirkungsvoll auf die Treibhausgasbremse zu treten. Fuchs warnte: "Die Erderwärmung schreitet nahezu ungebremst voran."
Wie sehr die Klimaveränderungen in der Region von den Emissionen abhängen, zeigen wir mit unserem Projekt "Klimaausblick". Für jeden Landkreis haben wir eine Tabelle mit Prognosen erstellt. Sie zeigen, wie sich das Klima in Ihrer Heimat entwickeln wird: Auf welche Temperaturen wir uns bis Mitte und bis Ende des Jahrhunderts einstellen müssen, wie lange künftig die Hitzeperioden dauern werden und wie stark die Zahl der Frosttage abnimmt. Die Diagramme finden Sie hier.