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Wenn Long-Covid nach über einem Jahr das Leben schwer macht

Corona

Wie sieht der Alltag nach über einem Jahr mit Long-Covid aus?

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    Sie bleibt trotz allem optimistisch: Joana Doderer aus Augsburg leidet seit über einem Jahr an Post-Covid.
    Sie bleibt trotz allem optimistisch: Joana Doderer aus Augsburg leidet seit über einem Jahr an Post-Covid. Foto: Ulrich Wagner

    Es ist Joana Doderer nicht anzusehen, wenn sie in Turnschuhen zügigen Schrittes durch den Sheridan-Park in Augsburg geht, aber das Treppensteigen fällt ihr noch immer schwer. Eine Folge von Coronaeiner Corona-Infektion aus dem Winter 2020. Dazwischen lagen Monate der Arbeitsunfähigkeit, mit plötzlicher Atemnot, Vergesslichkeit, Wortfindungsstörungen, kaum Energie. Manche dieser Symptome wurden schwächer, unter anderen leidet die 41-Jährige noch heute.

    Bei den meisten Betroffenen ist eine Corona-Infektion spätestens nach ein paar Wochen vorbei. Doch für einige schränken die Symptome deutlich länger den Alltag ein. In der Statistik gelten sie als genesen, in Wahrheit sind sie chronisch krank. Dann ist von Long-Covid oder Post-Covid die Rede. Genau genommen spricht man von Long-Covid, wenn vier Wochen nach der Infektion noch Symptome auftreten, ab zwölf Wochen von Post-Covid. Als Überbegriff für beides ist umgangssprachlich die Bezeichnung Long-Covid geläufiger.

    Viele Menschen werden in Bayern wegen Long-Covid ambulant behandelt

    Was sich hinter den Begriffen verbirgt, macht zahlreichen Menschen das Arbeiten unmöglich. Expertinnen und Experten gehen von vielen tausend Menschen aus, die in Deutschland wegen Corona-Spätfolgen arbeitsunfähig sind. In Bayern wurden vergangenes Jahr laut Gesundheitsministerium 140.000 Menschen wegen Long-Covid ambulant versorgt. Mehr als ein Drittel davon kam erst im letzten Quartal dazu. Ein Ministeriumssprecher teilt mit: "Ein beträchtlicher Teil der Long-Covid-Patientinnen und -Patienten wird längerfristig behandelt."

    Die möglichen Symptome sind vielfältig. Betroffene sind oft schnell erschöpft und kurzatmig, sind vergesslich oder können sich nur schwer konzentrieren. Momente der Vergesslichkeit hat auch Joana Doderer immer wieder. Sie spricht von Brain Fog, also Nebel im Gehirn. "Es kommt immer wieder vor, dass mir die einfachsten Wörter nicht einfallen. Oder die Namen von Leuten, die ich schon seit Jahrzehnten kenne." Außerdem leide sie unter dem Chronischen Fatigue-Syndrom, sei häufig erschöpft und müsse sich nach Anstrengungen lange ausruhen. Angesteckt hat sich die Krankenschwester in der Anästhesie in der Universitätsklinik bei einer Patientin im Aufwachraum. Weil die Patientin sich übergeben musste, trug sie zu diesem Zeitpunkt keine Maske. Immerhin: Ihre Lungenfunktion, die sie alle paar Monate in der Post-Covid-Ambulanz in Augsburg kontrollieren lasse, habe sich seit vergangenem Jahr verbessert, sagt Doderer.

    Symptome bei Long-Covid sind unterschiedlich und zahlreich – die Therapieansätze auch

    Die Leiterin der Ambulanz ist Stefanie Bader. Sie habe aktuell 300 bis 350 Patientinnen und Patienten, sagt die Internistin und Lungenfachärztin. Tendenz steigend. Die Anfragen werden mehr, die Wartezeit betrage aktuell drei bis vier Monate. Die Therapieansätze sind so unterschiedlich wie die möglichen Symptome. Bader empfiehlt etwa Konzentrationsübungen oder leitet Menschen mit Riechstörungen weiter an eine Hals-Nasen-Ohren-Ärztin, bei neurologischen Symptomen an eine Neurologische Ambulanz. "Ein Großteil der Patienten, die ich habe, haben lange Beschwerden", sagt Bader. Teilweise liege die Infektion mehr als zwei Jahre zurück.

    Joana Doderer geht es aktuell besser als vor einigen Monaten. Aber sie sei chronisch krank, sagt sie, habe sogar einen Grad der Schwerbehinderung. Zu Erschöpfung und Vergesslichkeit kommt immer noch gelegentliche Atemnot. "Keine Luft zu bekommen, ist, glaube ich, das Schlimmste, was es gibt", sagt die Krankenschwester. Mittlerweile arbeitet sie wieder, teilweise sogar Zehn-Stunden-Schichten. Zu schaffen macht ihr auf der Arbeit häufig die Reizüberflutung. Radio, Stimmengewirr, piepsende Geräte. "Wenn alle Reize auf mich einprasseln, ist es schwierig herauszufiltern, was wichtig ist." Und anstrengend. Nach der Schicht müsse sie sich oft hinlegen, um ihre Energie wieder aufzuladen. Nachts brauche sie zehn Stunden Schlaf, sagt Doderer.

    Auch Kinder können schwer von Long-Covid betroffen sein

    So wie ihr kann es theoretisch allen gehen, egal welchen Alters. Dass Corona-Langzeitfolgen auch die Jüngsten treffen können, weiß Professorin Uta Behrends. In München leitet sie eine spezielle Long-Covid-Ambulanz für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Sie erklärt gegenüber unserer Redaktion: "Die meisten Kinder und Jugendlichen genesen innerhalb weniger Wochen. Einige sind aber auch später als drei Monate nach der Infektion noch krank und erfüllen damit die Diagnosekriterien für ein Post-Covid-Syndrom." Das könne sehr langwierig verlaufen.

    Mit Langzeitfolgen von Corona kämpfen immer mehr Menschen, wie Behrends aus ihrem Arbeitsalltag weiß: "Die Fallzahlen steigen insgesamt deutlich an. Dies bestätigen auch die Anfragen mit Verdacht auf Long-Covid an unser eigenes Zentrum, sie haben im ersten Quartal 2022 gegenüber dem letzten Quartal 2021 deutlich zugenommen."

    Wie wirken sich Corona-Spätfolgen wie ständige Erschöpfung auf die junge Psyche aus? "Viele Betroffene haben eine bemerkenswerte psychische Widerstandskraft und zeigen trotz erheblicher körperlicher Symptomatik keine merklichen psychischen Auswirkungen", erklärt Behrends. Das gelte hauptsächlich für die ersten Wochen der Erkrankung. Länger anhaltende Long-Covid-Symptome führen zu mehr mentalen Schwierigkeiten. "Bei langwierigem und schwerem Krankheitsverlauf besteht ein erhöhtes Risiko für eine depressive Reaktion."

    Um das Risiko einer erneuten Corona-Infektion gering zu halten, schränken Joana Doderer und ihre Familie sich freiwillig ein. Sie meiden Menschenmassen, tragen außerhalb des Hauses in geschlossenen Räumen Maske. Im Restaurant, beim Einkaufen, im Kino. "Meine Tochter trägt freiwillig in der Schule Maske", sagt die Augsburgerin.

    Klaus Holetschek glaubt nicht an ein baldiges Ende des Long-Covid-Problems

    Wie ernst nehmen die Verantwortlichen im Freistaat Long-Covid? Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagt: "Unser Ziel ist klar: Wir wollen eine flächendeckende Versorgung der Patienten gewährleisten, angepasst an die jeweiligen Behandlungsbedarfe. Hierfür haben wir einen Runden Tisch mit allen wesentlichen Akteuren aus dem Bereich der stationären und ambulanten Versorgung, der Kostenträger, der Wissenschaft und Verwaltung und auch der Betroffenen selbst eingerichtet."

    Holetschek hat also Schritte eingeleitet, um Long-Covid einzudämmen. An ein schnelles Ende des Problems glaubt er nicht: "Solange Infektionen stattfinden, werden die Herausforderungen durch Long-Covid weiter bestehen." Die weitere Entwicklung hänge auch vom eventuellen Auftreten neuer, infektiöserer oder virulenterer Virusvarianten ab. "Den Herausforderungen durch Long-Covid und Post-Covid werden wir uns auf absehbare Zeit weiter stellen müssen."

    Das weiß Joana Doderer. Dass Corona-Spätfolgen kein klar definiertes Ablaufdatum haben, erlebt sie am eigenen Körper. Unterkriegen lässt die Augsburgerin sich nicht, auch wenn sie nach Verbesserungen oft Rückschläge einstecken musste. "Ich bin immer optimistisch. Auch an schlechten Tagen denke ich mir: Morgen wird es besser."

    Joana Doderer war Anfang des Jahres zu Gast in unserem Podcast "Augsburg, meine Stadt". In der Folge erzählt sie, wie sich ihr Leben mit Long Covid verändert hat.

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