Der Giftnotruf in München ist gefragter denn je: Bis zu 30 Anrufe gehen aktuell täglich aufgrund einer möglichen Pilzvergiftung ein. „Das ist schon sehr viel“, sagt Oberärztin Katrin Romanek. In den Wald zu gehen und Pilze zu sammeln, sei momentan sehr in Mode. Gerade seit der Corona-Pandemie. Auch Kräutersammeln sei angesagt. Doch vielen fehlt das Wissen. Das kann lebensgefährliche Folgen haben: So vergifteten sich zuletzt mehrere Menschen, darunter Kinder, mit dem Knollenblätterpilz und mussten transplantiert werden.
Selbst kleine Mengen haben lebensgefährliche Wirkungen
Die Deutsche Leberstiftung hat schon zu Beginn der diesjährigen Pilzsaison eindringlich vor dem Verzehr von Giftpilzen gewarnt, da er zu Leber- und Nierenversagen führen kann. In jeder Pilzsaison komme es demnach aus Unachtsamkeit und Unwissenheit, auch bei selbst ernannten Pilzexperten, zu teils lebensgefährlichen Vergiftungen. Einer der giftigsten Pilze in Europa sei der Grüne Knollenblätterpilz. „Besonders für Kinder und ältere Menschen ist die Gefahr extrem groß, da bei ihnen bereits kleine Mengen giftiger Pilze schwere gesundheitliche Schäden hervorrufen können“, erklärt Prof. Dr. Michael P. Manns, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leberstiftung. „Nach einer gewissen Zeit kommt es bei den Patienten zu Beschwerden wie Unwohlsein und Magenschmerzen sowie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Symptome, die auch bei einer Magen-Darm-Infektion auftreten können. Die Gifte des Knollenblätterpilzes beginnen bereits etwa 24 Stunden nach dem Verzehr die Leber zu zerstören, dies kann von Blutgerinnungs- und Nierenfunktionsstörungen begleitet werden.“ Im schlimmsten Fall könne es zum Versagen der Leberfunktionen führen, sodass nur noch eine Lebertransplantation das Leben des Patienten retten könne.
Ärztin rät: Verlassen Sie sich nie nur auf eine App
Entscheidend für die klinische Toxikologin Katrin Romanek vom Giftnotruf am TUM-Klinikum rechts der Isar ist es, wann die Beschwerden aufgetreten sind und welche Pilze gesammelt wurden: Seien nur Röhrlinge verzehrt worden, bestehe weniger Vergiftungsgefahr als bei Lamellenpilzen. Treten die gesundheitlichen Probleme binnen sechs Stunden nach dem Verzehr auf, seien die Risiken für eine lebensbedrohliche Erkrankung geringer, als wenn sich die Symptome erst nach sechs Stunden oder länger bemerkbar machten. Oft helfen gute Fotos, um zu entscheiden, was gegessen wurde, daher sollte man die Pilze vor der Zubereitung stets von allen Seiten fotografieren. Aber auch Putzreste werden analysiert.
In der aktuellen Pilzsaison sei es vor allem auch zu Verwechslungen bei den beliebten Parasol-Pilzen gekommen, die wie ein Schnitzel gebraten werden können: So wachse der giftige spitzschuppige Stachelschirmling an ähnlichen Standorten und unterscheide sich vom Parasol darin, dass er etwas kleiner ist und sich der weiße Ring am Stiel nicht verschieben lässt. Auch beim Stockschwämmchen sei es immer wieder zu Verwechslungen mit dem hoch gefährlichen Gift-Häubling gekommen. Vor allem rät die Ärztin dazu, sich keinesfalls nur auf Apps bei der Bestimmung der Pilze zu verlassen, sondern die gesammelten Exemplare von einem Pilzberater vor der Zubereitung prüfen zu lassen. Über die Bayerische Mykologische Gesellschaft finde man in seiner Region Expertinnen und Experten.
Radioaktive Belastung bei Pilzen ist nicht zu unterschätzen
In Neuburg an der Donau ist die Chemikerin und Pilzberaterin Cornelia Euringer-Klose aktiv. Sie sagt: „Jedes Jahr kommt es zu Pilzvergiftungen, aber heuer sind es schon sehr viele.“ Es sei freilich auch eine gute Pilzsaison. Besonders stark sei die Zahl der Vergiftungen im Jahr 2015 gestiegen, als viele geflüchtete Menschen kamen. In vielen Ländern sei die Affinität, Pilze zu sammeln, besonders groß, doch die Verwechslungsgefahren würden unterschätzt. Die Pilzexpertin ist immer wieder über die Sorglosigkeit bestürzt: „Die Leute setzen ihr Leben aufs Spiel, aber da ist oft überhaupt kein Bewusstsein für die Gefahren da, man lässt sogar Kinder mitessen.“ Auch sie sagt: Was fehle, sei Wissen.
In Bayern wurden mittlerweile etwa 5000 Pilzarten nachgewiesen, doch durch den Klimawandel kamen auch neue, bislang unbekannte dazu, wodurch wiederum die Verwechslungsgefahren zunehmen. Nicht vergessen dürfe man: Pilze sind auch Jahrzehnte nach der Tschernobyl-Katastrophe zum Teil noch radioaktiv belastet. Besonders betroffen sind laut dem Bundesamt für Strahlenschutz unter anderem Semmelstoppelpilze, Maronenröhrlinge und Trompetenpfifferlinge. Schwermetalle wie Cadmium sammeln unter anderem die Champignons und Lacktrichterlinge, die man deshalb nicht mehr auf den Speisezettel setzen sollte, sagt Euringer-Klose.
Viele Pilze dürfen gar nicht gesammelt werden
Die Pilzexpertin wünscht sich aber nicht nur mehr Wissen um die Pilze, sondern auch einen achtsameren Umgang: „Vielen fehlt der Respekt vor der Natur. Da wird oft viel zerstört, weil Pilze in großen Mengen einfach rausgerissen oder zertrampelt werden.“ Dabei ist die Menge begrenzt, die man mitnehmen darf: In Bayern seien es etwa ein Kilo pro Tag und Person – das gelte beispielsweise auch für den Steinpilz. „Viele andere Arten stehen ganz oben auf der Roten Liste und dürfen gar nicht gesammelt werden.“
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