Herr Professor Wolf, wo liegt denn der Unterschied zwischen einer Sprache und einem Dialekt?
KLAUS WOLF: Letztlich ist es eine Frage der Konvention, der Übereinkunft. Sprache hat normalerweise mehr Schriftlichkeit, eine eigene Grammatik, Wörterbücher und eine Schriftliteratur. Der Dialekt dagegen ist regionaler verbreitet und hat weniger schriftliche Fixierungen. Aber Sprache ist nichts mathematisch Abzirkelbares. Es gibt immer fließende Übergänge und letztlich ist es eine Definitionsfrage, was man als Dialekt oder als Sprache festsetzen will.
Schriftliche Zeugnisse und eine eigene Dichtung gibt es auch im Bairischen und im Schwäbischen. Und die Sprachwissenschaft hat den Mundart-Wortschatz in Wörterbüchern zusammengetragen, die mehrere Regalmeter umfassen. Müssten Bairisch und Schwäbisch nicht längst anerkannte Sprachen sein?
WOLF: Faktisch kann man eindeutig dafür plädieren, es wäre überhaupt kein Problem, diese Dialekte als Sprachen anzuerkennen. Unsere Bibliotheken sind das beste Beispiel dafür. Was da alles rumsteht an Wörterbüchern, Grammatiken und verschriftlichtem Dialekt!
Der Förderverein Bairische Sprache und Dialekte hat 13.000 Unterschriften gesammelt und beim Landtag den Antrag gestellt, dass er beim Bundestag die Aufnahme der Bairischen Sprache in die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen beantragt. Schwäbische Sprachvereine planen dasselbe. Wird es am Ende zum Erfolg führen?
WOLF: Wenn der Landtag sich da einig ist, dann setzt er das auch durch, Bayern ist ja ein mächtiger Staat. Es geht hier um Schutz und um Wertschätzung. Quasi nicht nur „Rettet die Bienen“, sondern auch „Rettet die Dialekte“. Dialekte gehören zu unserem Kulturraum und müssen geschützt werden. Übrigens sind die ältesten Zeugnisse in deutscher Sprache alle süddeutsch. Da gab‘s im Norden gar nix. Hier war die Kultur, hier waren die vielen Klöster, die alten Römerstädte. Wenn man aufs 8., 9. Jahrhundert zurückschaut, dann weiß man: Der Beginn des Deutschen liegt im Süden.
Was würde sich denn ändern, wenn Bairisch und Schwäbisch offiziell Sprachen wären?
WOLF: Es geht nicht darum, dass man die Leute zwingt, aktiv diese Dialekte zu sprechen. Sondern darum, dass niemand diskriminiert wird, weil er Mundart spricht. Und man könnte Schwäbisch oder Bairisch in die Lehrpläne von Schulen integrieren. Beim Plattdeutschen zum Beispiel, das schon länger als Sprache anerkannt ist, wird das gemacht. Und ich stünde sehr dahinter. Wir könnten das in der Lehrkräfteausbildung an den Universitäten locker gewährleisten.
Was hat es für Vorteile, wenn in der Schule die Mundart gepflegt wird?
WOLF: Die Sprachwissenschaft hat herausgefunden, dass Leute, die nicht nur Hochsprache, sondern auch Dialekt beherrschen, über die innere Mehrsprachigkeit verfügen. Das bedeutet, im Gehirn sind Strukturen angelegt, die das Erlernen einer Fremdsprache begünstigen. Also: Wer Schwäbisch schwätzt, lernt auch leichter Englisch.
Sind Mundartsprecher auch über Fremdsprachen hinaus im Vorteil?
WOLF: Man muss sich ja kontinuierlich entscheiden: Wo spreche ich meinen Dorfdialekt, wo so ein Honoratiorenbairisch, wo die reine Hochsprache? Ich glaube, dieses sogenannte Codeswitching, also der Wechsel von der Standardsprache in die Mundart und andersherum, fördert immer die Intelligenz.
Ihren Schätzungen zufolge spricht etwa in Schwaben noch ein Drittel der Menschen Dialekt, auf dem Land mehr als in der Stadt. Wie ist das mit anderen Dialekten?
WOLF: Also im Großraum München spricht nahezu keiner mehr Mundart. „Wo‘d S-Bahn aufhört, fängt der Dialekt o“, hat mal eine Kollegin zu mir gesagt. Aber außerhalb, im Chiemgau zum Beispiel, da sprechen alle noch Bairisch. Dasselbe gilt für Fränkisch. Wenn Sie nach Oberfranken fahren, in Richtung frühere Zonengrenze, ist Fränkisch auf dem Land noch sehr verbreitet. Wir haben also ein Stadt-Land-Gefälle, aber in Prozentzahlen lässt sich das schwer sagen.
Aber glauben Sie wirklich, dass der Dialekt gerettet werden kann, wenn er zu einer eigenen Sprache ernannt wird?
WOLF: Ich denke, wenn etwas Wertschätzung erfährt, dann gibt es mehr Leute, die sich wieder damit beschäftigen. In der Kunstszene merkt man das schon. Ich veranstalte Mundart-Poetry-Slams. Das läuft gut. Man findet sogar Rapper, die in Mundart texten. Ich sehe da eine absolute Trendwende. Die Regionalisierung ist eine Antwort auf die Globalisierung. Die Leute haben globalisierte Berufsbiografien, aber trotzdem die Sehnsucht nach einer Heimat im weiteren Sinne.
Zur Person
Klaus Wolf, 59, ist Professor für Deutsche Literatur und Sprache in Bayern an der Universität Augsburg und lebt im angrenzenden Landkreis. Seine Frau und seine Töchter schwäbeln, er aber bleibt seinem Heimatdialekt treu – der Aichacher Mundart.
Die Sprachwissenschaften mit ihren Dialektbefürwortern vergisst m.E. was das Wichtigste an Sprache ist: Dass man sich gegenseitig versteht und sich austauschen kann. Wenn sich der Dialektsprecher diskriminiert fühlt übersieht er, dass er selbst - wenn er unter seinen Sprachbrüdern ist - auch andere ausgrenzt, indem sie sich so unterhalten, dass es kein Dritter versteht. Die Medaille hat wie so oft zwei Seiten. Ich persönlich finde Dialekte absolut überflüssig, eine Bauchnabelschau sondersgleichen (ach wie sind wir toll mit unserem eigenen Wortschatz und dass uns nur Insider verstehen) und wäre glücklich, man würde sich mehr um den Erhalt des Wortschatzes wie der Zeiten und des Konjunktivs in unserer deutschen Hochsprache kümmern.
Ich bin in der niederrheinischen Tiefebene zur Schule gegangen und später in die Nähe von Stuttgart und dann in die Nähe von Augsburg gezogen. Am Niederrhein hatten wir vor mehr als 60 Jahren einen promovierten Deutschlehrer der mehr als einmal gesagt hat: "Meine Herren, jeder Idiot kann hochdeutsch. Viel wichtiger ist, dass sie plattdeutsch verstehen und sprechen können, denn damit kommen sie durch die Welt." Ich lebe inzwischen in Ostfriesland und phantastisch ist hier, dass viele Ostfriesen ohne Probleme zwischen Ostfriesisch und hochdeutsch wechseln können, wenn sie mit z.B. mit Einheimischen und Auswärtigen parallel sprechen. Das habe ich so extrem weder am Niederrhein noch in Süddeutschland erlebt. An der Aussage vom Deutschlehrer könnte etwas dran gewesen sein, denn ich habe weder in Süddeutschland noch an der Küste und auch nicht im Ausland, wo ich berufsbedingt oft war, große sprachliche Probleme gehabt.
Was nutzt Intelligenz, wenn sie nicht verstanden wird? Darauf ein Prosit & ein Vivat.
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