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Maria Vesperbild: Zum 1. Februar 2024 hört Monsignore Reichart auf – seine Bilanz zum Abschied

Maria Vesperbild ist als "schwäbische Hauptstadt Mariens" bundesweit bekannt. Schlagzeilen macht es immer wieder wegen der prominenten Kirchenmänner, die es besuchen – wie im Jahr 2023 Erzbischof Georg Gänswein. Wallfahrtsdirektor Erwin Reichart (rechts) ging damals voran – nun geht er in den Ruhestand.
Kirche

Umbruch in Maria Vesperbild: Das plant der neue Wallfahrtsdirektor

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    Der frisch gefallene Schnee knirscht unter den Schuhen von Erwin Reichart, als er von der Wallfahrtsdirektion zur Wallfahrtskirche und weiter zur Grotte läuft. Vorbei am Marienbrunnen, in den Menschen Münzen werfen wie in den Trevibrunnen in Rom, vorbei an den Bäumen, die Besucher manchmal wohl aus esoterischen Gründen umarmen, dann den Fußweg entlang in den Wald. Reichart hält kurz an den Findlingen, die die "Ettalpilger" seit den 70er-Jahren von ihren Wallfahrten hierherbringen und mit Jahresplaketten versehen. Maria Vesperbild, das zu Ziemetshausen im Landkreis Günzburg gehört, ist Start- und Endpunkt, die Tradition reicht zurück ins 17. Jahrhundert. Kindern erzähle er, in einer Million Jahren werde es keine Steine mehr in Ettal geben, sagt Wallfahrtsdirektor Monsignore

    Wallfahrtsdirektor Erwin Reichart geht zum 1. Februar in den Ruhestand

    Sicher tausendmal sei er den Weg in den vergangenen Jahren gegangen, sagt Reichart an diesem Vormittag bei einer seiner vorerst letzten Runden. Nun geht er – in den Ruhestand. Reichart wurde 2018 Wallfahrtsdirektor in Maria Vesperbild, der "schwäbischen Hauptstadt Mariens". Am Sonntag wird er 70, von 10.15 Uhr an hält er sein letztes Pilgeramt, einen Gottesdienst, danach ist für ihn hier Schluss. Zum 1. Februar übernimmt sein Nachfolger. Er spüre körperlich und geistig, dass es Zeit sei, sagt er. Maria Vesperbild, das Wallfahren und Pilgern aber werde es noch lange geben, darum mache er sich keine Sorgen. "Es gab hier kein Wunder, keine Erscheinung, und doch wächst Maria Vesperbild und wächst." 350.000 Pilger und Kirchenbesucher kämen jährlich, schätzt Reichart. Das Fass mit dem "Heilig-Drei-Königwasser" in der Kirche sei innerhalb weniger Wochen dreimal aufgefüllt worden. Das wären nach seinen Schätzungen ungefähr 3000 Liter Weihwasser. Was ihn besorge, das sei der Zustand der katholischen Kirche.

    Den Wallfahrtsort Maria Vesperbild besuchen jährlich schätzungsweise 350.000 Menschen.
    Den Wallfahrtsort Maria Vesperbild besuchen jährlich schätzungsweise 350.000 Menschen. Foto: Bernhard Weizenegger

    Und so lässt sich an Abschied und Neubeginn in Maria Vesperbild auch von Ab- und Aufbrüchen, von Ernüchterung und Hype erzählen.

    Pilgern erlebte mit Hape Kerkeling einen Boom

    Von einem "Hype" sprach der Pastoraltheologe Erich Garhammer, seit 2017 emeritierter Professor der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Die herkömmliche Form der Wallfahrt schien an ihr Ende gelangt, stellte er 2012 in einem Interview fest, dann habe es plötzlich diesen Hype gegeben, ausgelöst durch Hape Kerkelings Bestseller "Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf dem Jakobsweg" von 2006. In dem Buch zeige sich eine echte Spiritualität. Und es sei höchst interessant zu sehen, dass in einer Gesellschaft, die normalerweise "antiritualistisch" ticke, man doch nach Ritualen suche.

    Fragt man Garhammer heute danach, was vom "Hype" geblieben sei, spricht er von einer nach wie vor bestehenden Sehnsucht – zum Beispiel nach einem Ort und einer spirituellen Ausdrucksform, die die je eigene Lebensgeschichte ins Spiel bringen könne. Wie er das meine? Nun, man könne sich durch Wallfahrten oder individuellere Pilgerreisen mit etwas in Verbindung bringen, das größer sei als man selbst und das den Alltag transzendiere, also übersteige. Solche Erfahrungen suche man eher nicht in Pfarrgemeinden. 

    Im Gegensatz zu diesen seien Wallfahrtsorte auch niederschwelliger. In Maria Vesperbild ist die Fatima-Grotte im Wald nur einen kurzen Spaziergang vom Parkplatz entfernt. Garhammer sagt noch etwas: Über das "Wunderbare", das in

    An einer der Holzwände, an denen nahe der Fatima-Madonna Votivtafeln angebracht wurden, lehnen zwei Krücken.
    An einer der Holzwände, an denen nahe der Fatima-Madonna Votivtafeln angebracht wurden, lehnen zwei Krücken. Foto: Daniel Wirsching

    Im Abstand von zwei, drei Metern blickt ein Paar zur Fatima-Madonna, nicht lange, schon tritt es den Rückweg an. "An der Grotte allein zu sein, das gibt's nicht – außer vielleicht mal nachts um 3 Uhr", sagt Erwin Reichart. Er zeigt auf den Zettel, den jemand in die zum Gebet gefalteten Hände der Holzfigur gesteckt hat, darauf gewiss eine Bitte oder Dankesworte, wie auf den ungezählten Votivtafeln in der gesamten Grotte. "Maria hat unserem Sohn geholfen 2002 Danke", "Maria hat in schwerer Krankheit auffallende Hilfe geschenkt. Hinterschellenbach Januar 1964", "Danke für die Heilung eines bösartigen Gehirntumors Syrgenstein 2014", "Nebeska Majko Marija ...". An einer der Holzwände, an denen Votivtafeln hängen, lehnen zwei Krücken.

    Volksfrömmigkeit: Menschen stecken kleine Zettel in die Hände der Fatima-Madonna

    Die Zettel in den Madonnen-Händen werden täglich eingesammelt, seit Kurzem nimmt sie Reichart mit in den Gottesdienst ins Gebet und verbrennt sie anschließend. Viele ältere habe man aufbewahrt, er wisse nicht recht, was aus ihnen werden solle, in den Mülleimer schmeißen könne er sie ja nicht.

    Auf einer Steintafel, die ihn besonders beeindruckt, steht: "Muttergottes u. ihr Sohn haben nicht geholfen. Auch dafür danken wir, nur sie allein wissen 'Warum'." Darunter ein Männername, das Geburtsjahr 1955, das Sterbejahr 1984. "Das ist ein Vertrauen in Gott, das mich berührt", sagt Reichart. Danach prüft er den Sockel der Madonna, die dem Wallfahrtsort 1957 gestiftet wurde. "Alle drei Jahre muss das Holz gerichtet werden, es verfault", sagt er.

    Die Fatima-Madonna in Maria Vesperbild. Menschen stecken in ihre zu Gebet gefalteten Hände kleine Zettel – mit Bitten oder Dankesworten.
    Die Fatima-Madonna in Maria Vesperbild. Menschen stecken in ihre zu Gebet gefalteten Hände kleine Zettel – mit Bitten oder Dankesworten. Foto: Daniel Wirsching

    Unter Reichart ist es ruhiger geworden um Maria Vesperbild – was gewünscht gewesen sein soll, wie es aus Bistumskreisen hieß. Sein langjähriger Vorgänger Wilhelm Imkamp hatte etwas Barockes an sich und Lust an der Provokation. Er liebte die Auseinandersetzung mit Kirchenkritikern und reformorientierten Christen genauso wie Champagner und seine Pfeifen. Das Bistum Augsburg erklärte zu seinem Abschied, er habe den Wallfahrtsort weit über die Region hinaus bekannt gemacht und ein Publikum im gesamten deutschen Sprachraum angesprochen. Imkamp, der als Hausgeistlicher im Regensburger Schloss St. Emmeram seiner Vertrauten Gloria von Thurn und Taxis lebt, segnete einst Traktoren, Tiere, Spielzeugautos. Parlierte in Talkshows. Mischte mit in (kirchen-)politischen Debatten. Wie anders Erwin Reichart, Arbeiterkind, gelernter Betriebsschlosser. Er sagt, er habe Maria Vesperbild konsolidiert: finanziell, baulich, personell.

    Bundesweit in die Schlagzeilen geriet der Wallfahrtsort unter Reichart dennoch – allerdings mehr aufgrund der Kirchenprominenz, die sich dort zu Zeitpunkten einfand, während derer ohnehin große öffentliche Aufmerksamkeit auf ihr lag. So war das im August 2023, so war das im August 2022. Im vergangenen Sommer kam Erzbischof Georg Gänswein am Himmelfahrtstag in den schwäbischen Wallfahrtsort. Wenige Wochen zuvor war der Vertraute des früheren Papstes Benedikt XVI. aus dem Vatikan in sein Heimatbistum Freiburg zurückgekehrt – er sei bei Papst Franziskus in Ungnade gefallen, wurde weltweit berichtet. 2022 war der wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen und Betroffenen viel kritisierte Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki mit Beifall empfangen worden. Öffentlich diskutiert wurde, ob Maria Vesperbild ein Hort der "Antimodernisten" sei. Reichart reagierte verstimmt: Man lasse sich "nicht in eine finstere Ecke stecken", Maria Vesperbild sei "mitten in der Kirche". Experten bescheinigten dem Wallfahrtsort, dass in ihm ein traditionalistisches Kirchenbild verkörpert und traditionsbewusste Volksfrömmigkeit gelebt werde. Das Erste sei legitim, das Zweite hoch einzuschätzen, drifte beides nicht ins Reaktionäre ab.

    Wallfahrtsdirektor Wilhelm Imkamp machte Maria Vesperbild einst bundesweit bekannt. Das Foto aus dem Jahr 2011 zeigt ihn bei der Segnung eines Spielzeugautos.
    Wallfahrtsdirektor Wilhelm Imkamp machte Maria Vesperbild einst bundesweit bekannt. Das Foto aus dem Jahr 2011 zeigt ihn bei der Segnung eines Spielzeugautos. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Wallfahrtsdirektor Erwin Reichart ist katholisch-konservativ, für einige erzkonservativ. Seine Sicht auf die katholische Kirche, sein Verständnis von Katholischsein wird offenbar in einem Artikel, den er für den "Wallfahrtskalender 2024" geschrieben hat. Wenn man will, ist es die Kurzzusammenfassung eines Lebens, das er der Kirche widmete, eine Bilanz, aus der Enttäuschung herausklingt. Nicht über seine Berufung, seinen Weg, seinen Glauben – sondern über eine Kirche, die ihm in Teilen fremd geworden ist. In der Kirche habe sich der Unglaube breitgemacht, und sogar Bischöfe seien davon angesteckt worden, schrieb er. In Ordinariaten, kirchlichen Einrichtungen oder Verbänden "geben vielfach Leute den Ton an, die sich nur teilweise mit dem Glauben und der Morallehre der Kirche identifizieren", der Reformprozess Synodaler Weg – mit seinen Forderungen nach der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare oder nach dem Zugang von Frauen zu Weiheämtern – sei ein Spiegelbild dafür. "Wer traut sich, einen Befreiungsschlag zu machen?", fragte Reichart. Für ihn beginnt die "Krise der Kirche" bereits in seiner Kindheit. Zwar sei seine Heimatkirche sonntags noch brechend voll gewesen, aber kaum jemand habe selbstbewusst für den christlichen Glauben Zeugnis abgelegt. Später, zu seiner Zeit als Pfarrer, seien Verdächtigungen gestreut worden: "Euer Pfarrer ist rückwärtsgewandt".

    Theologe Erich Garhammer: Wallfahrtsorte sind Marken

    Im Gespräch klingt er weitaus weniger scharf, er sei kein Polterer, nicht frustriert oder enttäuscht, sagt er. "Ich bin sehr, sehr in Sorge und traurig." In Maria Vesperbild habe er sein geistliches Leben gut leben können, es sei wie eine Insel, er sei dankbar. Was ihn besorge, das sei die "Entchristlichung des Landes". Die Menschen hätten ein Verlangen nach Religiosität, suchten es allerdings nicht mehr in der Kirche. Reichart nennt die Beichte, die kaum praktiziert werde, und kommt schließlich zum Thema Sterbehilfe. Es würden Dämme gebrochen. Dem könne er nur das Gebet entgegensetzen.

    Pastoraltheologe Erich Garhammer kennt Reicharts jüngste Aussagen. Er zieht aus ihnen den Schluss, dass Wallfahrtsorte sich weiter öffnen müssten, sie dürften sich nicht auf eine bestimmte Klientel fokussieren. "Warum lädt man nicht einmal die Augsburger Oberbürgermeisterin nach Vesperbild ein, die sich klar gegen Rechtsextremismus gestellt hat? Warum nicht einen evangelischen Prediger?", sagt er.

    Michael Menzinger wird Wallfahrtsdirektor in Maria Vesperbild

    Auf den 50-jährigen Michael Menzinger, der nun als neuer Wallfahrtsdirektor übernimmt, kommt demnach einiges zu. Vesperbild habe "einen großen Ruf in alle Himmelsrichtungen", sagt er am Telefon, darauf wolle er aufbauen. Menzinger, seit 2014 Leitender Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Aresing-Weilach mit der Wallfahrt Maria Beinberg, kündigt an, noch mehr mit "neuen Medien" arbeiten zu wollen, auch im Digitalen müsse Maria Vesperbild einen Standort haben. Er sagt: "Wir müssen die Kirche vor Ort stärken und Begegnungsmöglichkeiten schaffen, hierfür ist Maria Vesperbild ein wichtiger Ort." An den Einladungen von Gastzelebranten am katholischen Hochfest Mariä Himmelfahrt werde er festhalten. "Es muss nicht immer ein Erzbischof oder Kardinal sein." Er könne sich auch eine Ordensschwester oder andere Persönlichkeiten vorstellen, die fest im Glauben stünden. Auf die Frage, ob er sich zu (kirchen-)politischen Themen öffentlich zu Wort melden werde, antwortet er: "Ich werde das Evangelium verkünden, das ist meine Aufgabe."

    Pfarrer Michael Menzinger übernimmt zum 1. Februar das Amt des Wallfahrtsdirektors von Erwin Reichart.
    Pfarrer Michael Menzinger übernimmt zum 1. Februar das Amt des Wallfahrtsdirektors von Erwin Reichart. Foto: Pressestelle Bistum Augsburg

    Erwin Reichart hat an diesem kalten Wintertag einiges vor. Michael Menzinger hat sich für ein Übergabegespräch angekündigt, er muss den Umzug ins Haus seiner Eltern und Großeltern im Allgäu vorbereiten und will den jungen Mann anrufen, den er vor zwei Monaten an der Grotte mit der Fatima-Madonna kennenlernte. Schlimme Krebserkrankung, die Ärzte hätten ihn aufgegeben. Doch er lebe, es sei ein Wunder. Reichart möchte ihn darum bitten, dass sie diese Geschichte gemeinsam für den nächsten Wallfahrtskalender aufschreiben. Noch vor seinem Abschied, hofft er, werde die Bronzeüberdachung für die Fatima-

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