Das Strafrecht setzt der Meinungsfreiheit bei Volksverhetzung und Holocaustleugnung Grenzen, das hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Doch bleibt straffrei, wer seine Gedanken in einem Schreiben an eine Behörde schickt?
So hatte es das Landgericht München II bei einem Fax der einschlägig vorbestraften Sylvia Stolz aus dem oberbayerischen Ebersberg an das Finanzamt gesehen - und sie freigesprochen. Da sich dort nur wenige Menschen mit den Ausführungen befassten und diese der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, sah die 4. Strafkammer unter anderem mit Verweis auf die «hohe Datensensibilität der Finanzbehörden» kein Verbreiten im Sinne des Straftatbestandes. Das Dokument sei zudem als Einspruch zu einem Steuervorgang gemeint gewesen und so auch behandelt worden.
Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil Revision ein, so dass der Fall nun in Karlsruhe am Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt wurde. Dabei ging es vor allem um die Frage, wann von einer Verbreitung die Rede sein kann. Seine Entscheidung dazu will der dritte Strafsenat am 25. September verkünden. (Az. 3 StR 32/24)
339 Seiten langes Dokument
Stolz, die nicht zum BGH gekommen war, hatte schon zweimal wegen Volksverhetzung im Gefängnis gesessen. 2021 schickte sie ein 339 Seiten langes Schreiben an das Finanzamt München. Im Grunde nur auf der ersten Seite geht es den Angaben nach um eine Steuerangelegenheit. Auf den Seiten 36 bis 89 stelle die Angeklagte mehrmals «den geschichtlich anerkannten Holocaust» - also den Massenmord an europäischen Juden durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg - in Abrede. An anderer Stelle diskriminiere Stolz Ausländer und thematisiere die Corona-Politik.
Wegen «Reichsbürger»-Verdachts schaltete die Finanzbehörde die Polizei ein. So landete der Fall schließlich vor Gericht - erst in München, nun in Karlsruhe.
«Es genügt eine gewisse Streuung»
Die Bundesanwaltschaft argumentierte, dass auch bei einem Fax ans Finanzamt mit einer Kettenverbreitung zu rechnen sei. Der Absender könne den Personenkreis nicht kontrollieren, an den das Schreiben weitergereicht wird. Für eine Verbreitung reiche das, sagte der Staatsanwalt: «Es genügt eine gewisse Streuung.» Am Ende könnten die beanstandeten Passagen sogar in einem öffentlichen Prozess vorgetragen werden.
Stolz' Anwalt entgegnete, selbst bei einer Weitergabe an Strafverfolgungsbehörden hätten immer nur jene Menschen damit zu tun, die sich damit dienstlich befassten. Das sei ein eng begrenzter Personenkreis. Kein Beamter kopiere ein solches Dokument und verteile es in der gesamten Behörde oder steche es an Medien durch.
Wo verlaufen Grenzen der Meinungsfreiheit?
Zudem könne der Paragraf zur Volksverhetzung nicht uferlos angewandt werden, gerade weil er eine Ausnahme zur im Grundgesetz verankerten Meinungsfreiheit sei und bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsehe, so der Anwalt. Ansonsten dürfe man Strafbares nur noch denken und nicht mal mit zwei, drei Vertrauten darüber sprechen.
Der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer sprach von einer interessanten Rechtsfrage. Er diskutierte auch andere Versionen durch: Was sei etwa, wenn man ein Schreiben mit verwerflichem Inhalt an eine Privatperson schicke?
Unterschiedlicher Auffassung sind Anklage und Verteidigung auch, wie schlüssig oder widersprüchlich das Landgericht argumentiert hat und ob sich daraus Rechtsfehler geben. Sieht der BGH solche, müsste gegebenenfalls neu verhandelt werden.
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