Ganz so abwegig, wie vom Innenministerium bisher dargestellt, ist die Forderung nach einem auf sechs Jahre befristeten Mietenstopp in Bayern offenbar nicht. Die neun Richter beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof, die über die Zulässigkeit des Volksbegehrens „#6JahreMietenstopp“ entscheiden müssen, haben sich am Donnerstag im Justizpalast in München viel Zeit genommen, sich die Argumente der streitenden Parteien anzuhören. Dabei wurde deutlich, dass sich die Bayerische Staatsregierung möglicherweise ohne Not für nicht zuständig erklärt hat.
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Anspruch auf eine Wohnung: Nur Verfassungsfolklore - oder doch mehr?
Wer die Verfassung des Freistaats Bayern zur Hand nimmt, der findet in Artikel 106 den schönen Satz: „Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung.“ Für den Verfassungsrechtler Franz Mayer, der die Initiatoren des Volksbegehrens gemeinsam mit zwei anderen Bevollmächtigten in dem Rechtsstreit vertritt, ist deshalb klar: „Wer heute in München eine Wohnung sucht oder wer Angst davor hat, seine Wohnung zu verlieren, der wird dies nicht nur als Verfassungsfolklore lesen.“
Unter dem Begriff „Verfassungsfolklore“ fassen Juristen all jene Bestimmungen einer Verfassung zusammen, die das Wünschenswerte beschreiben, ohne dass daraus persönliche Rechte gegenüber dem Staat abgeleitet werden könnten. Mayer und seine Kollegen, der Zivilrechtler Markus Artz und der Geschäftsführer des Münchner Mietervereins, Volker Rastätter, wissen das. Mit Artikel 106 der Bayerischen Verfassung werden sie, so schön er auch sein mag, vor Gericht nicht weit kommen.
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Mietrecht in Bayern: Ist nur der Bund zuständig - oder auch der Freistaat?
Ihr eigentliches Argument lautet: Es ist zwar richtig, dass allein der Bundesgesetzgeber für das Mietrecht zuständig ist und der Freistaat Bayern hier somit keine eigene Gesetzgebungskompetenz hat. Aber diese gelte eben nur so weit, als es das unmittelbare zivilrechtliche Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter betrifft. Wenn der Freistaat dagegen einen befristeten Mietenstopp verhänge, um einem „Marktversagen“ und der „Vertreibung“ von Mietern aus den immer teurer werdenden Städten entgegenzuwirken, sei das etwas anderes. Es gebe keine Bestimmung, die den Freistaat daran hindere, ergänzende Gesetze zu erlassen, die nicht im Widerspruch zu Bundesgesetzen stehen. Mayer fasste es in die Formel, der Freistaat dürfe etwas verbieten, was der Bundesgesetzgeber erlaubt, er dürfe nur nicht etwas erlauben, was der Bundesgesetzgeber verbietet.
Artz und Rastätter schilderten worum es in der Praxis geht: Der durchschnittliche Quadratmeterpreis bei Neuvermietungen liege in München schon bei 18,31 Euro. Auch Besserverdienende könnten sich dies oft nicht mehr leisten. „Die Problematik mit den Mietpreisen“, so Rastätter, „erreicht immer größere Gesellschaftsschichten.“ Sogar Akademikerpaare mit Kindern seien oft gezwungen, die Stadt zu verlassen, weil sie 2500 Euro oder mehr für eine Wohnung zahlen müssten.
Innenministerium sperrt sich gegen Mietpreis-Grenzen - Mieter geben aber noch nicht auf
Der Prozessbevollmächtigte des Innenministeriums, Ministerialdirigent Volkhard Spilarewicz, zeigte sich unbeeindruckt von diesen Vorträgen. Er sieht keinerlei Spielraum für eine Gesetzgebungskompetenz des Freistaats. Der Bund habe, so argumentiert das Innenministerium, im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung bereits abschließende Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch getroffen. Insoweit bleibt kein Raum für die Festsetzung eigener landesgesetzlicher Mietpreisgrenzen. Es dürften weder weitergehende noch andere Regelungen geschaffen werden.
Letztlich geklärt scheint dies allerdings noch nicht. In der Verhandlung wurde nämlich auch klar, dass eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Kompetenzfrage noch aussteht. Die Initiatoren des Volksbegehrens – Mieterverein und Mieterbund, SPD, DGB, Linke und #ausspekuliert, die mehr als 52.000 Unterschriften gesammelt hatten, dürfen also noch hoffen. Seine Entscheidung gibt der Verfassungsgerichtshof unter Vorsitz von Präsident Peter Küspert am 16. Juli bekannt.
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