Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Vitali Klitschko, hat den russischen Angriff auf sein Land als Völkermord bezeichnet. "Das ist ein Genozid", sagte der 50 Jahre alte ehemalige Profiboxer am Mittwoch in einer Live-Schalte mit dem Stadtrat der Kiewer Partnerstadt München. "Die vernichten die Zivilbevölkerung, die vernichten unser Land."
Die Worte, mit denen sich Klitschko an den Stadtrat wandte, waren sehr emotional. In Militärkleidung saß er an einem Schreibtisch, hinter ihm zugezogene Vorhänge. „Wir hören hier ständig Explosionen, die Gebäude wackeln“, sagte Klitschko. Jeden Morgen, bevor er die Augen öffne, glaube er kurz, "dass es ein schlechter Traum war". "Das ist alles ein Alptraum, was passiert." Doch: "Ich mache meine Augen auf und sehe: Es ist eine harte Realität, sehr harte Realität." Seine Stadt sei das Hauptziel der russischen Aggression gewesen. Doch auch nach vier Wochen haben die russischen Truppen Kiew noch nicht eingenommen.
Klitschko: russische Angriffe in der Ukraine auf die Zivilbevölkerung
Der Bürgermeister zeigte Streumunition in die Kamera, zentimetergroße Metallkugeln, die mit russischen Raketen über der Stadt abgeworfen worden sein sollen. "Die töten in einem Radius von 500 Metern jedes menschliche Leben", sagte Klitschko. "Ist das ein Kampf gegen das Militär?" Wie viele Ukrainer bislang gestorben seien, könne er nicht sagen: "Wir können die Leichen nicht zählen." Statt Panik bekämen die Menschen dadurch eine "riesige Wut" auf Russland. "Wir gehen niemals auf die Knie, niemals möchten wir Sklaven sein."
Das Ziel der russischen Aggression sei es, ein großes mächtiges Imperium aufzubauen. "Wir wissen nicht, wo Putins Ambitionen aufhören." Regelmäßig spreche er mit Freunden aus Russland, die teilweise auch auf die Propaganda vom Kampf gegen Faschismus und Russenhass reinfielen. Klitschko wurde noch emotionaler, er rief: "Meine Mutter ist Russin, wie kann ich Russen hassen?" Er selbst ist in der Sowjetunion aufgewachsen und kenne das Streben nach imperialer Großmachtsstellung. "Ich weiß, was Diktatur und Autoritarismus bedeuten." In Russland hätten alle Angst, die eigene Meinung zu sagen.
Immer wieder wiederholte Klitschko, dass dieser Kampf viel mehr als ein Krieg zwischen der Ukraine und Russland sei. "Dieser Krieg betrifft jeden Bürger der Europäischen Union". Es sei ein Kampf um europäische Werte und Prinzipien, die Ukraine wolle ein Teil der europäischen Familie sein. "Wir kämpfen auch für euch", sagte der Bürgermeister.
Der Kiewer Bürgermeister fordert mehr Sanktionen gegen Russland
Klitschko bedankte sich für die Hilfe, auch im Namen seiner Bürgerinnen und Bürger. Anders als in der schwer zerstörten Hafenstadt Mariupol funktioniere in seiner Stadt noch Heizung, Elektrizität und Wasser. Doch das könne sich auch ändern. Er bat darum, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland komplett zu beenden und die Sanktionen weiter auszubauen. "Russland investiert jeden Cent in die Armee und in den Kampf gegen die Ukraine. Er verstehe, dass wirtschaftliche Sanktionen auch für Deutschland schmerzhaft seien, aber anders gehe es nicht. Entweder man verteidige die Ukraine, oder man stehe auf der Seite des russischen Aggressors. "Man kann nicht halbschwanger sein", sagte Klitschko
Friedensgesprächen stehe er sehr skeptisch gegenüber, er könne nicht verstehen, wie ein Kompromiss aussehen könnte. "Sollen wir einen Teil der Ukraine abgeben?" Die einzige Lösung sei, dass die russische Armee das ukrainische Territorium verließe. "Dieser Konflikt kann Monate dauern", sagte Klitschko.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD): "Ihr kämpft für unser aller Freiheit"
Der Kiewer Bürgermeister bekam für seine etwa halbstündige Rede stehende Ovationen von den Münchner Stadtratsmitgliedern. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) dankte ihm. "Lieber Vitali, wir waren und sind tief betroffen." Der Bericht habe ihn aufgewühlt, der Krieg mache ihn "ungeheuer wütend". Er zeigte sich aber auch beeindruckt vom Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer. "Eurer Mut gibt uns Hoffnung und Kraft. Ihr kämpft für unser aller Freiheit." Kiew könne sich auf die Solidarität seiner Partnerstadt zu 100 Prozent verlassen. Auch wenn Sanktionen und wirtschaftliche Beziehungen Aufgabe der Bundesregierung seien, setze sich Reiter in Gesprächen ständig dafür ein. Der Oberbürgermeister sprach auch von der Spenden- und Hilfsbereitschaft der Münchnerinnen und Münchner. Seine Stadt habe bisher bereits 20.000 geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufgenommen.
Noch einmal bedankte sich Klitschko für die Hilfsbereitschaft, bevor er sich verabschiedete. Der Norden seiner Stadt sei erneut bombardiert worden. "Ich muss los", verabschiedete sich der Bürgermeister. Die Stadtratsmitglieder gedachten anschließend in einer Schweigeminute der Opfer des Krieges. (mit dpa)