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Versuchter Anschlag in München: Viele Fragen bleiben offen

Schüsse in München

Neun Schüsse und viele offene Fragen

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    Die Fahne Israels weht am frühen Freitagmorgen vor dem israelischen Generalkonsulat, die Ermittlungen der Polizei brachten schon viel Licht ins Dunkel.
    Die Fahne Israels weht am frühen Freitagmorgen vor dem israelischen Generalkonsulat, die Ermittlungen der Polizei brachten schon viel Licht ins Dunkel. Foto: Matthias Balk, dpa

    Zwei Einschusslöcher geben Hinweise darauf, was Emrah I. mit seinem Gewehr am Donnerstag vorhatte. Die Einschläge am Fenster des israelischen Generalkonsulats in München sind auch von der gegenüberliegenden Straßenseite noch gut erkennbar. Sie stammen aus der Waffe des Mannes, der wenige Momente später selbst von einem tödlichen Schuss getroffen wurde. Die bayerischen Ermittlerinnen und Ermittler gehen davon aus, dass er einen Anschlag auf die Vertretung des israelischen Staates geplant hatte. Zuvor hatte der 18-Jährige, wie am Freitag bekannt wurde, auch auf das NS-Dokumentationszentrum in unmittelbarer Nachbarschaft geschossen.

    Das Museum, das die Gräuel des Nationalsozialismus einordnet, hat am Freitag geschlossen. Das Konsulatsgelände ist am Morgen nach dem vereitelten Anschlag abgeriegelt. Polizeiautos säumen die Barer Straße. Wer sich dem Eingangstor zu sehr nähert, wird über die Sprechanlage des Konsulats zurückgewiesen. Ansonsten ist es ruhig.

    Eine Soko mit 50 Leuten ermittelt nach Anschlag in München

    Ganz anders im Pressezentrum des Polizeipräsidiums München, wo Polizei und Generalstaatsanwaltschaft etwa 30 Stunden nach der Tat ihre neuesten Ermittlungsergebnisse vorstellen. Eine Sonderkommission mit 50 Beamtinnen und Beamten ist mittlerweile im Einsatz. Wie die leitende Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann erklärt, geht die Generalstaatsanwaltschaft davon aus, „dass der Täter islamistisch beziehungsweise antisemitisch gehandelt hat“. Nach Informationen der österreichischen Polizei habe er sich in den vergangenen Jahren islamistisch radikalisiert. Auch die Tatsache, dass er den 5. September, den Jahrestag des Olympia-Attentats von 1972, für seine Tat wählte, deutet auf einen antisemitischen Hintergrund hin. Die Ermittlungsbehörde versucht jetzt herauszufinden, ob der Täter Helfer, Unterstützer, Mitwisser hatte. Irgendwelche Verlautbarungen, einen Abschiedsbrief etwa oder ein Bekennerschreiben, habe man bisher nicht gefunden, so Tilmann. Auch nicht in seinem Elternhaus, das österreichische Polizisten noch am Donnerstagabend durchsuchten.

    Wie die Polizei mittlerweile weiß, hat Emrah I. am Donnerstagmorgen um 6.30 Uhr das Haus in Neumarkt am Wallersee (Salzburger Land) verlassen, in dem er zusammen mit Mutter und Vater lebte. Zweieinhalb Stunden später parkt er sein Auto in der Arcisstraße nahe dem Generalkonsulat in München. Schon da sei einer Zeugin ein „waffenähnlicher Gegenstand“ aufgefallen, erläutert Christian Huber, Leiter der Abteilung Einsatz bei der Münchner Polizei. Auch eine Streife wird auf den Mann aufmerksam, verliert ihn aber wieder aus den Augen. 

    Guido Limmer, Vizepräsident des Bayerischen Landeskriminalsamts, und Gabriele Tilmann, leitende Oberstaatsanwältin, vor einem Bild der Tatwaffe.
    Guido Limmer, Vizepräsident des Bayerischen Landeskriminalsamts, und Gabriele Tilmann, leitende Oberstaatsanwältin, vor einem Bild der Tatwaffe. Foto: Lennart Preiss, dpa

    Was der junge Österreicher dann tut, erscheint nicht so, als habe er sein Vorhaben akribisch geplant. Emrah I. geht zum NS-Dokumentationszentrum, feuert auf dessen Glasfassade und die Eingangstür. Dann zerschießt er das Fenster eines Universitätsgebäudes in unmittelbarer Nachbarschaft. Als er durch das Fenster ins Gebäude steigt, verletzt er sich, zieht eine Blutspur hinter sich her. Als Nächstes versucht er, über ein Auto den Zaun zum israelischen Generalkonsulat zu erklimmen. „Das hat nicht geklappt, da gab er zwei Schüsse auf die Glasscheibe ab“, so Huber. Danach dringt der Täter in ein weiteres Gebäude ein, es gehört zur Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. In und an keinem der Häuser trifft er offensichtlich auf andere Menschen. In einem Park gelingt es der Polizei, den Täter zu stellen. Er stirbt, nachdem er insgesamt neunmal seine Waffe abgefeuert hat, zum Schluss in Richtung der fünf Beamten, die ihn letztlich niederstrecken.

    Am Tag nach der Tat veröffentlichen auch österreichische Behören Details zu dem Mann mit bosnischen Wurzeln. Seinem eigenen Vater kam er nach Angaben des Wiener Innenministeriums „psychisch auffällig“ vor. Der Vater soll deshalb versucht haben, mit einer Psychologin in Kontakt zu treten. Laut Innenministerium handelte es sich bei dem 18-Jährigen um keinen „klassischen Islamisten“. Er hatte demnach bis zum vergangenen Frühjahr eine höhere Schule mit Schwerpunkt Elektrotechnik besucht und galt als guter und intelligenter Schüler. In der Pandemie aber sei er zum Einzelgänger geworden und habe in der Schule Sticheleien und Hänseleien erlebt.

    Für den Attentäter bestand ein Waffenverbot

    Gegen den jungen Mann war in Österreich bereits voriges Jahr ermittelt worden. Bei einer Hausdurchsuchung wurden Videos eines Computerspiels mit islamistischen und teils gewalttätigen Inhalten sichergestellt. Die Ermittlungen ergaben damals aber keine Beweise für eine Radikalisierung oder Vernetzung in einer Terrorgruppe. Sie wurden eingestellt. Seitdem bestand aber ein Waffenverbot für Emrah I.

    Trotzdem gelangte er an ein Gewehr. Den Karabiner älterer Bauart hatte er nur einen Tag vor seiner Tat bei einem österreichischen Sammler gekauft - für 350 Euro, dazu ein Bajonett für 50 Euro, das er später am Gewehrlauf befestigte, und etwa 50 Schuss Munition. Das Waffenverbot konnte den Kauf nicht verhindern: Gewehre dieser Art kann man in Österreich ohne Waffenschein oder Waffenerlaubnis erwerben, Privatleute dürfen sie untereinander verkaufen. Sie müsse lediglich sechs Wochen nach dem Kauf bei den Behörden registriert werden. Doch der Schütze scherte sich nicht um Bürokratie, er setzte sich ins Auto und fuhr nach München.

    Keine 50 Meter entfernt vom NS-Dokumentationszentrum liegt das Haus der Kulturinstitute. Martin Stahl ist dort Bibliothekar. Der 37-Jährige hat die Zeit des Anschlags in dem Gebäude verbracht, das hinter Bäumen versteckt ist. Er erzählt, wie die Polizei gleich nach Kenntnis der Schießerei das Gebäude gesichert habe; dass sich das Personal im Foyer zusammengefunden habe. Am Tag danach sei der vereitelte Anschlag Gesprächsthema Nummer eins, sagt Stahl. „Man merkt es im Kollegenkreis, das bewegt einen schon“, beschreibt er die Stimmung. „Da macht man sich schon Gedanken. Der hätte ja überall hingehen können.“

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