„Tragischer Unfall: Radfahrer tot“. So eine Überschrift liest man oft in den Medien. Aber nach dem Überfliegen der Zeilen geht man häufig zur Tagesordnung über. Zählt man allerdings all die Einzelfälle zusammen, ergibt sich ein bestürzender Trend: Gerade der Anteil der Radfahrer an den Unfalltoten auf deutschen Straßen steigt deutlich an – auch in Bayern.
Innenminister Herrmann zeigte sich entsetzt über Zahl der Radunfälle in Bayern
Bereits im Frühjahr zeigte sich Innenminister Joachim Herrmann (CSU), wie er selbst bekannte, „entsetzt“ über die hohe Zahl der Radunfälle im Freistaat. Noch nie seit der Datenerhebung in Bayern vor mehr als 65 Jahren seien es so viele gewesen. Herrmann, der selbst gerne Rad fährt, musste damals einräumen, dass auch insgesamt die Zahl der Radunfälle nach oben geklettert ist. Und zwar im vergangenen Jahr auf fast 20.000 – trotz einer immer besseren Infrastruktur. 84 Radler kamen dabei ums Leben, zuletzt waren es nur im Jahr 2009 mehr. Bundesweit sieht es ähnlich aus. Der Anteil der Radfahrerinnen und Radfahrer bei den Verkehrstoten hat sich bundesweit von neun auf 17 Prozent fast verdoppelt.
Dafür gibt es nicht nur eine Ursache. Zwar gibt es einen Trend zum Rad, dies belegen die Zahlen: Der Zweirad-Industrie-Verband hat vor sechs Jahren 73,5 Millionen Fahrräder registriert und vier Jahre später bereits 81 Millionen. Inzwischen dürfte also statistisch gesehen jeder Deutsche mindestens ein Rad besitzen. Aber das Problem nur darauf zurückzuführen, wäre zu kurz gesprungen. Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung der deutschen Versicherer, erklärt, dass beim Auto die Zahl der Toten und Verletzten stark zurückgegangen ist, hänge vor allem damit zusammen, dass die sogenannten modernen "Sicherheitsfeatures" zunehmen, also beispielsweise Gurt oder Airbag. Beim Radverkehr gebe es diese technischen Schutzmöglichkeiten nicht.
Zudem weist Brockmann darauf hin, dass besonders die Pedelec-Unfälle zuletzt stark zugenommen hätten. Über 40 Prozent aller Radtoten seien Pedelec-Fahrer: „Das sei schon eine Hausnummer", sagt Brockmann. Ersten Studien zufolge bestehe das Problem darin, dass Betroffene immer häufiger die Kontrolle über ihr Pedelec verlieren und es so zu Unfällen komme – vor allem Seniorinnen und Senioren seien betroffen. Ältere sind auch deswegen leichter Verkehrsopfer, weil sie zum einen in der Regel verletzungsanfälliger sind und zum anderen auch in der Regel die Fähigkeit zurückgehe, auf komplexe Verkehrssituationen richtig zu reagieren.
Experte empfiehlt Fahrsicherheitstrainings
Wie aber kann gegengesteuert werden? Man könne beispielsweise das Thema Helm noch stärker als bisher propagieren, sagt Brockmann. Auch Fahrsicherheitstrainings empfiehlt der Experte. Und er schlägt noch eine andere Möglichkeit vor: Man könnte die Endgeschwindigkeit der Pedelecs an die Tretkraft koppeln. So würden die Radfahrer ein besseres Gefühl für die Geschwindigkeit behalten, das sie ansonsten nach längerer Fahrt oft verlieren.
Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Bayern fordert Maßnahmen, um die Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger zu erhöhen: Wichtig sei eine Verkehrsinfrastruktur, die mögliche Konflikte und Gefahrenstellen schon bei Planung, Bau und Instandhaltung mitdenkt, sagt Bayerns ADFC-Vorsitzende Bernadette Felsch. Getrennte Ampelschaltungen für Geradeaus- und Abbiegeverkehr, gute Sichtbeziehungen an Kreuzungen, ausreichend Platz für Menschen ohne Auto seien das A und O. Viele Unfälle seien auch auf Mängel der Infrastruktur zurückzuführen, die in der Polizeistatistik nicht erfasst und in Unfallberichten nicht kommuniziert würden, zum Beispiel Baumwurzeln, zu hohe Bordsteinkanten, Schlaglöcher. Experte Brockmann stimmt ihr zu: Auch Kreuzungen sowie Ein- und Ausfahrten seien für Radler oft hochproblematisch. „Man muss einfach sagen, Radfahren ist heutzutage einfach gefährlich“, fasst Brockmann die Lage zusammen.
Radfahrer müssen auf den Straßen einiges beachten
Minister Hermann fügte zu den Unfallursachen aber auch noch Fahrten unter Alkoholeinfluss hinzu und Leichtsinn. "Viele Radfahrer meinen, dass sie einen Radweg in beide Richtungen nutzen dürfen", sagte er. Auch dass Radler nachts ohne Beleuchtung fahren würden, kann er nicht nachvollziehen. An den infrastrukturellen Risiken will das Innenministerium arbeiten. Mit der Mehrheit von CSU und Freien Wählern hat der Landtag vergangene Woche den von den Koalitionsfraktionen ausgearbeiteten Gesetzentwurf beschlossen: Bis 2030 sollen demnach 1500 Kilometer neue Radwege und ein landesweit durchgängiges Radverbindungsnetz entstehen. Ferner setzt das Gesetz auf mehr Verkehrssicherheit und eine zentralisierte Planung von Infrastrukturprojekten. Ob das reicht? Beim ADFC bezweifelt man das.