Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, später wird er von "Heimkommen" sprechen. Als Erzbischof Georg Gänswein am Dienstag vor das Maria Vesperbilder Pilgerhaus tritt, wird er mit Beifall empfangen. Sein schwieriges Verhältnis zu Papst Franziskus, seine Versetzung aus Rom, all das wirkt an Mariä Himmelfahrt im Wallfahrtsort Maria Vesperbild weit weg. Vesperbild, hier im Landkreis Günzburg, ist eine Art Heimspiel für Gänswein, den langjährigen Privatsekretär des früheren Papstes Benedikt XVI. Hier hat er früher schon Urlaub gemacht, hier hat er ein Stück Heimat gefunden, sagen Menschen, die ihn kennen. Und viele wollen an diesem Tag dabei sein. Sie stehen an diesem Nachmittag vor dem Pilgerhaus Schlange, halten sein Buch in Händen, um es signieren zu lassen. Danach zelebriert der 67-Jährige vor über 5000 Menschen das Pontifikalamt.
In seiner Predigt spricht Gänswein über die Bedeutung des Festes Mariä Himmelfahrt und die Aufnahme Mariens "mit Leib und Seele in den Himmel". Diese Aufnahme sei ein "Angenommen-Sein". Auch für Menschen, die bittere Einsamkeit und Verleumdung erfahren hätten. In seiner Predigt fällt das Stichwort "Narben". Deutet Gänswein hier auch eigene Verletzungen an? Nach all den Gesprächen mit Papst Franziskus, der ihn schließlich nach der Veröffentlichung seines Buches "Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI." in seine Heimatdiözese Freiburg geschickt hatte? Das bleibt am Himmelfahrtabend der Interpretation der Zuhörerinnen und Zuhörer überlassen. Gänswein möchte offensichtlich auf all das in Maria Vesperbild nicht näher eingehen. Er sei auch gekommen, um hier durchzuatmen und sich zu erholen, hatte Wallfahrtsdirektor Monsignore Erwin Reichart im Vorfeld des Besuchs erklärt.
Gänswein durfte nicht in Rom bleiben, sein Platz ist künftig in Baden
Dass er für den Besuch in Maria Vesperbild Zeit findet, hängt natürlich auch mit Gänsweins aktuellem Status zusammen: In Rom durfte er nicht bleiben. Nach drei privaten Audienzen in den Monaten bei Papst Franziskus wurde klar, dass sein Platz zukünftig in Baden sein würde. Von vielen Beobachtern wurde das als unversöhnlich empfunden, zumal Gänswein seinem Chef Benedikt XVI. in unverbrüchlicher Treue gedient hatte, ohne auf weitere Karriereschritte zu achten.
Auch so manchen in Gänsweins Heimat hat diese Entscheidung überrascht, selbst die Verantwortlichen im Ordinariat haben nicht damit gerechnet. Da erwies es sich als glückliche Fügung, dass eine Wohnung im dortigen Priesterseminar Borromäum leer stand, da der Regens des Seminars das Appartement nicht nutzt. Anfang Juli zog Gänswein in aller Diskretion ein. Nur ein Möbelwagen signalisierte, dass es sich bei dem neuen Bewohner nicht um einen Studenten handelt, der mit Koffer und Rucksack ein Zimmerchen unter dem Dach des Borromäum beziehen würde, sondern ein geistlicher Herr mit Büchern und Möbeln.
Der Bischof rechnet mit Gegenwind
Viel ist seither über Gänswein geschrieben worden, darüber, dass es schwer sein muss für einen hochrangigen Geistlichen wie ihn, der seit 1995 im Vatikan wirkte. Für ihn, der lange Jahre für Papst Benedikt XVI. als Privatsekretär tätig war und auch nach dem Amtsverzicht von Benedikt XVI. im Jahr 2013 zunächst Präfekt des päpstlichen Hauses blieb. Was aber sagt er selbst zu seiner angeordneten Rückkehr nach Freiburg? Gänswein jedenfalls ist sich im Klaren darüber, dass ihn auch in der Heimat nicht alle mit offenen Armen empfangen. Im Interview mit der italienischen Zeitung Il Messagero hat er zuletzt gesagt: "Ich bin eine Nervensäge in dem Sinne, dass ich lästig bin. Ich bin mitten in diese Situation geraten." Also werde er jetzt einfach zuwarten.
In Kirchzarten, vor den Toren Freiburgs, sind am vergangenen Donnerstag alle 320 Sitzplätze in der Talvogtei besetzt, schon seit Wochen sind die Karten für diesen Abend ausverkauft. Es ist einer der ersten öffentlichen Termine Gänsweins, seit er vor fünf Wochen nach Freiburg zurückgekehrt ist. In Kirchzarten gibt sich Gänswein schlagfertig und humorvoll. "Ich bin jetzt hier auf Arbeitsplatzsuche beim Jobcenter", sagt Gänswein mit einem Grinsen im Gesicht auf die leidige Frage, was er denn nun in Freiburg eigentlich machen werde. In launigen Worten schildert er das Gespräch mit dem Papst. Franziskus habe geantwortet: "Jetzt können Sie mal Urlaub machen." Und danach? "Da machen Sie noch mal Urlaub."
Ein Bischof ohne eigenes Bistum: Welche Aufgaben erwarten ihn?
Die Frage aber, welche Aufgaben ein Bischof ohne eigenes Bistum übernehmen soll, ist damit nicht geklärt. Mit Spannung war deshalb das Vier-Augen-Gespräch erwartet worden, das er mit dem Freiburger Erzbischof Stephan Burger führte. Dabei sollte es um die Beschreibung der Aufgaben gehen, die der Italien-Rückkehrer wahrnehmen würde. Aus der Pressemitteilung dazu geht hervor, dass der Ex-Privatsekretär keine offiziellen Aufgaben oder Positionen in der Erzdiözese erhalten wird. In der Diözesanzeitung Konradsblatt war spekuliert worden, ob er ein offizielles Amt übernehmen und zum Beispiel als Dekan arbeiten würde; der Bedarf an erfahrenen Seelsorgern sei groß.
Diese Erwartungen sind inzwischen zerstreut: Gänswein wird zwar Messen im Freiburger Münster halten und auch Firmungen sowie Glockenweihen vornehmen. Ansonsten, so unterstreicht die Diözesanleitung, ist er Privatmann.
Auch deshalb erscheint es logisch, wenn er in anderen Diözesen die Wallfahrer betreut oder Festpredigten hält. Wer ihn einlädt, sichert sich einen erzkonservativen Prediger, der seine Zuhörer durchaus in den Bann zieht und eine klare Linie vertritt, die mancher katholische Gläubige in anderen Gottesdiensten vermissen mag.
Die Lichterprozession ist in Maria Vesperbild der große Höhepunkt
In Vesperbild fühlt sich Gänswein sichtbar wohl. Der Glaube wird hier in traditioneller Form gelebt. Die große Lichterprozession nach dem Pontifikalamt ist Jahr für Jahr der große Höhepunkt im bekannten Wallfahrtsort. Genau das ist den meisten Menschen, die hierherkommen, wichtig. "Kirchenpolitik" spielt nur ganz am Rand eine Rolle.
Himmelfahrt, das ist in Maria Vesperbild ein Großereignis, das sich mit Auf- und Abbau über mehrere Tage hinzieht. Stefan Wagner kennt all das gut. Der 41-Jährige ist Ministrant. Mit ein paar Unterbrechungen seit seinem sechsten Lebensjahr. Am Himmelfahrtabend steht er wiederholt in unmittelbarer Nähe des Erzbischofs. Gänswein sei "warmherzig, offen, in keiner Weise abgehoben", berichtet er nach dem Fest. Mit einem Kleinwagen sei der 67-Jährige am Vortag aus Freiburg nach Vesperbild gefahren. "Wir haben ihm angeboten, dass ihn ein Chauffeur nach Maria Vesperbild bringt", erklärt Wallfahrtsdirektor Reichart. Doch Gänswein setzt sich selbst ans Steuer. Wie 2014, als er zuletzt in Maria Vesperbild zu Gast war.
Freundschaft zu Wilhelm Imkamp führte Gänswein häufig nach Vesperbild
Damals war Prälat Wilhelm Imkamp noch Wallfahrtsdirektor. Imkamp und Gänswein verbindet eine lange Freundschaft. Die beiden haben sich 1980 in Rom kennengelernt, als sie im selben Priesterkolleg im Vatikan wohnten. Gänswein war Student, Imkamp Doktorand an der päpstlichen Universität Gregoriana. Diese Freundschaft hat Gänswein in späteren Jahren immer wieder nach Vesperbild geführt. Zum aktuellen Wallfahrtsdirektor Reichart, der seit fünf Jahren im Amt ist, gibt es diese persönliche Verbindung nicht. Gleichermaßen schätzt Reichart Gänswein als Mensch und Theologen. Bereits vor rund vier Jahren habe er Gänswein eingeladen, vor rund zwei Jahren dann die Zusage erhalten.
28 Jahre lang wirkte Gänswein in Rom. Regelmäßig flog er in dieser Zeit über die Alpen, um als Festprediger zu wirken. Meist geschah das in Süddeutschland, und am häufigsten wird er dort wiederum in Bayern angefragt. Aus gutem Grund: Seit seinem Studium des Kirchenrechts in München fühlt sich der geborene Südbadener dem Freistaat besonders verbunden. Einige Freundschaften pflegt er seitdem in Bayern. Und auch der Draht zur Familie ist in all den Jahren nie abgerissen. Beim Termin in Kirchzarten sind auch seine Geschwister Reinhard, Ursula und Helmut gekommen, um den großen Bruder zu sehen und zu begleiten. Gerade erst haben sie ihm geholfen, die neue Wohnung im Freiburger Priesterseminar einzurichten. "Jetzt brauchen wir nicht mehr so weit zu reisen. Obwohl wir es ihm alle gegönnt hätten, in Rom zu bleiben", sagt Helmut Gänswein, der jüngste Bruder.
Gänswein nimmt sich bei der Buchsignatur viel Zeit
Als Gänswein Bücher im Pilgerhaus signiert, als er den Platz vor der Fatima-Grotte betritt, ist zu spüren, dass der Erzbischof hier von vielen geradezu verehrt wird. Vor dem Pilgerhaus verbeugt sich eine Frau tief vor ihm, küsst schließlich seine Hand. Wohl weit über 100 Menschen dürften es sein, die vor dem Gottesdienst am Nachmittag zur Signierstunde gekommen waren.
Aus ganz Süddeutschland sind die Menschen angereist. Gänswein nimmt sich geduldig Zeit für Gespräche und Erinnerungsfotos, fragt immer wieder: "Wo kommen Sie denn her?" Eine Landsbergerin erzählt, dass sie Gänswein bereits viermal in Rom gesehen habe, auch bei seinem Auftritt 2014 in Maria Vesperbild. Ein Besucher aus Krumbach legt Gänswein sein Buch zur Signatur vor, berichtet, offenbar ein bisschen stolz, dass er es "ganz gelesen" habe. Gänswein lächelt ihn an. "Und da waren Sie nicht geplättet?" Auch in dieser für ihn nicht ganz einfachen Zeit hat Gänswein seine Selbstironie offenbar nicht verloren.