In Hamlar, südöstlich von Donauwörth, liegen um 9 Uhr morgens die Nerven blank. Selbst die Presse wird nur nach minutenlangen Verhandlungen in den Ort gelassen, der wegen der Wassermassen komplett abgeschnitten zu werden droht. Teile der Straße nach Hamlar, der einzigen, die noch befahren werden kann, sind bereits überflutet, am Ortsrand versuchen Feuerwehr und Anwohner das Schlimmste zu verhindern. Unablässig schaufeln zwei Radlader Erde in ausgebreitete Planen, aus denen ein Wall gegen die Fluten entstehen soll.
„Wir sind hier mit einem Großaufgebot vertreten, weil der Damm auf einer Länge von 100 Metern überspült wurde, auch einige Teile sind schon rausgebrochen“, sagt der Einsatzleiter der Feuerwehr, Christian Lix. Man versuche nun hier am Ortsrand und auch im Dorf alles, soweit es gehe, zu sichern und warte auf das Hilfeleistungskontingent anderer Feuerwehren. „Dann müssen wir versuchen, die Seite der alten B16 zu sichern. Wenn dort das Wasser kommt, werden wir hier zur Insel und sind eingeschlossen“, sagt Lix.
Landwirtin erfährt in der Nacht, dass sie ihre Kuhställe evakuieren muss
Die Evakuierung der Ortschaft war bereits am Vorabend angekündigt worden. Auf dem Hof von Robert Negele versucht die Familie zusammen mit ein paar Feuerwehrleuten zu retten, was zu retten ist. Gemeinsam hieven sie schweres Gerät auf gestapelte Holzpaletten und Futtermittel auf Traktor-Anhänger, in der Hoffnung, dass die Höhe ausreicht. „Die Situation ist sehr kritisch, wir haben kaum geschlafen, aber das Adrenalin ist hoch jetzt“, sagt Negele. Tiefe Sorgenfalten sind auf seiner Stirn. Die Tiere müssten noch in Sicherheit gebracht werden, aber die Koordination mit dem Landratsamt laufe schlecht. „Ich fühle mich im Stich gelassen. Es hieß, es gebe Transportmöglichkeiten, aber dann sollte ich den und den anrufen, das kann es nicht sein“, sagt Negele.
Auch in Auchsesheim, ein paar Kilometer weiter westlich, droht der Damm zu brechen. Und auch dort beschweren sich die Anwohner über mangelnde Hilfe. „Das alles wäre nicht so schlimm, wenn man den Damm zur Zusam und Donau in Stand gehalten hätte, aber da ist vierzig Jahre gar nichts passiert“, sagt Landwirtin Hildegard Herle. In der Nacht auf Montag habe sie die Nachricht erhalten, dass sie ihre Kuhställe evakuieren muss, ein Lkw sei aber nicht mehr verfügbar gewesen. Die Jungtiere konnte sie zu einem befreundeten Landwirt in Mertingen bringen, mit den anderen wolle sie zurückbleiben, wenn das Wasser kommt. „Ich habe doch die Viecher, ich bleibe. Ich kann die doch nicht ersaufen lassen, das ist meine Existenz“, sagt Herle mit brüchiger Stimme. Auch 15 ihrer 30 Hektar Land seien bereits überspült und verloren.
Hochwasser: Anderen Orten steht das Schlimmste noch bevor
Das, was an diesem grau-matten Morgen in Hamlar und Auchsesheim passiert, ist eine weitere Episode im Flut-Drama, das über den Süden Deutschlands hereingebrochen ist. Ein Drama, in dem es um Existenzen geht, um Ohnmacht und Angst. Und es wird leider nicht die letzte Episode gewesen sein. Denn während sich die Lage mancherorts bereits wieder entspannt, steht anderen Orten das Schlimmste noch bevor. Vor allem an der Donau. Denn das Hochwasser wandert Richtung Regensburg. Die Stadt hat bereits den Katastrophenfall ausgerufen.
Was Regensburg erst noch ereilen wird, ist in Nordschwaben schon Realität. Stefan Rößle, seit mehr als 20 Jahren Landrat des Kreises Donau-Ries, hat sich am frühen Morgen per Hubschrauber ein Bild von der Lage gemacht. Gegen 11 Uhr bringt ihn ein Wagen zur Einsatzzentrale der Rettungskräfte in Auchsesheim, schon zum zweiten Mal an diesem Tag. Den Ärger mancher Landwirte könne er zu dem Zeitpunkt nicht nachvollziehen, eigentlich seien alle Viehhalter der Region über das Veterinäramt informiert worden. „Auch die entsprechenden Maßnahmen sind meines Wissens nach ergriffen worden, auch in Zusammenarbeit mit dem Bauernverband.“ Sollte es in dieser Ausnahmelage zu Problemen gekommen sein, tue es ihm leid. Später teilt die Führungsgruppe Katastrophenschutz des Landratsamtes mit, dass die beiden betroffenen Höfe in der Nacht kontaktiert worden seien und es auch Hilfsangebote gegeben habe, diese seien jedoch nicht in Anspruch genommen worden. „Es kann sich hier eigentlich nur um ein Kommunikationsproblem gehandelt haben“, sagt Sprecherin Julia Mecklinger.
In Fischach durften alle Menschen wieder in ihre Häuser
Der Schmutter entlang nach Süden. Etwa 60 Kilometer trennen Auchsesheim von Fischach. Stefan Scholz, der Erste Kommandant der örtlichen Feuerwehr, hat am Montagmorgen endlich wieder Zeit, durchzuatmen. "Die Lage hat sich momentan entspannt", sagt er. Dieser Entspannung, von der Scholz spricht, geht ein wahres Drama voraus. Fischach war zwischenzeitlich von der Außenwelt abgeschnitten, Anwohner mussten mit dem Hubschrauber aus ihren Häusern geholt werden. Seit vergangenem Freitag, seit sich also das Wasser seinen Weg bahnte, hat Scholz nur etwa zwölf Stunden geschlafen, etappenweise. "Seit Sonntagmorgen fallen die Pegel", sagt der Feuerwehrmann. "Wir haben mit den Aufräumarbeiten begonnen."
Zunächst aber mussten sich die Helfer ein Bild davon machen, wie groß die Schäden sind. Scholz spricht von 40 bis 50 Einsatzstellen. Manchmal ging es nur darum, das Wasser aus dem Keller zu pumpen. Manchmal war das halbe Erdgeschoss voll. Kommandant Scholz kann am Montagmorgen, an dem der Regen nicht mehr vom Himmel stürzt, sondern nurmehr tröpfelt, aber auch eine gute Nachricht verkünden: Alle Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten, durften nach Hause. Die Notunterkunft konnte aufgelöst werden. "Ich hoffe, dass wir das Schlimmste hinter uns haben. Jetzt bleiben wir auf Stand-by."
Der Bundeskanzler besucht das Flut-Gebiet
Einer, der wieder nach Hause durfte, ist Adrian Schäbel. Am Telefon bricht seine Stimme immer wieder weg, in jedem Satz schwingt Schmerz mit. "Ich sitze gerade hier im Dreck in meinem Laden mit einem Zigarillo in der Hand", sagt er. "Gestern und vorgestern war ich noch gefasster, jetzt bricht alles über mich herein. Ich habe keinen Antrieb mehr." Schäbel hat ein Antiquitätengeschäft in Fischach – oder eher: hatte. "Im Erdgeschoss ist alles kaputt", erzählt er. Ein paar Stücke konnte er noch in den ersten Stock retten. "Das ist meine Existenz. Ich weiß einfach nicht, wie es weitergehen soll." Wenn er alles selbst reparieren müsste, würde er mindestens zwei Jahre brauchen, erzählt Schäbel. Alles reparieren zu lassen, ist teuer. "Es lohnt sich nicht. Das ist ein wirtschaftlicher Totalschaden." Die Versicherung hat Schäbel bisher nicht erreicht. "Ich weiß nicht, woran ich bin. Selbst wenn die Versicherung zahlt, bekomme ich doch so schnell keine Handwerker." Schäbel will jetzt anfangen, sich durch die Zerstörung zu wühlen. Eine Bestandsaufnahme zu machen. Dessen, was von seinem Leben geblieben ist.
Während man in Fischach das aufräumt, was das Wasser der Schmutter mit sich gerissen hat, versuchen die Menschen in Reichertshofen die Folgen der Fluten der Paar zu beseitigen. Währenddessen trifft Besuch aus Berlin ein: Bundeskanzler Olaf Scholz kommt in den Ort im Norden des Landkreises Pfaffenhofen an der Ilm, will sich ein Bild vom Ausmaß der Zerstörung machen. Auf den Straßen in der Marktgemeinde liegen Geröll und ein paar angeschwemmte Schokoladenverpackungen. Lader, Traktoren mit Frontladern und Lastwagen fahren am Montagvormittag durch den 8500-Einwohner-Ort und räumen weg, was das Hochwasser hinterlassen hat. Tausende von vollgesogenen Sandsäcken werden aus dem Ort gebracht, Pumpen laufen auf Hochtouren, um das Wasser aus den Häusern zu schaffen.
Pegel der Paar schnellte in die Höhe
Am Wochenende war der Pegel der Paar in die Höhe geschnellt, Keller waren im Nu vollgelaufen, ein Umspannwerk musste wegen Überflutung vom Netz gehen und dort, wo sich Olaf Scholz am Montagvormittag, flankiert von Ministerpräsident Markus Söder, Innenministerin Nancy Faeser, ihrem bayerischen Amtskollegen Joachim Herrmann und Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber, ein Bild von der Lage machte, stand einen Tag vorher noch das Wasser. Bis Sonntagabend war der Ortskern teils von der Außenwelt abgeschnitten, doch am Montag ist der Regen vorbei. Selbst der angekündigte Schauer während des Besuchs von Scholz bleibt aus. Der Bundeskanzler geht also in Gummistiefeln hinab an das Ufer der Paar und blickt ernst in den braunen Fluss. Später wird er sagen, dass das Paar-Hochwasser nicht eines jener Ereignisse sei, wie es sie seit Jahrhunderten immer wieder gibt, "es gibt jetzt vermehrt Fälle, wo wir mit Katastrophen zu kämpfen haben, Hochwasser ganz besonders".
Während in Reichertshofen an diesem Vormittag das Allerschlimmste vorbei zu sein scheint, zittern die Menschen weiter nördlich in Manching und Baar-Ebenhausen weiter. Erst in der Nacht zuvor ist wieder ein Damm gebrochen. Er hat den Wassermassen nicht mehr standgehalten, die die Paar mit sich geführt hat. Entlang des gesamten Flusslaufs vom Lechfeld über das Wittelsbacher Land und Schrobenhausen bis hin zur Mündung in die Donau bei Vohburg hat es das ganze Wochenende hindurch geregnet. Airbus in Manching hat schon am Sonntag alle Beschäftigten dazu aufgerufen, am Montag zu Hause zu bleiben. Diese, wie eine Sprecherin sagt, "präventive Vorsichtsmaßnahme" wurde bis Dienstag verlängert. Auch Audi in Ingolstadt hat für Montag eine Früh- und Spätschicht in der Produktion gestrichen, auch wenn das Werk selbst nicht direkt vom Hochwasser betroffen ist.
Hunderte Menschen mussten in Notunterkünften ausharren
Hunderte Menschen waren während der vergangenen Tage im Landkreis Pfaffenhofen aufgefordert worden, ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen und in Notunterkünften auszuharren, bis die Pegel zurückgehen. Widerstand von den Bewohnerinnen und Bewohnern habe es nicht gegeben, berichten Rettungskräfte. Vor elf Jahren, als die Gemeinde bereits einmal mit einem großen Hochwasser zu kämpfen hatte, sei das noch anders gewesen, erinnert sich Bürgermeister Michael Franken. Doch die Katastrophe im Ahrtal habe bei vielen zu einem Umdenken geführt.
Zurück in Auchsesheim. Am südwestlichen Ortsrand sitzen Jürgen und René, Vater und Sohn, vor ihrem Haus und blicken hinaus auf den Damm, über den, gut sichtbar, an mehreren Stellen das Wasser fließt. Sie essen Schinkenbrote und witzeln über die zahlreichen Feuerwehrsirenen, die sie aus der Ortsmitte vernehmen. „Wir würden eigentlich erwarten, dass die Feuerwehr auch hier aktiv ist, aber wie man sieht, hier ist keiner mehr“, sagt Jürgen. Gehen werden sie nicht, nur abwarten und Tee trinken, bis das Wasser kommt. „Wir saufen mit ab, wenn es so weit ist. Wenn man nicht da ist, kann man auch nichts mehr retten“, meint René. Am Tag zuvor hätten noch rund 300 Bewohner versucht, Sandsäcke auf dem Damm zu stapeln, aber die Polizei habe sie verscheucht, als die Evakuierung des Ortes am Vorabend beschlossen worden war. Ein Fehler, denken die beiden.
Während die zwei Männer auf das Wasser warten und sich in Galgenhumor üben, versuchen Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und etliche Bewohner einen behelfsmäßigen Damm an anderer Stelle zu errichten, um das Schlimmste noch zu verhindern. Kurze Zeit später rufen die Behörden die Auchsesheimer dazu auf, dringend ihre Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen.