In Nordendorf ist das meiste Wasser nur oberflächlich weg. In den Kellern steht es immer noch, das Grundwasser drückt nach. Aus vielen Häusern führen dicke Feuerwehrschläuche auf die Straße. An der Schule warten Paletten voller feuchter Sandsäcke auf den Abtransport, auf dem Sportplatz schrubbt ein Arbeiter mit einer Maschine den Dreck ab, den die Flut hinterlassen hat. Durch die Straßen wabert der Geruch von Heizöl.
So sieht es nach dem Hochwasser in Nordendorf aus
So sieht es aus in dem kleinen Ort im Landkreis Augsburg, als Hubert Aiwanger dort am Freitagmorgen eintrifft. Der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister trägt praktische Trekkingstiefel zur Anzughose. Er möchte sich selbst ein Bild und den Menschen Mut machen, außerdem hat er eine konkrete politische Forderung im Gepäck.
Die Nordendorfer räumen auf und sind verzweifelt. „Als es gestern geregnet hat, habe ich einen Heulanfall bekommen,“ sagt der Unternehmer Stefan Kaiser. Seine Käserei, die erst vor einem Dutzend Jahren in dem Ort einen Neubau bezogen hat und 90 Menschen beschäftigt, wurde völlig verwüstet. Der Schaden beträgt allein dort mehrere Millionen Euro.
Warum Aiwanger nach Nordendorf kommt
So schlimm wie dieses Mal sei das Hochwasser noch nie gewesen, sagen Anwohner. Dass der Ort aber gefährdet ist, ist bekannt. Seit fast 20 Jahren wartet man auf einen Damm, wie ihn das zwei Kilometer entfernte Nachbardorf Westendorf nach immerhin 16 Jahren Wartezeit bekommen hat. Für Nordendorf gibt es fertige Pläne, die Grundstücksbesitzer sind einverstanden, doch das Wasserwirtschaftsamt hat kein Geld. 2029 soll es nach jetzigem Sachstand losgehen, erzählt Bürgermeister Tobias Kunz. Für den Unternehmer Kaiser wäre das eine Katastrophe. Denn ohne Hochwasserschutz kann er seine Firma nicht mehr aufbauen, so befürchtet er, und auch Aiwanger findet, dass 2029 zu weit weg ist. "Das haltet ihr nicht aus."
Das Hochwasser hatte den Politiker Aiwanger zunächst auf dem falschen Fuß erwischt. Während in Schwaben die Dörfer in den Fluten versanken, wetterte er am Samstag in Bamberg gegen den Koalitionspartner CSU: Wahlkampf für Europa statt Krisenmanagement in Bayern. Anfang der Woche dann wurde Aiwanger sein Widerstand gegen zwei Flutpolder an der Donau vorgeworfen. Zudem hieß es, wegen der Freien Wähler, die seit 2018 an der Staatsregierung beteiligt sind, seien die Mittel für den Hochwasserschutz gekürzt worden. Vorwurf Nummer zwei bestreiten CSU und Freie Wähler vehement, bei Vorwurf Nummer eins hatte Aiwanger Glück. Am Ende waren die Hochwassermengen an der Donau nicht so stark, als dass die Polder eine Rolle gespielt hätten. Der einzige einsatzbereite (Riedensheim bei Neuburg/ Donau) wurde nicht einmal aktiviert.
Aiwanger bestreitet zwar die Notwendigkeit der Polder nicht mehr, plädiert aber gleichzeitig schon länger für mehr dezentralen Hochwasserschutz. Jedes Dorf in Bayern müsse überprüft werden, es brauche mehr Geld, sagte er unter der Woche. Außerdem sei das von Ministerpräsident Markus Söder tags zuvor verkündete Soforthilfeprogramm („100 Millionen Euro plus x“) zu gering dimensioniert. Gebraucht würden eher 300 Millionen, so Söders Vize in einem Interview. Der Ministerpräsident reagierte verschnupft und stellte im Gespräch mit unserer Redaktion kurz darauf klar, dass Aiwanger gar nicht zuständig sei. Die Kompetenz in Sachen Hochwasser liege bei Umweltminister Thorsten Glauber, ebenfalls von den Freien Wählern.
Das sieht Aiwanger anders, weil er erstens als Wirtschaftsminister für Soforthilfen für geschädigte Unternehmen zuständig ist und sich zweitens als Parteichef der Freien Wähler überall zu Wort melden kann, wo er es politisch für geboten hält. Das hat er – drittens – auch früher schon getan und wird deshalb in Nordendorf konkret. 20 Millionen Euro seien im Etat von Umweltminister Glauber für den dezentralen Umweltschutz drin. "Das ist zu wenig. Wir Freie Wähler fordern 50 Millionen Euro." Außerdem macht Aiwanger seinem Parteifreund Glauber öffentlich Dampf. Am Umweltministerium sei es, die Projekte zügig abzuarbeiten.
Wo der Hochwasserschutz geholfen hat
Wie gut die kleinen Projekte wirken, zeige sich ausgerechnet am Nachbarort Westendorf, wo er zusammen mit Bürgermeister Steffen Richter den Damm in München durchgeboxt habe, sagt Digitalminister Fabian Mehring (FW). "Die Lehre aus dieser Katastrophe muss sein, mehr Tempo. Und wir müssen uns in der ganzen Fläche rüsten."
Das kann dann teuer werden. Denn Hochwasserschutzprojekte, die auf Halde liegen, gibt es in Bayern etliche. Der CSU-Abgeordnete Manuel Knoll, in dessen Stimmkreis neben Nordendorf etliche weitere hochwassergeschädigte Kommunen liegen, warnt deshalb vor Aktionismus. Vordringlich sei, die Wasserwirtschaftsämter dahin zu bekommen, "dass sie lösungsorientierter arbeiten".