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Ukraine-Krieg: Erst Krieg, dann Krebs: Wie ein ukrainisches Paar in Deutschland Hilfe fand

Ukraine-Krieg

Erst Krieg, dann Krebs: Wie ein ukrainisches Paar in Deutschland Hilfe fand

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    Natascha fuhr in die Ukraine zurück, um ihren krebskranken Mann Andrii wiederzusehen. Ihr innigster Wunsch damals: eine Behandlung im Ausland.
    Natascha fuhr in die Ukraine zurück, um ihren krebskranken Mann Andrii wiederzusehen. Ihr innigster Wunsch damals: eine Behandlung im Ausland. Foto: Till Mayer (Archivbild)

    Es war eine aufreibende und anstrengende Fahrt, damals im Januar dieses Jahres. Auch für das fränkische Helferteam, das den Ukrainer Andrii mit dem "Herzenswunsch-Hospizmobil" im polnischen Kattowitz in Empfang nahm und ihn zur Behandlung nach Deutschland brachte. Seine Frau Natascha hatte ihn von der ukrainischen Hauptstadt Kiew an die Grenze gefahren. Nicht nur sie fürchtete akut um das Leben des früheren Stahlarbeiters aus Mariupol. Alexander Eberl, Bezirksgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes, Bezirksverband Ober- und Mittelfranken, erzählte bewegt, man habe nicht gewusst, in welche Zukunft man die beiden entlasse.

    Natascha und Andrii Mitte Januar im "Herzenswunsch-Hospizmobil" des BRK vor der Abfahrt aus Polen.
    Natascha und Andrii Mitte Januar im "Herzenswunsch-Hospizmobil" des BRK vor der Abfahrt aus Polen. Foto: Alexander Eberl

    Zweimal binnen kurzer Zeit veränderte sich alles für das Paar und dessen sechsjährigen Sohn. Erst der russische Vernichtungskrieg, vor dem sie im März 2022 fliehen konnten. Mariupol wurde monatelang belagert und nach heftigen Kämpfen im Mai eingenommen. Die Hafenstadt sollte zum Inbegriff für Zerstörung und russische Kriegsverbrechen werden. Mehr als 20.000 Zivilisten seien getötet worden, heißt es. Dann wurden bei dem 48-jährigen Andrii Metastasen in der Leber entdeckt. "Mein Andrii ist schwer, schwer krank", sagte Natascha damals unserer Redaktion auf Englisch.

    Ukrainer Andrii hatte einen bösartigen Tumor der Gallenwege

    Jetzt, mehr als ein halbes Jahr nach seiner Ankunft im baden-württembergischen Hardheim – etwa 50 Kilometer von Würzburg entfernt –, schickt sie lange WhatsApp-Nachrichten, in deutscher Sprache. Es ist viel geschehen in den vergangenen Monaten. Die gute Nachricht: Andrii lebt, und er fühle sich nach inzwischen vier Chemotherapien besser. "Wir hoffen auf das Beste", schreibt Natascha.

    Aus ihren Zeilen sprechen Ungewissheit und Hoffnung gleichermaßen. Nach ersten Untersuchungen in Deutschland hatte ein Arzt gesagt, dass alles davon abhänge, wie stark der Körper Andriis sei. Der Ukrainer musste anfangs im Krankenhaus künstlich ernährt werden. Flüssigkeit und Metastasen auch in der Bauchhöhle. Starke Schmerzen. Die genaue Diagnose stand erst später fest: Cholangiokarzinom, ein seltener und bösartiger Tumor der Gallenwege.

    "Es war beängstigend zu sehen, wie das Leben eines geliebten Menschen allmählich verblasst", schreibt Natascha

    "Es war beängstigend zu sehen, wie das Leben eines geliebten und nahestehenden Menschen allmählich verblasst", schreibt Natascha. Sie schreibt über ihren Sohn, der gerne lerne und Fortschritte mache. Nach den Ferien komme er in die zweite Klasse. Sie schreibt über ihre Arbeit bei einem Automobilzulieferer und die Spätschichten. Sie schreibt, sie sei froh, dass ihre Mutter und Schwiegermutter ihnen in Deutschland beistehen können. Von Mariupol wisse sie nur das, was Medien berichteten. "Wir hoffen und glauben an den Sieg in diesem erbitterten Krieg."

    Auf einem Selfie, das sie schickt, sieht man ihren Mann und sie im Freien. Mit viel Fantasie könnte man an den Regenbogen-Park denken, einst ihr Lieblingsort in Mariupol. Andrii vertrage die Chemotherapie gut, aber seine Haare würden fast nicht mehr wachsen, erklärt Natascha. Im August hat sie zwei Wochen Urlaub, sie wünscht sich eine Fahrt ans Meer. Sie wollten das "unbedingt", um einmal auf andere Gedanken zu kommen – doch ob Andrii dazu in der Lage sein wird? Der nächste Termin für eine Chemo sei bereits Mitte August.

    Natascha und Andrii haben wieder Hoffnung. Er vertrage die Chemotherapie gut, erklärt sie.
    Natascha und Andrii haben wieder Hoffnung. Er vertrage die Chemotherapie gut, erklärt sie. Foto: Natascha/privat

    Eines ist ihr besonders wichtig: Sie wolle allen danken, die ihnen halfen und nach wie vor helfen. Und dass es an ein Wunder grenze, dass sie Till Mayer getroffen habe. Auch der ist Teil ihrer Geschichte. Mayer berichtet für unsere Redaktion aus der Ukraine. Über Anita, die ihr Leben als Sanitäterin in der ukrainischen Armee riskiert. Über Vasyl, der in seinen zerstörten Heimatort zurückkehrte und dort allein in seinem Garten 42 Landminen zählte, die die Russen hinterlassen hatten. Über junge ukrainische Soldaten, die er an der Front von Bachmut sprach.

    Sie hatten es schon nach Deutschland geschafft, in Sicherheit – dann kehrte Andrii in die Ukraine zurück

    Auch über Natascha, die er zufällig auf einer Busfahrt von Deutschland in die Ukraine kennenlernte, schrieb er. Sie waren ins Gespräch gekommen, und die 33-Jährige erzählte ihm ihre Geschichte: Die Familie hatte es schon nach Deutschland geschafft, in Sicherheit. Andrii allerdings reiste wieder in die Ukraine, um sich für die Einberufung bereitzuhalten. In Kiew arbeitete er in einer Bäckerei. Hunderte Kilometer trennten sie, die Zeit verging – und brachte nichts Gutes. Als sich Natascha auf der Busfahrt in die Ukraine befindet, ist sie voller Trauer. Sie weiß von den Metastasen in Andriis Körper. Sie will ihn dabei unterstützen, die Erlaubnis für eine Ausreise zu erhalten, für die Chance auf eine erfolgreiche Behandlung. Es ist Mayer, der Anfang Januar 2023 auf Facebook um Hilfe für die junge Familie bittet. Alexander Eberl vom Roten Kreuz erfährt davon, danach geht es schnell. Und das Leben von Andrii, Natascha und ihrem Sohn ändert sich ein weiteres Mal.

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