Die Route des Corona-„Spaziergangs“ in Landsberg am Montagabend verläuft westlich des Lechs. Das Reporterteam unserer Redaktion steht an einer Abzweigung. Einige der „Spaziergänger“ aber sind nicht damit einverstanden, dass von ihnen Fotos gemacht werden. Sie verweisen auf ihre Persönlichkeitsrechte. Dass Medienvertreter öffentliche Menschenansammlungen fotografieren dürfen, lassen sie außer Acht.
Nach und nach bleiben immer mehr Personen stehen. Einer ruft, man solle die beiden Journalisten „einkreisen“. Es bildet sich ein Pulk aus mehreren Menschen. Einige kommen den Journalisten deutlich zu nahe. Sie werfen dem Reporter und dem Fotografen vor, dass sie sich durch ihre Masken „vermummen“ wollten. Als der Fotograf aus dem „Kreis“ entkommen will, kommt es zu einem Gerangel, in dessen Folge er seine eigene Kamera gegen den Kopf bekommt.
Was unserem Reporterteam am Montag beim Corona-„Spaziergang“ in Landsberg passierte, ist eine neue Form der Presse-Feindlichkeit in der Region.
Corona-"Spaziergänger" sprechen vom friedlichen Protest – meist bleibt es dabei
Bayernweit würden immer mehr Journalistinnen und Journalisten zum Ziel von Angriffen Demonstrierender, sagt Michael Busch, Vorsitzender des Bayerischen Journalistenverbands (BJV): „Die Lage verschärft sich.“ Dabei sprechen die selbst ernannten Spaziergängerinnen und Spaziergänger doch immer vom „friedlichen Protest“. Oft tragen sie Kerzen mit sich, „gegen die Spaltung“, wie sie sagen.
Journalistinnen und Journalisten unserer Redaktion sind regelmäßig auf diesen Corona-Demonstrationen und „Spaziergängen“ unterwegs, um darüber zu berichten. Sie wissen: Die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer – bayernweit waren es zuletzt an einem Tag bis zu 10.000 – bleibt tatsächlich friedlich.
Doch Beschimpfungen und Spott erleben die Vertreterinnen und Vertreter unserer Redaktion regelmäßig. Bei einem „Spaziergang“ Anfang des Jahres in Wertingen fielen Beleidigungen wie „Arschloch“, unser Reporterteam sah sich mit Vorurteilen und Vorwürfen konfrontiert – etwa, dass die Situation auf den bayerischen Intensivstationen bewusst falsch dargestellt werde und Impfkomplikationen in den Medien vertuscht würden.
Oft braucht es weder Block noch Weste mit entsprechendem Schriftzug, um als Pressevertreterin oder Pressevertreter erkennbar zu sein. Ein Merkmal kann reichen – die Maske. „Du hast da was im Gesicht, du Propaganda-Hetzer“, bekam ein Reporter Anfang Januar in Augsburg zu hören. „Verpiss dich, sonst knallt’s.“ Verbale Übergriffe und Beleidigungen dieser Art sind allerdings auch in Augsburg eher selten. Die Reaktionen auf Medienpräsenz spiegeln dort in etwa das Teilnehmerfeld wider: Die Mehrzahl hat ein Anliegen und artikuliert dieses emotional, aber gezügelt. Wenige zeigen sich aggressiv, gehen auf Berichterstatterinnen und -erstatter zu und brüllen so laut „Lügenpresse“, dass Umstehende sich die Ohren zuhalten müssen.
So schwappt auch über, was in sozialen Netzwerken gezielt befeuert wird: die Abneigung gegenüber sogenannten „Mainstream-Medien“. In vielen regionalen Chatgruppen werden sie als Feindbilder dargestellt, angestachelt von „Influencern“ und Aktivistinnen, die die Szene hervorgebracht hat. Auch sie sind auf den Demonstrationen präsent und filmen Journalistinnen und Journalisten direkt ins Gesicht, damit diese später leichter zu identifizieren sind. Dass es in Augsburg noch zu keinen körperlichen Übergriffen kam, ist wohl auch der starken Präsenz der Polizei geschuldet – und der friedlichen Mehrzahl als Regulativ.
Corona-Leugner bedrohen auch Politiker und Polizeikräfte
Der Hass der Corona-Leugner und Verschwörungsgläubigen entlädt sich aber nicht nur an Journalistinnen und Journalisten. Auch Polizeikräfte, die die Demos und „Spaziergänge“ begleiten, sind schon zur Zielscheibe geworden – in München etwa, wo wegen gefährlicher Körperverletzung gegenüber Vollstreckungsbeamten ermittelt wurde.
Ministerpräsident Markus Söder hat zuletzt öfter einmal Drohungen öffentlich gemacht, denen er sich ausgesetzt sieht. Von „Abschaum“ ist die Rede, von „Auschwitz“, man nennt ihn „Hurensohn“ und droht, ihn „abzuknallen“ oder „totzuschlagen“. In der Süddeutschen Zeitung sagte der CSU-Chef erst diese Woche als Reaktion auf solche Drohungen: „Ich bin gut geschützt, aber andere nicht. Auch Wissenschaftler, Ärzte oder Journalisten werden auf gleiche Art bedroht.“
Gewalttäter wohl oft aus dem rechtsextremen Spektrum
Michael Busch vom BJV hat den Eindruck, dass es vor allem gewalttätige Personen aus dem rechtsextremen Spektrum sind, die Pressevertreterinnen und -vertreter verbal und körperlich angreifen. Das sei kein neues Phänomen. „Allerdings ist inzwischen die Organisation und die Vermarktung dieser Aktivitäten systematischer geworden.“ In einschlägigen Telegram-Kanälen würden ständig Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten ausgesprochen. Auch Adressen würden gesammelt und publiziert.
Wie häufig Übergriffe auf die Presse schon vorgekommen sind, dazu gibt es bayernweit noch keine Zahlen. Auf Twitter und anderen Kanälen aber nähmen die Meldungen von Journalistinnen und Journalisten zu, die bei der Ausübung ihrer Arbeit behindert oder gar angegriffen worden seien.
Dem BJV-Experten zufolge erlaubt das Handeln der gewaltbereiten Protestierenden aber auch Rückschlüsse auf diese selbst: „Wie viel Angst müssen Menschen, die Pressevertreterinnen und -vertreter angreifen, vor einer freien Presse haben, wenn sie zu solchen Mitteln greifen?“
Die Situation in Landsberg am Montagabend löst sich erst auf, als vier Polizeibeamte hinzukommen und die Personalien der Hauptbeteiligten aufnehmen. Mittlerweile ist außerdem Strafanzeige gegen zwei Personen erstattet, die sich aufgrund ihres körperlich und verbal aggressiven Verhaltens besonders hervorgetan haben. Ermittelt wird wegen Nötigung und Körperverletzung.