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Lesetipp: Extreme Trockenheit hat für Gewässer "eine neue Stufe der Eskalation" erreicht

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Extreme Trockenheit hat für Gewässer "eine neue Stufe der Eskalation" erreicht

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    Hohe Temperaturen und zu wenig Wasser führten Ende Juni zum Fischsterben im Mindelheimer Hungerbach (Landkreis Unterallgäu), einem Zulauf der Mindel.
    Hohe Temperaturen und zu wenig Wasser führten Ende Juni zum Fischsterben im Mindelheimer Hungerbach (Landkreis Unterallgäu), einem Zulauf der Mindel. Foto: Johann Stoll (Archivbild)

    Fische, die aus Flüssen geholt werden, weil sie zu verenden drohen. Bäche, die über Tankwägen befüllt werden, damit sie nicht austrocknen. Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die geschützte Arten wie die Bachmuschel in vielen Stunden Arbeit vor den niedrigen Wasserständen in Sicherheit bringen. Der vergangene Sommer verlangte der Natur viel ab.

    "In den vergangenen zehn Jahren haben solche extremen Sommerzeiten mit Hitze und Trockenheit zugenommen. Aber 2022 haben wir eine neue Stufe der Eskalation erreicht", sagt Dr. Oliver Born, Leiter der Fischereifachberatung des Bezirks Schwaben. In der Region seien so viele Gewässer betroffen gewesen wie nie zuvor.

    Regen und herbstliche Temperaturen versprechen nun Besserung. Ob sich das bereits bemerkbar macht? Zwar stiegen die Wasserpegel vielerorts, sagt Susanne Kling, Leiterin des Landschaftspflegeverbands Donautal, und auch durch Sorgenkinder wie Brunnenbach und Nebelbach im Landkreis Dillingen fließe mittlerweile wieder einige Zentimeter hoch Wasser, "aber nicht überall kommt der Regen gleichermaßen an".

    Regen bringt Flüssen und Seen in Bayern nur kurzfristige Entspannung

    Grund dafür sei unter anderem die ungleichmäßige Verteilung von Niederschlägen über das Jahr. Hohe Temperaturen in Verbindung mit Trockenheit treten über einen längeren Zeitraum auf als bisher gewohnt. Wenn es regnet, dann viel auf einen Schlag. Das bestätigt auch die Sommerbilanz des Deutschen Wetterdienstes. Kling: "Diese Extreme führen dazu, dass die Natur nicht die Möglichkeit hat, ausreichend Wasser zum Beispiel im Waldboden zu speichern." Auch die kürzeren, aber starken Regenschauer der vergangenen Tage kommen eher als Wellen in den bayerischen Flüssen an, erklärt Biologe Born: "Es entstehen kurzzeitig hohe Pegel, die dann wieder verpuffen."

    Donau, Mindel und Schmutter sind laut Angaben des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (Stand 6. September) aktuell von besonders niedrigen Pegelständen betroffen. Auch durch Lech, Günz, Wertach, Iller und zahlreiche andere Gewässer fließt demnach noch immer zu wenig Wasser. Zur kurzfristigen Rettung wurden beispielsweise Ende Juli Millionen Liter Wasser vom Kissinger Auensee in die Friedberger Ach gepumpt. Trotz allem lagen etwa drei Wochen später zahlreiche tote Fische im Flussbett zwischen Stätzling und Derching (Landkreis Aichach-Friedberg). Born sagt: "Hier war die Lage besonders dramatisch."

    Kleinere Speicherbecken könnten in Zukunft Wasser für Flüsse und Äcker sichern

    Wasser in Trockenzeiten in Bäche und Flüsse einzuleiten, sei keine dauerhafte Lösung, bleibe aber auch in Zukunft eine wichtige Handlungsoption. Die Iller kann beispielsweise durch den Rottachspeicher (Landkreis Oberallgäu) mit zusätzlichem Wasser versorgt werden. Das hebt laut Born nicht nur den Wasserstand, sondern trägt auch zur Abkühlung bei. "Da extreme Niederschläge künftig zu unserer Realität gehören, ist es wichtig, dieses Wasser für Trockenzeiten zu speichern", sagt Born. Sinnvoller, als weitere große Speicherseen zu errichten, seien seiner Meinung nach viele kleine Becken. So könnten auch Landwirte Wasser für ihre Felder sichern.

    Die Kissinger Fischergilde legt einen Verbindungsgraben zum Auensee an, um das ausgetrocknete Biotop wieder mit Wasser zu versorgen.
    Die Kissinger Fischergilde legt einen Verbindungsgraben zum Auensee an, um das ausgetrocknete Biotop wieder mit Wasser zu versorgen. Foto: Joachim Renner

    Kaltwasserarten wie Bachforelle, Äsche und Groppe litten laut Born in diesem Sommer besonders unter der Hitze. Die Fischarten bevorzugen eine Wassertemperatur von unter 18 Grad. Zum Vergleich: Der Bodensee hatte eine Oberflächentemperatur von bis zu 25 Grad, in der Iller stellte das Wasserwirtschaftsamt Kempten bis zu 21,6 Grad fest, im Alpsee bei Immenstadt bis zu 22,4 Grad. Aktuell kühlen viele Gewässer in den kälter werdenden Nächten ab.

    Die Lebensbedingungen für Flora und Fauna können sich laut dem Landesamt für Umwelt aber nur dann stabilisieren, wenn es über längere Zeit mehr Niederschläge gibt: "Je wärmer das Oberflächenwasser eines Sees im Sommer wird, desto länger dauert es, bis der See im Herbst und Winter so weit abkühlt, dass Sauerstoff in die Tiefe gelangen kann. Bei einer Niedrigwasserlage mit einem geringen Zustrom von kühlerem Grund- und Oberflächenwasser in die Seen werden höhere Temperaturen verstärkt."

    Schatten, Ufergehölz und tiefere Abschnitte werden zu Lebensrettern für Fische und Muscheln in bayerischen Gewässern

    Um Gewässer für Trockenzeiten und Hochwasser gleichermaßen fit zu machen, sei außerdem deren Renaturierung entscheidend. Bäume und Büsche als Schattenspender am Ufer und tiefere Wasserabschnitte nennt Born als zentrale Bausteine. So entstünden kältere Abschnitte, wobei die Temperaturdifferenz in einem Gewässer bei bis zu neun Grad liegen kann. "Diese neun Grad können über Leben oder Tod entscheiden", erläutert Born.

    Wesentlich ist auch, die Durchwanderbarkeit der Gewässer wieder zu ermöglichen. So können Fische im Wasser frei schwimmen und in kühlere Gewässerbereiche ausweichen. Im Donautal denke man außerdem über die Anschaffung von mobilen Wehren nach, sagt Kling, um schnell und lokal Wasser anstauen zu können. Ein weiterer Faktor für Landkreise und Kommunen seien laut dem schwäbischen Bezirkstagspräsidenten Martin Sailer Notfallpläne für Niedrigwasserlagen.

    Die Stadt Marktoberdorf (Landkreis Ostallgäu) will beispielsweise Sohlabstürze zurückbauen, die manche Wasserlebewesen nicht überqueren können. Außerdem ist im Ettwieser Weiher und im Ettwieser Bach laut Mitteilung ein Ufergehölzsaum geplant, die Wurzelbärte von Bäumen und Sträuchern bilden unter anderem den bevorzugten Lebensraum der vom Aussterben bedrohten Bachmuschel. Diese ist für das Reinigen von Wasser verantwortlich.

    Kling sagt: "Die Bachmuschel ist etwas ganz Besonderes." Für den Brunnenbach und andere Gewässer im Landkreis Dillingen engagierten sich Freiwillige mittlerweile als sogenannte Muschelbetreuer, auch Fischereivereine seien in diesem Sommer besonders für die Wassergesundheit im Einsatz gewesen. Weil auch das Grundwasser maßgeblich für Pegelstände verantwortlich sei, fordert Born dazu auf, zu Hause Wasser zu sparen. Er sagt: "Wir erleben einen Gewöhnungseffekt. Hitze und Trockenheit scheinen zur neuen Normalität zu werden. Aber das ist es eben nicht. Was gerade passiert, ist nicht normal."

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