Startseite
Icon Pfeil nach unten
Klima & Umwelt
Icon Pfeil nach unten

Trinkwasser in Deutschland: Knappes Gut

Wie der Wassermangel schleichend zum Problem wird
Bayern

Wie der Wassermangel schleichend zum Problem wird

    • |

    In Hurlach, einem Ort bei Landsberg, sagt ein Anwohner einen Satz, der erst belanglos klingt, und dann doch Angst macht. Der Mann sperrt gerade die Tür zu einem Restaurant auf, als er auf die Wasserknappheit angesprochen wird. Er klingt genervt, spricht schnell und ohne Pause. Nur der letzte Satz bleibt hängen: „Wir werden schon nicht verdursten.“

    Natürlich nicht! Oder?

    Zumindest ist klar: Hurlach hat ein Problem. Der Gemeinde geht das Trinkwasser aus. Und so wie es den oberbayerischen Ort traf, könnte es viele Kommunen in Bayern und Deutschland treffen.

    Medienrummel in Hurlach – wegen eines Briefs des Bürgermeisters

    Hurlach, das ist ein von Äckern umrahmtes Dorf. 2000 Menschen leben hier, einige von der Landwirtschaft. Es gibt eine Bank, Gasthäuser, sogar ein Schloss. Im Sommer erfrischen sich die Menschen im Baggersee oder am Lech. Doch obwohl die Umgebung so wasserreich ist, wird in Hurlach das Trinkwasser knapp. Wie kann das sein?

    Ein Treffen mit dem Bürgermeister. Andreas Glatz hat in diesen Tagen viel zu tun. Gerade telefonierte er noch mit einer Reporterin des Magazins Focus, am Tag davor waren Kamerateams von RTL und Sat.1 zu Besuch. Glatz ist seit zwei Jahren im Amt und wirkt wie einer, der die Sachen anpackt: den Blick geradeaus, die Ärmel am Pulli hochgekrempelt. Er kümmert sich, wenn es ums neue Baugebiet am Ortsrand geht. Er sammelt Fördergelder ein, um eine Wiese im Ort zu bewirtschaften. Kürzlich hat er sich dann hingesetzt und einen Brief geschrieben. Über den reden nun alle. Deswegen kommen die Reporter und Kamerateams.

    Die Gemeinde von Bürgermeister Andreas Glatz hofft auf Regen.
    Die Gemeinde von Bürgermeister Andreas Glatz hofft auf Regen. Foto: Axel Hechelmann

    Glatz bittet in dem Brief, den er an alle Bürgerinnen und Bürger schickte: „Helfen Sie mit, dass für Mensch und Tier ausreichend Wasser zur Verfügung steht.“ Verbunden mit dem weiteren Appell: „Vermeiden Sie unnötige Wasserverbräuche.“ Als Glatz seinen Brief geschrieben hat, lieferten die Quellen, die die Gemeinde versorgen, nur noch weniger als die Hälfte des Wassers, das im Vorjahr aus ihnen sprudelte. Die Situation sei „besorgniserregend“, so Glatz, denn das Wasser werde in den Haushalten gebraucht: zum Trinken, im Bad, beim Kochen. Aber auch die Landwirtschaft benötige große Mengen, um die Felder zu bewässern. Kurzum: Hurlach verbraucht mehr Wasser, als es erwirtschaftet.

    Und damit steht die Gemeinde nicht allein da. In Bayern fehlt es vielerorts an Wasser. Das Landesamt für Umwelt hat nachgemessen und teilt auf Anfrage unserer Redaktion mit: An 63 Prozent der Messstellen sind die Grundwasserstände niedrig und die Quellen liefern wenig frisches Wasser. Und das ausgerechnet jetzt.

    Im Frühjahr sind die Grundwasserspeicher voll – zumindest in der Theorie

    Im Frühling sollten die Trinkwasserspeicher eigentlich voll sein. Denn die Niederschläge aus dem Winter sickern in den Boden ein und füllen die Grundwasservorräte auf. Pflanzen brauchen im Winter wenig Wasser, also bleibt mehr für den Menschen. Das Wasser sickert wochen- und monatelang durch Humus, Minerale und Gestein in den Boden ein. Meter für Meter. Im Frühjahr sind die Grundwasserspeicher voll mit natürlich gefiltertem, sauberem Wasser. Zumindest in der Theorie.

    In der Realität sieht es anders aus. Die Quellschüttungen seien teils „außergewöhnlich“ niedrig, erklärt ein Sprecher des Landesamtes für Umwelt. „In Bayern ist vor allem Südbayern betroffen, wo es seit dem letzten Herbst – mit Ausnahme des Dezembers – zu trocken war.“ Und dann ist da noch der Klimawandel, der das Problem nicht nur zwischen Voralpenland und Donau verschärfen könnte.

    Bürgermeister Glatz schaut in diesen Tagen besonders oft in seine Wetter-App auf dem Smartphone. „Wenn weiterhin kein größeres Tiefdruckgebiet kommt, dann bereitet mir das Sorgen“, sagt er. Das Tiefdruckgebiet ist jedoch nicht in Sicht. Stattdessen: mildes Frühlingswetter, kaum Niederschlag. So schön es für manchen sein mag: Glatz braucht Regen.

    „Es gibt auch Nachbarn, denen kann man nicht mehr helfen.“

    undefinedundefined

    Schon jetzt führt ihn die Wasserknappheit in eine Abhängigkeit, die er nicht möchte. Über einen Notverbund kauft die Gemeinde Wasser von den Stadtwerken Landsberg ein. Glatz betont das Wort „Not“. Langfristig sei das keine Lösung. Und vor allem: Was, wenn die Landsberger plötzlich selbst zu wenig Wasser haben und keines mehr abgeben können? „Das halte ich für sehr unrealistisch“, sagt er zwar. Ganz ausschließen könne er es aber auch nicht – deswegen müsse jetzt etwas passieren in Hurlach.

    Anruf beim Bundesumweltministerium in Berlin – und gleich dieser Satz: „Der Klimawandel nimmt uns die Gewissheit, dass wir immer und überall in Deutschland Wasser im Überfluss haben.“ Die Wasserversorgung in Deutschland sei insgesamt nicht gefährdet. „Gleichwohl können wir nicht ausschließen, dass es künftig saisonal und regional begrenzt zu Wasserknappheiten kommen kann“, sagt ein Sprecher. Zustände wie in Hurlach sind also vielerorts denkbar?

    Der Klimawandel verschärft die Situation weiter

    Die Wissenschaftlerin Diana Rechid vom Climate Service Center Germany des Helmholtz-Zentrums hält das für möglich. Sie leitet in Hamburg die Abteilung regionaler und lokaler Klimawandel und sagt im Hinblick auf die Erderwärmung: „Mit den höheren Temperaturen verdunstet mehr Wasser und dadurch können Grundwasserspeicher verringert werden.“ Einzelne Trockenphasen wie die in Hurlach ließen sich zwar nicht eindeutig auf den Klimawandel zurückführen. Klar sei allerdings: Dadurch, dass sich die Erde immer weiter erwärmt, könnte sich das Problem in den kommenden Jahren verschärfen. Schlechte Aussichten. Auch für Glatz?

    Der Hurlacher Bürgermeister führt nun nach draußen. Es ist so hell, dass sich die Augenlider vor der weißen Rathausfassade kaum öffnen lassen. Davor steht die Bronze-Figur eines Kindes, das einen Schlauch in der Hand hält. An normalen Tagen sprudelt Trinkwasser aus der Leitung. Seit kurzem nicht mehr. Glatz hat den Brunnen abstellen lassen, als Zeichen für die Bürgerinnen und Bürger: Es ist ernst.

    Trockengelegt: Der Trinkwasserbrunnen vor dem Rathaus.
    Trockengelegt: Der Trinkwasserbrunnen vor dem Rathaus. Foto: Axel Hechelmann

    „Die Leute sind gewohnt, dass die Supermarktregale voll sind“, sagt er. Ähnlich sei es mit dem Wasser. „Die Wertschätzung geht etwas verloren.“ Sauberes Wasser als stets verfügbare, günstige Ware – das sei nicht selbstverständlich. Glatz will deswegen in diesem Jahr vieles anders machen und, zum Beispiel, seinen Pool nicht mit Trinkwasser füllen. Wenn, dann mit Regenwasser aus seiner Zisterne. Dasselbe erhoffe er sich von den Bürgerinnen und Bürgern.

    Ein Spaziergang durch Hurlach, entlang der Hauptstraße. Ein Mann arbeitet im Garten. Was sagt er zur Wasserknappheit im Ort? „Ich hab gerade von der Nachbarin gehört, dass wir im Fernsehen waren“, antwortet er. Ein Problem sehe er nicht. Eine andere Anwohnerin spielt mit ihren Enkeln in der Hofeinfahrt. „Ich hab’s im Radio gehört“, sagt sie. Eine Frage, zwei Antworten: Die Krise als Medienereignis?

    Die Frau redet weiter: Ihr Mann nutze Regenwasser aus der Zisterne für die Bewässerung, das Thema Wassersparen sei ihr wichtig. Wieder ein anderer meint: „Es gibt auch Nachbarn, die mit dem Hochdruckreiniger auf dem Dach stehen. Denen kann man nicht mehr helfen.“ Die Wasserknappheit hat Hurlach erreicht, zugleich scheint es so zu sein: Solange sauberes Wasser aus dem Hahn kommt, bleibt das Problem abstrakt. Und das, obwohl deutschlandweit schon lange bekannt ist, dass das Trinkwasser mancherorts zur Neige geht.

    „Die Schäden für Mensch, Umwelt und Wirtschaft können erheblich sein.“

    undefinedundefined

    Das Bayerische Landesamt für Umwelt beobachtet das Phänomen seit fast 20 Jahren. „Niedrige bis sehr niedrige Grundwasserstände gab es in den letzten Jahren häufiger“, erläutert ein Sprecher. Dagegen würden auch einzelne regenreiche Wochen nicht helfen, denn die Trockenjahre 2015, 2018, 2019 und 2020 wirkten sich bis heute auf die niedrigen Grundwasserspiegel aus. Bis neues Regenwasser ins für Menschen nutzbare Grundwasser einsickere, könne es Monate oder sogar Jahre dauern.

    Das Problem mit dem Wasser, es ist nicht schnell zu lösen. Und das wirft noch eine Frage auf: Wurde das Thema politisch zu lange ignoriert?

    Zurück zum Gespräch mit dem Umweltministerium in Berlin. Der Sprecher räumt ein, dass das Thema Wasserknappheit „sehr lange Zeit auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene nicht ausreichend im Fokus“ stand. Statt Niedrigwasser habe man sich um Hochwasser und Starkregen gesorgt.

    Sichtbar wurde das bereits im „Jahrhundertsommer“ 2003, als in Brandenburg, dem gewässerreichstenBundesland, Fischer vor leeren Teichen standen. Oder 2018, als niedrige Pegelstände an Rhein und Elbe die Schifffahrt einschränkten. Oder aktuell in Berlin, wo Trinkwasser in Schrebergärten rationiert wird, damit es nicht fürs Rasensprengen verschwendet wird.

    Wie wird dieser Sommer, wenn der Bedarf an Trinkwasser steigt?

    In Bayern ist die Lage noch nicht ganz so dramatisch. Dennoch müsse sich etwas ändern – darin sind sich Mitarbeitende von Ministerien und an Forschungsinstituten einig.

    Weil die Gefahr akut ist, legte das Bundesumweltministerium vor knapp einem Jahr ein Papier für eine „Nationale Wasserstrategie“ vor. Sie soll den Schutz und Umgang mit Wasser in Deutschland regeln und dafür sorgen, dass auch 2050 noch sauberes Trinkwasser aus den Leitungen fließt. Ein Aspekt darin: Es sollen Regeln erarbeitet werden, wer Wasser vorrangig nutzen darf, wenn es knapp wird. Der Gedanke dahinter: Trinkwasser soll weiterhin für alle Menschen verfügbar bleiben. Auch der Wasserbedarf für Tiere und Pflanzen habe Vorrang.

    Aber heißt das, in Zukunft könnte der Pool leer bleiben und der Rasen vertrocknen? Und was ist mit Unternehmen, die viel Wasser benötigen? Das Strategie-Papier, es lässt noch viele Fragen offen. Viel Zeit sie zu beantworten, bleibt nach Ansicht von Klimaexpertinnen nicht. Und was sagt Andreas Glatz?

    Der fragt sich: Wie wird dieser Sommer, wenn der Bedarf an Trinkwasser steigt und die Äcker noch mehr Wasser brauchen? Wahrscheinlich schreibt er noch mal einen Brief an die Menschen im Ort. Vielleicht wird seine Gemeinde den Bau von Zisternen fördern, die Regenwasser auffangen. Und wenn gar nichts mehr hilft, muss jemand für einen Brunnen ein Loch in die Erde bohren. Es wäre ein aufwendiges Projekt – für ein Gut, das eigentlich selbstverständlich sein sollte.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden