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Tod von Lisa-Maria Kellermayr: Schnellerer Schutz für Opfer von Internet-Hass?

Morddrohungen im Netz

Fall Kellermayr: Erhalten Opfer von Internet-Hass jetzt schneller Schutz?

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    Eine Frau fordert bei einer Gedenkveranstaltung für die verstorbene Ärztin Lisa-Maria Kellermayr "mehr Schutz für Frauen im Internet und im realen Leben".
    Eine Frau fordert bei einer Gedenkveranstaltung für die verstorbene Ärztin Lisa-Maria Kellermayr "mehr Schutz für Frauen im Internet und im realen Leben". Foto: Georg Hochmuth, dpa

    Der Suizid der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr hat Bestürzung und Betroffenheit ausgelöst. Haben die österreichischen Behörden richtig gehandelt, als sie der Ärztin den Polizeischutz verwehrten? Wann wird aus Kommentaren im Netz eine ernsthafte Bedrohung im realen Leben? Und vor allem: Was kann man dagegen tun? Solche Fragen gilt es nun zu klären. Dabei ist Kellermayr längst nicht die Einzige, die zur Zielscheibe des zügellosen Zorns von oft anonymen Nutzern geworden ist.

    Starnberger wird Bedrohung und Nachstellung vorgeworfen

    Derzeit ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft München gegen einen 59-jährigen Mann aus dem Landkreis Starnberg. „Wir beobachten Sie, und, wir werden solche Kreaturen vor die in Zukunft einzurichtenden Volkstribunale bringen“, lautet eine der Äußerungen, die der 59-Jährige im Internet und in den sozialen Medien getätigt haben soll. Das teilte die Generalstaatsanwaltschaft mit. Beamte der Kriminalpolizeiinspektion Fürstenfeldbruck durchsuchten am vergangenen Freitag laut Mitteilung den Wohnort des Mannes. Dabei hätten sie Datenträger sichergestellt, die derzeit ausgewertet würden. Der Beschuldigte habe sich kooperativ gezeigt. Im Raum stehe der Tatvorwurf der Bedrohung und der Nachstellung. Die Ermittlungen leitet die Bayerische Zentralstelle für Extremismus und Terrorismus (ZET) der Generalstaatsanwaltschaft München, bei der auch der Hate-Speech-Beauftragte der bayerischen Justiz angesiedelt ist. Weitere Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Suizid Kellermayrs laufen bei der Staatsanwaltschaft Berlin.

    Auch die österreichischen Behörden haben die Ermittlungen wieder aufgenommen, hieß es. Außerdem sollen Österreichs Justiz und die Sicherheitsbehörden stärker für den Kampf gegen Hass im Netz gerüstet werden. Justizministerin Alma Zadic kündigte am Wochenende an, dass sie gemeinsam mit Innenminister Gerhard Karner daran arbeiten werde, jeder Polizeidienststelle und Staatsanwaltschaft die nötigen Ressourcen und Werkzeuge zu geben, um alle Opfer ernst zu nehmen und Täter zeitnah zur Rechenschaft zu ziehen: „Diese Ausforschung dauert oft zu lange, was für Betroffene natürlich extrem belastend ist.“

    Unterdessen wurde die Gedenkstätte für die Ärztin geschändet: Mitten in Wien am Stephansdom erinnerten bis Sonntagmorgen Blumen, Kerzen, Bilder und Briefe an sie. Ein Video des in MeinBezirk.at zeigt, wie eine Person auf die Gedenkstücke zugeht und darin herumtritt.

    Lisa-Maria Kellermayr zahlte 100.000 Euro für die Sicherheit der Praxis

    Lisa-Maria Kellermayr betrieb eine Praxis in Seewalchen am Attersee in Österreich und setzte sich während der Corona-Pandemie öffentlich für Schutzmaßnahmen und Impfungen ein. Das nahmen Nutzer im Internet zum Anlass, um ihr massivste Morddrohungen zu schicken. Am 29. Juli wurde die 36-Jährige tot in ihrer Praxis aufgefunden. Das vorläufige Obduktionsergebnis bestätigte einen Suizid. Ende Juni hatte Kellermayr auf Twitter und auf ihrer Webseite bekannt gegeben, dass sie ihre Praxis aufgrund der „Morddrohungen aus der Covid-Maßnahmen-Gegner- und Impfgegner-Szene“ bis auf Weiteres schließen werde.

    Die Polizei wehrt sich gegen Vorwürfe, sie habe zu lax auf die Drohbriefe reagiert. Seit November 2021 sei die Ärztin polizeilich beraten worden, heißt es. In der Zwischenzeit ist bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Wien eine Anzeige eingegangen, in der den Behörden Untätigkeit vorgeworfen wird. Vor ihrem Tod hatte Kellermayr ein paar der erhaltenen Droh-Nachrichten veröffentlicht. Einer der Absender schildert detailliert, wie er sie und ihre Praxismitarbeiter umbringen wolle.

    Neu-Ulmer "Impfluencer" Christian Kröner bezeichnet Suizid als "Katastrophe"

    Wie es sich anfühlt, solche Drohungen zu bekommen, weiß auch der Neu-Ulmer Hausarzt Dr. Christian Kröner. Er hatte sich in der Pandemie als „Impfluencer“ eingesetzt und musste einen Shit-storm an Hasskommentaren und Morddrohungen über sich ergehen lassen. Den Suizid von Kellermayr bezeichnet er als „Katastrophe“. Die Ärztin sei „in eine negative Angst-Spirale reingekommen“. Und niemand habe sie auffangen können. Er werde sich hingegen nicht zurückziehen. Er gehe – wie Kellermayr auch – gegen die Drohungen vor. Inzwischen habe er über 300 Fälle zur Anzeige gebracht. Bei der Polizei in Bayern hätten er und sein Personal sich „gut aufgehoben“ gefühlt. „Die haben mich ernst genommen.“

    Hass und Hetze im Netz richtet sich auch gegen Politiker

    Bayerns Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach (CSU), forderte im Gespräch mit unserer Redaktion ein schnelles Vorgehen der Ermittlungsbehörden. „Die Regulierung ist da, an der Umsetzung hapert es teilweise“, sagte sie. Im Fall Kellermayr sah sich das Opfer Hass und Hetze offenbar schutzlos ausgesetzt. „Dann hat man in so einer Situation natürlich das Gefühl, mutterseelenallein zu sein“, sagte Gerlach. Opfer müssten erfahren, dass schnell gehandelt werde und der Staat sie schützen könne. Auch sie selbst sei schon mal in die Schusslinie der Hasser im Netz geraten.

    Ebenso Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU): Vergangene Woche veröffentlichte er ein Video auf Facebook, in dem er einige Morddrohungen und Hasskommentare vorlas, die er erhalten hat. Er wolle damit nicht jammern, sagte er und forderte: „Wir müssen da gemeinsam Haltung zeigen und entschlossen gegen Hass im Netz vorgehen.“

    Betroffene können Hass und Hetze laut Bayerns Justizminister Georg Eisenreich auf dem baden-württembergischen Portal „Respect“ melden.

    Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie darüber! Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, unter anderem die Telefonseelsorge. Sie erreichen sie unter der Nummer 0800/1110111 oder 0800/1110222. Die Hotline ist rund um die Uhr erreichbar, kostenlos und anonym. Ein Anruf bei der Telefonseelsorge wird weder auf der Telefonrechnung noch auf dem Einzelverbindungsnachweis ausgewiesen.

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