Hoch oben, versteckt hinter Blättern, sitzt eine Amsel und schimpft. Es scheint ihr gar nicht zu gefallen, dass an diesem Sommermorgen zwei Frauen durch ihren Garten streifen. Die eine – Daniela Staudinger – hält ein Klemmbrett mit Checkliste in der Hand. Die andere – Michaela Spindler – macht Fotos mit ihrem Handy. Sie sind in diesem Garten östlich von Augsburg unterwegs, um herauszufinden, wie vogelfreundlich er ist. Zumindest die Amsel hat ihr Urteil schon gefällt.
Staudinger und Spindler sind im offiziellen Auftrag unterwegs. Ihr Ziel: gegen das Artensterben ankämpfen. Dass auch in Bayern immer mehr Tiere und Pflanzen verschwinden, zeigen Statistiken. Eine besagt, dass im Freistaat etwa 40 Prozent der 35.000 vorkommenden Tierarten als ausgestorben, bedroht oder verschollen gelten. Eine andere kam im Frühsommer vom Landesbund für Vogelschutz (LBV): Bei der jährlichen Stunde der Gartenvögel, beobachteten die Menschen so wenige Vögel wie nie zuvor. Die Aktion „vogelfreundlicher Garten“ will daran etwas ändern. Seit 2022 gibt es eine Offensive des bayerischen Landesbundes für Vogelschutz (LBV) und des Landesamts für Umwelt (LFU) zum Erhalt der Artenvielfalt im Land.
Artensterben in Bayern: Heimische Tierearten sind bedroht
Denn ein Garten, der Vögeln Nistmöglichkeiten und Nahrung bietet, beherbergt automatisch Insekten, Würmer, Amphibien oder Eidechsen und trägt zum Artenerhalt bei. „Das ist ja das Spannende. Die Artenvielfalt ist ein Kreislauf und sobald ein Baustein nicht mehr passt, funktioniert alles nicht mehr“, sagt Daniela Staudinger vom LBV. Und in den bayerischen Gärten schlummert Potenzial. „Wenn man die Fläche aller privaten Gärten in Bayern zusammenzählt, ergibt das grob 135.000 Hektar. Das entspricht etwa der Fläche aller bayerischen Naturschutzgebiete“, sagt Spindler, die beim Artenschutzzentrum des LFU arbeitet. Helfen würde es, wenn mehr Orte so aussähen wie dieser Garten, durch den sich die beiden gerade einen Weg bahnen.
Echte Wege, also aus Pflastersteinen oder Kies, gibt es quasi nicht. Dafür gibt es Trampelpfade. Sie sind mit Wiese überwachsen und werden einmal im Jahr gemäht. Mit der Sense. Den Grasschnitt legt die Besitzerin dann in ihre Hecke. „Das ist der perfekte Kreislauf. So bleiben die Nährstoffe im Garten. Der Wiesenschnitt wird zum Mulchen verwendet und kein Rasenmäher tötet Insekten“, erklärt Daniela Staudinger.
Von diesem Garten hier im Augsburger Osten sind die beiden schon beim Betreten angetan und je länger sie ihn begutachten, desto mehr Positives finden sie. Rasenfläche, Pflastersteine, ordentlich getrimmte Büsche, und dazwischen Rindenmulch – all das gibt es nicht. „Diese typischen Einfamilienhaus-Gärten mit viel Rasen und Kirschlorbeerhecke, sind Menschen-Gärten“, sagt Staudinger. „Dieser Garten hier ist für Menschen und Tiere.“ Es blüht, summt und zwitschert. Rosen ranken an Bögen empor, Wein und Efeu klettern die Fassade des Hauses hinauf. Im Teich quaken zwei Frösche. Pflanzen und Tiere scheinen sich wohlzufühlen, damit das so ist, haben die Besitzer einiges gemacht, was in typischen Gärten fehlt.
Heimische Pflanzen, Totholz und Sandflächen: Im Garten Lebensraum für Tiere schaffen
So stehen an zwei Ecken des Grundstückes etwa zwei abgestorbene Obstbäume. „Totholz ist ein wahnsinnig wichtiger Lebensraum, zum Beispiel für Käfer. Dann findet auch der Specht dort Futter“, sagt Staudinger. Im Garten selbst wachsen viele heimische Pflanzen, Dost zum Beispiel: „Das ist eine ganz tolle Schmetterlingspflanze“, sagt Spindler. In der Hecke steht eine Kornelkirsche. Sie blüht früh im Jahr leicht gelblich und bietet damit schon zu Beginn des Jahres Futter für Insekten. Im Spätsommer reifen ihre roten Früchte heran: „Vögel lieben die Beeren. Aber auch für uns Menschen sind sie gesund und voller Vitamin C“, sagt Staudinger.
Dazu finden die beiden Expertinnen im Garten Rückzugsräume und Brutmöglichkeiten für Insekten und Vögel. Ein Beispiel: ein Sandarium. Das ist eine Fläche aus ungewaschenem Sand, die mindestens 30 Zentimeter tief ist und vielen Wildbienen-Arten zur Eiablage dient. „Die meisten unserer Wildbienenarten nisten im Boden“, sagt Spindler. „Sie graben Gänge in ein Gemisch aus Sand und Lehm, wie wir es hier finden, und legen darin ihre Eier ab.“ Etwas weiter den Pfad hinab bietet ein kleiner Steinhaufen im Schatten Erdkröten, Käfern, Würmern oder Molchen Unterschlupf. Noch etwas weiter hinten haben die Gartenbesitzer Äste des Heckenschnitts lose aufgetürmt. „In so einem Reisigberg brüten etwa der Zaunkönig oder das Rotkehlchen. Auch Igel, Molche oder Mäuse fühlen sich wohl“, sagt Staudinger.
Tipps und Tricks: So wird der Garten zum artenreichen Lebensraum
„Der Rasen-Garten ist leider immer noch das, was die meisten Menschen schön finden“, sagt Staudinger. „Und viele Leute sagen auch: Ich lege mir so einen Garten an, der ist pflegeleicht.“ Doch aus Sicht der Expertin ist das ein Trugschluss. „Einen Rasen muss ich regelmäßig mähen und düngen, ich muss ihn wässern und bei extremer Hitze vertrocknet er.“ Bei Beeten mit Pflanzen, die nicht heimisch sind – etwa Kirschlorbeer oder Hortensien –, sei das ähnlich, sie müssten gegossen, von Unkraut freigehalten und gedüngt werden. „Ein Garten wie dieser hier, macht viel weniger Arbeit. Er wächst einfach“, sagt Staudinger.
Was also tun, um diesen pflegeleichten und artenreichen Garten zu bekommen? „Mein erste Tipp wäre die Wiese wachsen zu lassen. Viel seltener zu mähen. Da kommen viele Pflanzen zum Vorschein, die Insekten Futter bieten“, sagt Spindler. Der zweite Tipp: heimische Pflanzen ansäen. „Die sind an die Umweltbedingungen hier angepasst und kommen deshalb besser mit ihnen zurecht. Und unsere heimischen Tiere ernähren sich von heimischen Pflanzen“, sagt sie. Der dritte Tipp: unterschiedliche Strukturen schaffen. Das heißt, im Garten Steinhügel, bepflanzte Trockenmauern oder Sandflächen anlegen. Samenstände im Winter stehen lassen, kleine Wasserbecken errichten und Reisighaufen aufschichten. „Es darf alles etwas wilder aussehen“, sagt Spindler. Denn das sei nicht nur für die Tiere gut, auch für Menschen.
Dieser Artikel zählt zu unseren Favoriten aus dem Jahr 2024. Er stammt aus dem Archiv, aber wir wollten Ihnen die Lektüre noch einmal ans Herz legen. Zuerst wurde er am 7. August 2024 veröffentlicht.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden