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Stewardessen trainieren für Notlandung

Luftfahrt

Notlandung im Hallenbad: So bereiten sich Flugbegleiter auf den Ernstfall vor

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    Flugbegleiter trainieren den Ernstfall. Aber wie gut lässt sich ein Notfall in einem öffentlichen Hallenbad simulieren? Das Wasser ist klar und beleuchtet, die Wassertemperatur beträgt 28,9 Grad Celsius.
    Flugbegleiter trainieren den Ernstfall. Aber wie gut lässt sich ein Notfall in einem öffentlichen Hallenbad simulieren? Das Wasser ist klar und beleuchtet, die Wassertemperatur beträgt 28,9 Grad Celsius. Foto: Steve Przybilla

    Da sitzen sie, eng aneinander gepfercht, Knie an Knie im Rettungsfloß. Die Schwimmwesten drücken gegen die Oberkörper, Chlorgeruch in der Luft. 21 Männer und Frauen. Was jetzt? „Da sind Trümmerteile im Wasser!“, ruft ein Mann mit T-Shirt und kurzer Hose. „Da ist Kerosin! Ihr habt nicht viel Zeit, paddelt! Hopp, hopp, hopp!“

    In Wahrheit gibt es weder Trümmer noch Kerosin. Das Rettungsfloß treibt im Hallenbad Oerlikon in Zürich, nebenan der Zehn-Meter-Turm, dahinter Frühschwimmer, die ihre Bahnen ziehen. Navid Kiser, der Mann in T-Shirt und kurzer Hose am Beckenrand, will den Ernstfall trotzdem so realistisch wie möglich darstellen, und sei es nur in Gedanken. Der 44-Jährige ist Emergency Instructor bei der Fluggesellschaft Swiss. Seine Aufgabe: Neuen Flugbegleitern im Kurs 38/23 beibringen, wie sie und ihre Passagiere eine Notwasserung überleben. 23 Jahre hat er selbst als Flugbegleiter gearbeitet, seit sieben Jahren bildet er den Nachwuchs aus.

    2022 kamen bei Flugzeugunglücken weltweit 158 Menschen ums Leben

    Die Teilnehmer von Kurs 38/23 beginnen zu paddeln – mit den Händen, was anderes haben sie nicht. Die Gummihülle im Rettungsfloß quietscht, schnell stehen die Füße im Wasser. Im Klassenraum haben die Auszubildenden alle Handgriffe durchgespielt. In der Halb-Praxis im Schwimmbecken ist vieles komplizierter. Sechs Wochen dauert die Grundausbildung bei der Swiss. Wie anspruchsvoll der Job sein kann, verriet eine US-amerikanische Flugbegleiterin, als sie 2019 einen offenen Brief auf Facebook veröffentlichte. Sie ärgerte sich, weil ein Passagier sie beleidigt hatte. „Ich habe gelernt, in 10.000 Metern Höhe ein Feuer zu löschen, weiß, wie ich Waffen erkenne […] und kann lebensrettende Maßnahmen unter akutem Stress durchführen“, schrieb die Stewardess. „Wenn Sie also das nächste Mal denken: Ach, nur eine Flugbegleiterin, hoffe ich, dass Sie sich schnell daran erinnern, wofür ich eigentlich da bin, und dass das Servieren von Essen und Getränken den geringsten Teil meines Jobs ausmacht.“

    Die Kabinenbesatzungen sollen ein Gefühl für die Situation bekommen, vor allem für Notrutschen, die sich in Flöße und Rettungsinseln verwandeln.
    Die Kabinenbesatzungen sollen ein Gefühl für die Situation bekommen, vor allem für Notrutschen, die sich in Flöße und Rettungsinseln verwandeln. Foto: Steve Przybilla

    Die Szenarien, die Navid Kiser in Zürich durchspielt, kommen in der Wirklichkeit fast nie vor. Flugzeuge gehören immer noch zu den sichersten Verkehrsmitteln der Welt. 2022 kamen bei Flugzeugunglücken weltweit 158 Personen ums Leben, wie der Jahresbericht der Luftfahrtorganisation IATA auflistet. Bei 32 Millionen Flügen weltweit kam es zu 39 Unfällen – also zu einem Unfall pro 826.088 Flügen. Die IATA rechnet vor: „Wenn eine Person jeden Tag fliegen würde, bräuchte sie 2263 Jahre, um in einen Unfall verwickelt zu werden.“ Falls es doch zu einem Notfall kommt, muss die Crew aber innerhalb von Sekunden richtig handeln. Davon hängt das Überleben mehrerer Hundert Menschen ab.

    Besser einschätzen können, wie man bei einer Notwasserung reagiert

    Im Zürcher Schwimmbad treiben die Kursteilnehmenden wieder im Wasser, das Gummiboot nebenan. Doch vom Wasser ins Trockene zu gelangen, klingt leichter, als es ist. Sobald zu viele Personen auf einer Seite hochklettern, kippt das Floß. Kurze Ratlosigkeit. Dann entscheiden sich die Trainees für Teamwork. Während die einen sich hochziehen, halten die anderen das Boot fest. Fehlt nur noch die „bewusstlose Person“, Schwierigkeitsstufe zwei. Ein Teilnehmer macht sich steif, die anderen schieben und hieven und quetschen. Geschafft! Ein paar Minuten später sind alle an Bord, manchen ist kalt, andere sind außer Atem, die meisten schauen zufrieden.

    Zum Schluss müssen alle vom Ein-Meter-Brett springen – die Airline schätzt, dass sich die Türen eines Flugzeugs etwa einen Meter über der Wasseroberfläche befinden, wenn die Maschine im Meer zum Stehen gekommen ist. Also ein beherzter Sprung ins Schwimmbecken! Nach etwa einer Stunde ist die Lektion in Sachen Notwasserung vorbei. „Ich find’s gut, dass wir selbst Lösungen finden mussten“, sagt Karina Muntjann, eine der angehenden Flugbegleiterinnen. Ihre Kollegin Sharon Kopp hatte es sich schlimmer vorgestellt: „In echt hätten wir Wellen, Haie, Salzwasser, ängstliche Menschen. Jetzt können wir zumindest besser einschätzen, wie man in einer solchen Situation reagiert.“

    Experte: Viele Flugbegleiter sind keine sicheren Schwimmer

    Die Frage ist berechtigt: Wie gut lässt sich ein Notfall in einem öffentlichen Hallenbad simulieren? Das Wasser ist klar und beleuchtet, die Wassertemperatur beträgt 28,9 Grad Celsius, Beckentiefe: fünf Meter. Reicht eine Stunde im Schwimmbecken, um eine Crew auf einen Kampf um Leben und Tod vorzubereiten?

    „Notwasserungen hat es in der Geschichte der Verkehrsluftfahrt nur extrem wenige gegeben“, sagt der Luftfahrt-Experte Andreas Spaeth, der seit über 20 Jahren als Journalist zu der Thematik recherchiert. Trotzdem sei es wichtig, dass die Kabinenbesatzungen ein Gefühl dafür bekommen, vor allem für Notrutschen, die sich in Flöße und Rettungsinseln verwandeln. Experte Spaeth bleibt aber skeptisch: „Wenn ich bei solchen Trainings dabei bin und sehe, dass viele junge Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen alles andere als sichere Schwimmer sind, scheint es mir unwahrscheinlich, dass sie bei einer tatsächlichen Wasserung viel ausrichten können.“

    Ein A320 landete im Hudson River in New York

    Die wenigen Notwasserungen, die es in den vergangenen Jahren gab, nahmen durchaus unterschiedliche Verläufe. Unvergessen die eines Airbus A320 im Hudson River im Jahr 2009. Nachdem durch einen Vogelschlag beide Triebwerke ausgefallen waren, landete das Flugzeug kurzerhand in dem New Yorker Fluss. Die Insassen retteten sich auf die Tragflächen, alle 150 Passagiere überlebten. Für sein spektakuläres Flugmanöver wurde Kapitän Chesley Sullenberger weltweit gefeiert, sogar ein Film von Clint Eastwood kam später ins Kino. Doch die Arbeit der Flugbegleiter war mindestens genauso wichtig: Sie schafften es, alle Personen sicher zu evakuieren, bevor die Maschine unterging.

    Schwimmbad statt Ozean: In Zürich trainieren Flugbegleiter für den Ernstfall.
    Schwimmbad statt Ozean: In Zürich trainieren Flugbegleiter für den Ernstfall. Foto: Steve Przybilla

    Ob eine Notlandung glimpflich ausgeht, hängt auch vom Verhalten der Passagiere ab. Im November 2019 geriet eine Aeroflot-Maschine nach dem Aufsetzen auf der Landebahn am Flughafen Scheremetjewo in Brand. Weil sie es nicht rechtzeitig aus dem Flugzeug schafften, kamen 41 Personen ums Leben. Die Notausgänge waren unter anderem verstopft gewesen, weil manche Passagiere noch ihr Handgepäck hervorgekramt hatten. In Kanada war es ein Jahr zuvor zu einem ähnlichen Vorfall gekommen. Beim Brand zweier Flugzeuge auf dem Flughafen Toronto hatten ebenfalls Passagiere ihr Handgepäck zusammengesucht, während die Turbinen brannten.

    Trotz Notlandung: „Natürlich möchte jeder erst noch sein Handy mitnehmen“

    „Natürlich möchte jeder erst noch sein Handy mitnehmen, auf dem 10.000 private Fotos gespeichert sind“, sagt Jorgen von der Brelie, Professor für Luftverkehrssysteme an der Hochschule Bremen. „Wenn aber 500 Passagiere das machen, haben Sie ein Problem.“ Genau deshalb sei es so wichtig, die Handgriffe wieder und wieder zu üben. Von der Brelie, der selbst Pilot ist, hält die Ausbildung für ausreichend. „Natürlich nützt es nichts, wenn Sie nachts mit hoher Geschwindigkeit aufs Wasser aufschlagen. Wenn aber eine Evakuierung möglich ist, sind die meisten Besatzungen sehr gut darauf vorbereitet.“ Gleichwohl müssten die Piloten genau überlegen, ob sie eine Evakuierung anordnen. „Die Leute springen über Sitze, wollen schnell raus. Selbst unter idealen Bedingungen kommt es dabei zu Knochenbrüchen und anderen Verletzungen.“

    Ortswechsel. Wenige Kilometer vom Hallenbad entfernt, am Flughafen Zürich, steht ein modernes Betongebäude. An der Glastür steht „Lufthansa Aviation Training“. Die Airline betreibt hier ein Trainingszentrum, das Angestellten der Tochterfirmen, zu denen die Swiss gehört, aber auch externen Airlines offensteht. Im ersten Obergeschoss betritt eine Swiss-Crew den Schulungsraum für ihren jährlichen Wiederholungskurs. An den Wänden hängen Gegenstände, die man als Passagier lieber nicht sehen möchte: Megafone, Schwimmwesten, Feuerlöscher.

    Kleine Sauerstoffflaschen reichen für 30 Minuten

    Die Flugbegleiterinnen und -begleiter sollen eine Atemschutzmaske anprobieren. Sie käme bei der Brandbekämpfung zum Einsatz. „Probiert es aus, helft euch gegenseitig“, sagt Patricia Lopez, die Instruktorin für diesen Teil des Lehrgangs. Sie fährt fort mit den Sauerstoffflaschen, die für Passagiere mit Schwindel reserviert sind. Die kleinen Flaschen reichen für 30 Minuten, die großen für 75. Nicht zu verwechseln mit den Sauerstoffmasken, die bei einem Druckverlust von der Decke fallen. Lopez trichtert der Gruppe ein, selbst zuerst eine Maske aufzusetzen. „Im Notfall müssen wir erst gucken, dass es uns gut geht, bevor wir andere retten können.“

    Die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA und ihr internationales Pendant, die ICAO, schreiben vor, was in welchen Abständen geübt werden muss. Die Fluggesellschaften können darüber hinausgehen. Neben medizinischen Grundkenntnissen gehört die Brandbekämpfung zur Ausbildung, ebenso der Umgang mit renitenten Fluggästen. Aus Sicherheitsgründen gewährt die Swiss bei diesem Teil der Schulung aber keine Einblicke. Auch Fragen zur Terrorismusprävention und zu „Sky Marshalls“ (Polizisten, die bestimmte Flüge begleiten) beantwortet die Airline nicht.

    90 Sekunden hat die Besatzung Zeit, um alle Passagiere zu evakuieren

    Im Schulungszentrum in Zürich sind mehrere Flugzeugrümpfe nachgebaut, die Notrutschen hängen schon von den Türen. Bewegen kann sich der Simulator nicht, aber vor den Fenstern zieht eine digitale Startbahn vorbei: Take-off! Auch die Geräusche stimmen: Der Motor brummt, hin und wieder ertönt ein „Bing“ wie bei einem echten Flug. Ein Teil der Klasse spielt nun die Besatzung, der andere Teil die Passagiere. Dann eine Durchsage: „Report to the flight deck!“ Der Captain fordert die leitende Flugbegleiterin auf, nach vorne zu kommen. Als sie zurückkehrt, schildert sie ihren Kolleginnen das Szenario: „Wir müssen notlanden. Ein Triebwerk ist kaputt, aber das sagen wir den Passagieren nicht. Wir sprechen nur von einem technischen Defekt.“

    Danach muss alles schnell gehen. Schwimmwesten anlegen, Notfallposition einnehmen. „Brace! Brace! Brace!“ – Bereitmachen zum Aufsetzen! Eine Sirene ertönt, das Licht flackert. Wer durchs Fenster schaut, sieht das Wasser schwappen. 90 Sekunden hat die Besatzung nun Zeit, um alle Passagiere zu evakuieren, auch dies ist gesetzlich vorgeschrieben – und weltweit eine Voraussetzung, dass Flugzeuge überhaupt zugelassen werden. Welche Kommandos die Flugbegleiter bei der Evakuierung geben, soll in diesem Artikel nicht geschrieben werden. Die Airline fürchtet, dass sich Fluggäste einen makabren Scherz auf Kosten der Sicherheit erlauben könnten.

    Ein paar Minuten später ist alles vorbei. Erschöpft, aber auch erleichtert, verlässt die Gruppe den Simulator. Erleben werden sie eine solche Situation hoffentlich erst wieder im nächsten Jahr – wenn das Wiederholungstraining ansteht.

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