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Staatsregierung: Wie tief ist das Zerwürfnis zwischen Aiwanger und Söder?

Staatsregierung

Wie tief ist das Zerwürfnis zwischen Aiwanger und Söder?

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    Hubert Aiwanger (links) und Markus Söder: In der CSU sagt längst keiner mehr "der Hubsi", da werden jetzt deutlich unfreundlichere Worte verwendet. Umgekehrt sitzt bei den Freien Wählern der Groll über die CSU und deren Chef tief.
    Hubert Aiwanger (links) und Markus Söder: In der CSU sagt längst keiner mehr "der Hubsi", da werden jetzt deutlich unfreundlichere Worte verwendet. Umgekehrt sitzt bei den Freien Wählern der Groll über die CSU und deren Chef tief. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Jetzt also soll wieder eitel Sonnenschein herrschen in der selbst ernannten "Bayern-Koalition". Vergessen der Streit nach der Wahl? Vergessen all die gegenseitigen Dreschflegeleien? Vergessen das persönliche Zerwürfnis zwischen den Parteichefs von CSU und Freien Wählern, Markus Söder und Hubert Aiwanger? Die Wetten, dass dieser Burgfrieden weitere fünf Jahre hält, stehen schlecht. 

    Wenn man der Selbstbeschreibung der Freien Wähler Glauben schenken darf, dann ist ihr Chef Hubert Aiwanger eine Art Held, genauer: ein "Kerndemokrat", der der "politischen Todeszone" entronnen ist. Der Begriff "Kerndemokrat" stammt von Aiwanger selbst. Er ist ihm, wie er unserer Redaktion sagte, während seiner Rede bei der Landesversammlung der

    Es fehlte nicht mehr viel und Aiwanger wäre als ein Siegfried erschienen – als nahezu unverwundbarer Held

    Die Erzählung von der "politischen Todeszone" wiederum gab am selben Tag auf demselben Podium der Fraktionschef der Freien Wähler im Landtag, Florian Streibl, zum Besten. Er wollte damit sagen, dass kaum ein Politiker eine Affäre übersteht, in der er unter Antisemitismus-Verdacht gestellt wird. Aiwanger schon. Zur sagenhaften Überhöhung des Parteichefs fehlte in Streibls Lobeshymne nicht mehr viel und Aiwanger wäre als ein Siegfried erschienen, der einen Drachen getötet und in seinem Blut gebadet hat – und fürderhin als nahezu unverwundbarer Held von Wahlsieg zu Wahlsieg eilt.

    Die neue "Bayern-Koalition": Vor wenigen Tagen wurde der Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern im bayerischen Landtag unterzeichnet.
    Die neue "Bayern-Koalition": Vor wenigen Tagen wurde der Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern im bayerischen Landtag unterzeichnet. Foto: Peter Kneffel, dpa

    So weit ist Streibl trotz aller Euphorie über die 15,8 Prozent der Stimmen, die die FW am Wahlsonntag geholt hatten, dann doch nicht gegangen. Der Nachwahl-Streit mit der CSU war tags zuvor in einer einzigen Therapiesitzung beerdigt worden und sollte nicht aufs Neue angeheizt werden. Wobei so eine erdachte Analogie zur Nibelungensage schon hätte lustig werden können – mit Hubert Aiwanger als Siegfried von Xanten und Markus Söder als sein Gegenspieler im Lager der Burgunder, Hagen von Tronje. Diese Koalition nahm ja, wie alle wissen, kein wirklich gutes Ende – weder für Siegfried noch für Hagen.

    Wer derlei Gedankenspiele kurz vor der konstituierenden Sitzung des bayerischen Landtags an diesem Montag für heillos übertrieben hält, der unterschätzt vermutlich die eigentliche Stimmungslage zwischen den bayerischen Regierungspartnern – auch wenn hier nicht mit Mord und Totschlag, Schwertern und Lanzen zu Werke gegangen wird. Nach außen hin wird getan, als sei nix gewesen. Tief im Innern aber sieht es ganz anders aus.

    In der CSU sagt längst keiner mehr "der Hubsi" oder "ja mei, der Aiwanger". Da werden jetzt deutlich unfreundlichere Worte verwendet. Er wird ein "hemmungsloser Populist" genannt, der im Wahlkampf immer noch eins draufgesetzt und jede Fairness gegenüber dem Koalitionspartner habe vermissen lassen. Aiwanger wird vorgeworfen, einen vermeintlichen Gegensatz zwischen Stadt- und Landbevölkerung aufgebauscht und damit just jene Spaltung befördert zu haben, die er vorgibt, überwinden zu wollen. Und niemand in der CSU glaubt ernsthaft, dass es bei der nächsten Wahl nicht wieder von vorn losgeht. Und die nächste Wahl kommt schon bald.

    Die Flugblatt-Affäre belastete das Verhältnis zwischen Söder und Aiwanger

    Der Ärger über Aiwanger und seine Partei geht in der CSU einher mit dem Ärger über sich selbst: Warum hat man ihn gewähren lassen, als er im Kabinett brav die Hand hob, aber draußen bei den Bürgerinnen und Bürgern Stimmung machte gegen Corona-Beschlüsse der Regierung? Warum hat man ihn nicht öfter daran erinnert, dass ein Wirtschaftsminister sich um etwas mehr kümmern sollte als um Gastwirte, Hoteliers, Metzger, Bäcker und Handwerker – oder um Landwirte, für die er ohnehin nicht zuständig war? Und warum hat man nicht auch die beiden anderen Minister der Freien Wähler, Thorsten Glauber (Umwelt) und Michael Piazolo (Kultus), etwas kritischer begleitet?

    Umgekehrt sitzt bei den Freien Wählern der Groll über die CSU tief. Aiwanger sprach nach der Wahl von "Demütigungen", die er habe hinnehmen müssen – etwa als es in der Corona-Hochphase um seinen eigenen Impfstatus ging und Söder ihn öffentlich an den Pranger gestellt habe. Nicht vergessen hat er auch den Spott, der aus der CSU über ihn hereinbrach, als er zu Beginn der Pandemie mal eben 90.000 Wischmopps bestellt hatte – auf Vorrat, wie ein "Prepper", man weiß ja nie.

    Und zuletzt das Schlimmste, die Flugblatt-Affäre. Nicht wenige Leute in den Reihen der Freien Wähler behaupten, dass Söder Aiwanger am liebsten aus dem Kabinett geworfen und dafür sogar einen Bruch der Koalition riskiert hätte. Der Versuch des CSU-Chefs, einen Keil in die geschlossene Front der Freien Wähler zu treiben, sei aber an der Solidarität mit Aiwanger in der FW-Landtagsfraktion gescheitert. Was an dieser Geschichte dran ist, wird sich vermutlich nicht endgültig klären lassen. Im Lager Söders wird sie ganz anders erzählt. Fakt aber ist: Sie wirkt nach.

    Die Freien Wähler erscheinen in der Denke der CSU als Wilderer

    In den ersten drei Tagen nach der Wahl am 8. Oktober, als die Protagonisten der "Bayern-Koalition" ihrem gegenseitigen Ärger freien Lauf ließen und sich wahlweise "mädchenhaftes" und "pubertäres" Verhalten nachsagten, kam schließlich ans Licht, worin – jenseits persönlicher Animositäten – das eigentliche Zerwürfnis zwischen Söder und Aiwanger besteht.

    Die Freien Wähler erscheinen in der Denke der CSU als Wilderer, die sich illegalerweise in ihrem Revier herumtreiben und dort eine Beute machen, die ihnen nicht zusteht. Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel hat es im Interview mit unserer Redaktion klar ausgesprochen: "Wir müssen die großen Themen wieder stärker besetzen und dürfen die Freien Wähler nicht länger in unserem Revier wildern lassen."

    Unser Revier? Eine Frechheit sei das, heißt es bei den Freien. In einer Demokratie könne keine Partei ein Revier für sich beanspruchen. Jede Partei habe das gleiche Recht, um Wählerinnen und Wähler zu werben. Die Freien seien kein lästiges Anhängsel der CSU und würden sich auch nicht länger so behandeln lassen.

    Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger auf der vieldiskutierten Demo gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung in Erding.
    Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger auf der vieldiskutierten Demo gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung in Erding. Foto: Matthias Balk, dpa (Archivbild)

    Als entscheidende Zäsur in der von Anbeginn komplizierten Beziehung zwischen Söder und Aiwanger darf im Rückblick ihr Auftritt bei der Demonstration am 10. Juni in Erding gelten. Sie wollten dort beide Flagge zeigen gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung. Söder erntete Buh-Rufe und Pfiffe. Aiwanger aber wurde gefeiert, als er forderte, die schweigende Mehrheit müsse sich "die Demokratie zurückholen". Dem CSU-Chef wurde plastisch vor Augen geführt, dass Aiwanger nicht wegen anderer Inhalte, sondern allein wegen seiner radikaleren Redeweise mehr Zustimmung bekommt.

    Nach der Wahl sollte das ein Nachspiel haben. Söder kündigte an, zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen ein Bekenntnis zur Demokratie von Aiwanger einzufordern. Die Freien Wähler hätten sich im Wahlkampf verändert. Da könne man nicht mal eben zur Tagesordnung übergehen. "Einfach Schwamm drüber reicht nicht aus", sagte Söder.

    Doch wenige Tage später sah es genauso aus. Mit einem Wisch sollte alles weg sein. Man habe sich verständigt, hieß es nach dem ersten Gespräch offiziell. Und im Hintergrund wurde abgewiegelt. Es sei halt unmittelbar nach der Wahl noch ein bisserl viel Adrenalin im Spiel gewesen. Jetzt habe sich der "Bierzeltdunst" verzogen und man werde wieder "normal" zusammenarbeiten. Entsprechend trivial und auf Harmonie bedacht fiel denn auch die viel diskutierte Präambel im Koalitionsvertrag aus.

    Ein drohender Unterton ist hier wie dort nicht zu überhören

    Wer genauer nachfragt, bekommt freilich anderes zu hören. Bei den Freien hat man sich vorgenommen, künftig "Augenhöhe" einzufordern. In der CSU zeigt man sich entschlossen, "die Unterschiede" stärker herauszuarbeiten. Ein drohender Unterton ist hier wie dort nicht zu überhören. Aber was das in der Praxis des Regierungshandelns genau bedeuten soll, ist längst noch nicht klar.

    Vor der Europawahl im Juni kommenden Jahres wird es in München erst einmal wieder um Landespolitik gehen. Bedeutende inhaltliche Unterschiede waren da in den vergangenen fünf Jahren nicht zu erkennen. Und die Frage, wie man koalitionsintern miteinander umgeht, dürfte die Wählerinnen und Wähler herzlich wenig interessieren. Die Schwelle zur öffentlichen Wahrnehmung wird in aller Regel erst überschritten, wenn die Fetzen fliegen. Auf dem Feld der Landespolitik kann sich die "Bayern-Koalition" das aber nicht leisten. Sie will schließlich das "Gegenmodell" zur notorisch uneinigen Bundesregierung sein.

    Schlägt also erst im Europawahlkampf die Stunde der Wahrheit? Die Vorzeichen für die CSU stehen bei dieser Europawahl denkbar schlecht, weil die Fallhöhe besonders groß sein könnte. Die letzte Europawahl im Jahr 2019 war die einzige Wahl, bei der die CSU unter dem Vorsitz von Söder zulegen konnte. Als Spitzenkandidat der europäischen Konservativen trat der niederbayerische CSU-Politiker Manfred Weber an. Mit der Aussicht, dass ein Bayer Präsident der EU-Kommission werden könnte, konnte die CSU damals in beachtlichem Umfang zusätzliche Wähler mobilisieren – vor allem im "Aiwanger-Land" Niederbayern. Entsprechend groß war die Enttäuschung, als danach der französische Präsident Emmanuel Macron Weber verhinderte. Die CSU stand vor ihren Wählerinnen und Wählern mit leeren Händen da. Dass sie 2024 in ähnlicher Weise wird mobilisieren können, ist somit nicht zu erwarten.

    CSU und Freie Wähler haben jede Menge Ärger hinter sich – und jede Menge Ärger vor sich

    Andererseits scheint so eine Europawahl wie gemacht für Aiwanger, der gerne gegen "die da oben" wettert. Die CSU gehört in seinen Bierzeltreden immer "oben" dazu. Schon im Landtagswahlkampf hat er ihr vorgeworfen, im EU-Parlament gegen Holz als nachhaltigen Brennstoff votiert zu haben. Und so geschmeidig er im Regierungsalltag jedem Streit mit der CSU auch aus dem Weg geht – im Wahlkampf wird er sich einmal mehr als Vorkämpfer für die Interessen einer angeblich benachteiligten Landbevölkerung präsentieren. Söder weiß das. Die spannende Frage wird sein, ob ihm eine wirksame Gegenstrategie einfällt – erst im Europa- und ein Jahr darauf im Bundestagswahlkampf.

    CSU und Freie Wähler haben jede Menge Ärger hinter sich. Und sie haben jede Menge Ärger vor sich. Das ist die schwere Hypothek, die auf dieser "Bayern-Koalition" und speziell auf ihren Protagonisten Aiwanger und Söder lastet. Ihre Geschichte muss, anders als die Sage von Siegfried und Hagen, kein dramatisches Ende nehmen. Aber möglich ist es.

    Und für alle, die nur den alten Film "Die Nibelungen" kennen, in dem Siegfried als strahlender Held erscheint und Hagen als finsterer Schurke: Es gibt auch ganz andere Lesarten. Bei Wolfgang Hohlbein zum Beispiel wird Siegfried zum Dämon und Hagen zum tragischen Helden, der tapfer kämpft, aber den Niedergang Burgunds nicht verhindern kann.

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