Hallo Herr Jürgens, wenn Sie heute an Ihren Vater denken, was fällt Ihnen zu ihm als Erstes ein?
JOHN JÜRGENS : Eine warme und weiche Hand, die meine hält. Da liegen wir gemeinsam auf der Couch, schauen einen alten Film mit Cary Grant an und reden darüber, wie cool die Leute damals gekleidet waren.
War er als Vater trotz seiner vielfältigen Verpflichtungen wirklich präsent?
JÜRGENS: Ja. Ich war oft bei ihm und habe ihn in Zürich besucht. Da haben wir dann Männerabende gemacht, waren schön essen. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Außerdem lege ich mein Augenmerk nicht darauf, wie viel Zeit ich nicht mit ihm verbracht habe. Und ich war ja auch viel unterwegs, als es bei mir mit dem Job als DJ losging, und er hat dann bisweilen angemerkt: „Dich sieht man ja gar nicht mehr.“ Doch im Grunde geht es nicht darum, was man vielleicht miteinander verpasst hat.
Am 30. September wäre Ihr Vater 90 Jahre alt geworden. Nun kommt ein neues Album mit seiner Musik auf den Markt. Darauf ist auch ein unbekannter Song mit dem Titel „Als ich fortging“. Wie kam es dazu?
JÜRGENS: Wir haben eine Geburtstags-Edition zu Udos 90. Geburtstag zusammengestellt: „udo 90“. Dafür haben wir aus fast 550 weltweit erschienenen Singles 90 ausgewählt. Der Album-Titel „udo 90“ ist eine Reminiszenz an die legendären Tourneen und Alben‚ wie Udo 70‘ oder Udo 80‘. Wichtig war uns, ein Bild seines musikalischen Schaffens der letzten sechs Jahrzehnte zu zeichnen. Es sollte auch keine Lieblingszusammenstellung meiner Schwester oder von mir werden. Es sind heitere Lieder, nachdenkliche, es sind Liebeslieder und Balladen – und natürlich auch politisch motivierte, sozialkritische Stücke. Und dann haben wir noch ein neues Lied entdeckt: „Als ich fortging“.
Im Gegensatz zu vielen posthumen Veröffentlichungen ist dieser Song kein Stück von der musikalischen Resterampe, sondern ein wunderbares und typisches Udo-Jürgens-Stück aus dem Jahr 1985. Warum ist es eigentlich nie veröffentlicht worden?
JÜRGENS: Das ist eine gute Frage. Ich habe bei der Recherche mit vielen Leuten gesprochen. Der Texter des Liedes, Michael Kunze, hat mir dann gesagt, es sollte ursprünglich auf das Album „Treibjagd“, hätte aber konzeptionell nicht reingepasst. Denn „Treibjagd“ war relativ rockig, da hätte dieses Stück wie ein Exot gewirkt. Aber das ist oft so als Künstler, man hat immer ein paar Songs mehr parat, als notwendig sind.
Wie stießen Sie auf das Lied?
JÜRGENS : Der Song ist damals in einer Schublade im Archiv gelandet. Der Archivar fand ihn beim Aufräumen. Er hat ihn an die Plattenfirma gegeben, die ihn an uns weiterreichte. Dann haben wir uns alle zusammengesetzt und das Lied angehört. Wir wussten sofort, das ist etwas Besonderes und hatten alle Tränen in den Augen. Auch der Titel „Als ich fortging“ mit Papas Stimme, das war schon etwas ganz Spezielles .
Wie ging es weiter?
JÜRGENS: Wir haben damals vor eineinhalb Jahren überlegt, das Album mit ausgewählten Stücken zu machen und diesen Song als Bonustrack dazu. Dann haben wir uns auf die Suche nach einem Produzenten gemacht, denn das Lied musste neu aufgenommen werden. Dabei stießen wir auf den Schlagzeuger Curt Cress, dessen Arbeit ich sehr schätze. Der hat schon mit Freddy Mercury, Falco und Nena gespielt. Wir hatten ein langes Gespräch, dabei erzählte er mir, dass er auch mit Udo im Studio war. Das Irre daran ist: Auf der B-Seite dieses Albums ist „Ich war noch niemals in New York“ darauf. Dieses reduzierte Schlagzeug am Anfang – das ist Curt Cress. Ich dachte mir: Was für eine Geschichte ist das denn? So cool!
Und Cress hat den Song jetzt neu produziert?
JÜRGENS: Genau. Wir hatten Udos Stimmspur vom Rest getrennt. Cress hat mit Musikern aus aller Welt den Song komplett neu produziert. Lustigerweise hat er dann, obwohl selbst Schlagzeuger ist, bewusst aufs Schlagzeug verzichtet.
Das war klug. Denn man hätte den Song zwar weiter aufpumpen können, aber dann hätte er nicht diese berührende Wirkung.
JÜRGENS : Ja, Cress hat gesagt, das Lied muss ganz bei Udo bleiben. Es sollte auch kein irre virtuoser Jazzpianist rein oder so etwas. Nein, Udos Stimme sollte in der Produktion wie immer weit nach vorne gerückt werden, so dass man den Text gut versteht. Das hat er sensationell gemacht.
Das ist auch für den Zuhörer nicht zu erwarten gewesen. Man denkt zuerst, jetzt wollen Sie mit einer alten, staubigen Nummer noch mal Geld machen, aber so ist es wohl nicht.
JÜRGENS : Das würden wir nie machen! Jenny und ich sind immer unter der Prämisse unterwegs: Was würde Udo dazu sagen?
Sind in den nächsten Jahren noch weitere neue Songs zu erwarten?
JÜRGENS : Ich weiß nicht. Irgendwann ist das mit den Best-of-Alben erschöpft. Neue alte Lieder gibt es zwar, aber bei denen hatte es schon einen Grund, warum sie nicht veröffentlicht wurden. Die waren schlichtweg nicht stark genug.
Das hält viele Erben nicht davon ab, sie auf den Markt zu werfen.
JÜRGENS : Das mag sein. Aber bei uns muss es wirklich passen. Wenn Stücke nicht gut sind, dann verzichten wir darauf. Bei Udo gibt es aber wohl noch Songs, die noch nicht digital veröffentlicht sind. Die könnte man digital noch veröffentlichen.
Sie selbst arbeiten erfolgreich als DJ John Munich, bieten also auch Musik an. Gab es auch mal den Moment, an dem Sie Sänger oder Pianist werden wollten?
JÜRGENS : Nein, sonst hätte ich ganz früh damit anfangen müssen. Ich habe zwar auch Klavier gespielt, aber meine Kinder sind heute schon besser als ich. Mir lag mehr an der Schauspielerei, vielleicht hängt das – ohne despektierlich zu sein – auch mit dem Thema Übervater zusammen. Es muss in einem ein ganz großes Feuer für die Musik lodern, dass man so eine Karriere wie Udo hinlegen kann. Und selbst dann ist es jedoch sehr schwer, insbesondere als Sohn eines Stars. Bei mir war dieses Feuer nicht so ausgeprägt. Ich liebe es aber bis heute, als DJ zu arbeiten, was ebenfalls äußerst anspruchsvoll ist.
Die Verwaltung von Udo Jürgens Erbe – hat die auch eine belastende Seite?
JÜRGENS : Ich will nicht von Belastung sprechen. Aber ich habe in den Nachlasskisten all die Tonbänder gefunden, auf denen er ab den 90er Jahren seine Ideenskizzen aufgenommen hat. Ich habe sie mir angehört und digitalisiert, weil ich nicht weiß, ob man die Bänder in zehn bis 15 Jahren noch abspielen kann. Da höre ich Papa dann wochen- und monatelang beim Singen und Klavierspielen zu. Das ist einerseits schön, aber andererseits stößt man dabei auch immer mal wieder an das Gefühl: Ich brauche eine Pause.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Udo Jürgens auch zehn Jahre nach seinem Tod noch immer unvergessen ist?
JÜRGENS : Es ist seine authentische Persönlichkeit und seine unvergesslichen Lieder. Er war jemand, der kritisch war, sich auch eingemischt hat und seine Meinung gesagt hat. Und er war immer cool mit den Fans. Ich habe nie gehört, dass Papa arrogant war. Er hat verstanden, dass sie die Butter auf seinem Brot sind. Wenn man sich heute die Kommentare anschaut, die unter den Posts in den sozialen Medien stehen, dann ahnt man, was der Mann bewegt hat. Seine Musik und die Texte sprechen sowieso für sich.
Zur Person: John Jürgens ist Schauspieler und DJ und der Sohn von Udo Jürgens, der in diesem Jahr 90 geworden wäre.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden