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Söders Dauerkritik an den Grünen: eine erfolgreiche Strategie?

Interview

Experte: „Die CSU bedient einen Kulturkampf, der gegen die Grünen geführt wird“

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    Kaum ein Tag, an dem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (rechts) nicht die Grünen attackiert. Seine Kritik richtet sich derzeit hauptsächlich gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.
    Kaum ein Tag, an dem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (rechts) nicht die Grünen attackiert. Seine Kritik richtet sich derzeit hauptsächlich gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Foto: Tobias Hase, dpa (Archivbild)

    Herr Jungherr, wie anständig geht es in der Politik zu?
    PROFESSOR ANDREAS JUNGHERR: In der Politik geht es genauso anständig oder unanständig zu wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Es geht in der Politik aber um Macht und Gestaltungsmöglichkeiten, teilweise um ganze Lebensentwürfe – insofern ist jede und jeder Beteiligte daran interessiert, das Mögliche herauszuholen. Wie anständig man miteinander umgeht, hängt schließlich auch davon ab, wie sehr die eigenen Unterstützer oder die Öffentlichkeit das einfordern.

    Nach dem Rücktritt des Grünen-Bundesvorstands schrieb Danyal Bayaz, grüner Finanzminister in Baden-Württemberg und Mann der bayerischen Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze, kürzlich auf X: „Ein Tag des Rücktritts ist immer auch ein Charakter- und Anstandstest unter Demokraten. Den heutigen haben nicht alle bestanden.“
    JUNGHERR: Diese Äußerung ist letztlich als ein Element des politischen Wettbewerbs zu verstehen. Wie die Äußerung, auf die er wahrscheinlich Bezug nahm ...

    CSU-Ministerpräsident Markus Söder bezeichnete die zurückgetretenen Spitzen-Grünen Ricarda Lang und Omid Nouripour als „Bauernopfer“ und forderte sogleich den nächsten Rücktritt – den des grünen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck.
    JUNGHERR: Aus meiner Sicht erleben wir hier einen Kampf um die Deutungshoheit. Bayaz benutzt mit „Anstand“ einen moralisch aufgeladenen Begriff. Söders Aussage wird so zur Normverletzung. Das ist in den vergangenen Jahren häufig zu beobachten gewesen, über Parteigrenzen hinweg: Schnell wird jemand zum Beispiel als „Populist“ gescholten, schnell ist von „Fake News“ die Rede. Und das verschiebt die Aufmerksamkeit. Kritisiert wird vordergründig ein angeblicher Verstoß gegen eine Norm – mit einer Sache oder Aussage muss man sich dann nämlich nicht mehr auseinandersetzen.

    Söders Reaktion wurde vielfach als Nachtreten empfunden.
    JUNGHERR: Ich halte sie nicht für eine Grenzüberschreitung, sondern eher für ein parteistrategisch legitimes Manöver. Söder versucht, dem Rücktritt eine andere Deutung zu geben: Lasst uns über Robert Habeck sprechen! Aus CSU-Sicht ist das der eigentlich Verantwortliche für eine verfehlte Politik – wie dem Heizungsgesetz. Habeck wird auch ein Wettbewerber der Union im Bundestagswahlkampf sein. Darauf bereitet sich die Partei offensichtlich bereits jetzt vor.

    Kaum ein Tag vergeht, an dem Söder die Grünen nicht heftig kritisiert und eine Koalition ausschließt.
    JUNGHERR: Man kann darüber streiten, wie clever das strategisch ist. Es fragt sich ja schon, mit wem die Union nach einer gewonnenen Bundestagswahl im nächsten Jahr koalieren will. Und wie sie es ihren Wählerinnen und Wählern erklären will, dass die Grünen gegebenenfalls doch gebraucht werden. Man kann auch diskutieren, wie gelungen die verwendete Wortwahl im Einzelnen ist. Es kann aber sein, dass hier der CSU beim Versuch, die AfD zu kontern, ein Fehler unterläuft.

    Die CSU kopiert den Populismus der AfD?
    JUNGHERR: Nein, das will ich nicht sagen. Aber auch die CSU bedient einen Kulturkampf, der gerade gegen die Grünen geführt wird. Das ist aus strategischer Sicht allerdings riskant: Es ist noch nicht lange her, dass Söder Bäume umarmte. Hinzu kommt, dass sich die Unionsparteien in den vergangenen Jahren durchaus erfolgreich in wertliberalen, in großstädtischen Milieus etabliert haben, die dieser alte Unions-Ton wieder entfremdet. Unter CDU-Kanzlerin Angela Merkel und Markus Söder öffnete sich die Union und wurde für mehr Leute wählbar. Je härter man nun wieder nach rechts blinkt, desto stärker verschreckt man diese Wählergruppen – und gewinnt gleichzeitig keine neuen hinzu.

    Man verhindert auf diese Weise – mit harten Tönen und einer strikteren Migrationspolitik – nicht, dass Menschen zur AfD wechseln?
    JUNGHERR: Natürlich muss die Union wertkonservativen Wählern ein Angebot machen, die mit der aktuellen Politik nicht zufrieden sind. Gleichzeitig muss sie den Spagat schaffen, Probleme anzusprechen, ohne dabei in denselben apokalyptischen, systemkritischen und kompromisslosen Ton der Extremisten zu fallen. Denn wenn ich das System als Problem sehe, dann wähle ich eben auch nicht die Union. Man kann also nicht nur poltern, sondern muss handwerklich umsetzbare Lösungen anbieten.

    Es heißt immer: Im Wahlkampf oder beim Politischen Aschermittwoch gehe es eben zur Sache, Politikerinnen und Politiker müssten das aushalten. Ist dem so?
    JUNGHERR: Bleiben wir bei der CSU und den Grünen. Wenn man suggeriert, die Grünen gehörten nicht zu Bayern, dann ist das jedenfalls eine viel gefährlichere Aussage als die mit den „Bauernopfern“.

    Markus Söder sagte beim Frühschoppen am Gillamoos: „Die Grünen passen mit ihrem Weltbild nicht zu Bayern“. Er sagte auch mal, die Grünen hätten kein „Bayern-Gen“.
    JUNGHERR: Wenn politische Eliten aktiv ausgrenzend und abwertend kommunizieren, sehen einige Menschen das als Erlaubnis, das auch in ihrem Alltag so umzusetzen. Das kann negative Folgen haben. Wir beobachten es auf kommunaler Ebene, auf der sich viele ehrenamtlich politisch engagieren. Auch sie werden zum Ziel dieser Art von Rhetorik, bisweilen von verbaler und körperlicher Gewalt.

    Heißt?
    JUNGHERR: Spitzenpolitiker müssen auf ihren Ton achten. Dennoch muss man genau unterscheiden zwischen legitimer Zuspitzung und tatsächlichen Grenzverletzungen. Die Grenze ist dann überschritten, wenn politischer Wettbewerb zum Kampf umgedeutet wird, wie das etwa AfD-Politiker Alexander Gauland tat, als er sagte, man werde „Frau Merkel ... jagen“. So etwas ist brandgefährlich.

    Früher ging es auch zur Sache. Denken Sie nur an SPD-Legende Herbert Wehner oder CSU-Ikone Franz Josef Strauß …
    JUNGHERR: Was den Umgang miteinander in der Politik betrifft, erleben wir nichts völlig Neues, das stimmt. Aber die Qualität ist eine andere – in einer aufgeladenen, krisenhaften Zeit, in der vom Verfassungsschutz als gesichert extremistisch eingestufte AfD-Landesverbände in Parlamenten sind. Da kann man von Spitzenpolitikern auch entsprechende Ernsthaftigkeit erwarten. Und das heißt, dass man bei allem Streit um die Sache nicht fahrlässig gegen demokratische Mitwerber zündelt.

    Gab es früher eigentlich mehr Rücktritte?
    JUNGHERR: Grundsätzlich tritt niemand freiwillig zurück. Ich glaube, es wird immer gefährlich für Spitzenpolitiker, wenn nicht nur die andere Seite ihren Rücktritt fordert, sondern wenn auch die eigenen Leute dies tun. Und das hängt eben immer von der Stärke und Neuigkeit des gefühlten Normverstoßes oder Fehlers ab, aber auch von der aktuellen politischen Wettbewerbssituation. Wenn eine Partei glaubt, von einem Kandidaten abhängig zu sein, wird ihm viel vergeben, siehe die US-Republikaner und Donald Trump.

    Hätte Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger von den Freien Wählern im vergangenen Jahr zurücktreten müssen? Er überstand die sogenannte Flugblatt-Affäre um eine antisemitische Hetzschrift, die zu seiner Schulzeit in seiner Schultasche war. Es wurde der Verdacht geäußert, er sei der Verfasser gewesen.
    JUNGHERR: Der Anlass war sicher stark genug, dass ein Rücktritt nicht überraschend gewesen wäre. Letztlich aber geht es bei Politikern um die Fragen: Wie bereit ist die Partei noch, jemanden zu tragen? Gibt es einen Mitbewerber, der jemanden verdrängen möchte? Und: Was sagen die Umfragen?

    Professor Andreas Jungherr sagt: „Spitzenpolitiker müssen auf ihren Ton achten.“
    Professor Andreas Jungherr sagt: „Spitzenpolitiker müssen auf ihren Ton achten.“ Foto: Benjamin Herges/Uni Bamberg

    Zur Person

    Andreas Jungherr, 1981 in Frankfurt am Main geboren, ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft, insbesondere Digitale Transformation an der Universität Bamberg. Er ist Experte für Politische Kommunikation und Wahlkämpfe.

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