In den vergangenen Monaten hat Tobias Rohrer jede zweite Woche auf der Arbeit gefehlt. Seinem Chef war das egal – genau genommen war er sogar verantwortlich dafür. Rohrer arbeitet als Zerspanungsmechaniker bei MAN Energy Solutions in Augsburg. Mitte September nimmt er bei der Weltmeisterschaft der Berufe in Lyon teil. Seine Disziplin: CNC-Fräsen, also computergestütztes Fräsen. Auf das Turnier bereitet sich der 20-Jährige seit einigen Monaten vor. Trainingslager, könnte man sagen.
Bei den WorldSkills, wie die WM der Berufe offiziell heißt, treten alle zwei Jahre Fachkräfte aus insgesamt knapp 60 Disziplinen gegeneinander an. Floristinnen und Fliesenleger, Konditorinnen und Kfz-Mechatroniker. Und eben Fräser. Aber wie darf man sich das vorstellen? 500 Meter Freistil im Fräsen?
Mit dem Begriff können einige nicht viel anfangen, erzählt Rohrer. „Jeder hat mal ein gefrästes Teil in der Hand, aber viele können sich nicht vorstellen, wie die Arbeit ausschaut“, erzählt der Mann aus Wehringen im Kreis Augsburg, während er durch die Werkshalle läuft. Vereinfacht erklärt, bearbeitet Rohrer Metallteile, die dann in Motoren von Schiffen oder Kraftwerken verbaut werden. Rohrer sucht die passenden Werkzeuge für das Bauteil heraus, baut die Vorrichtung für das Werkstück auf und programmiert die Fräsmaschine.
Bei der WM der Berufe sind die Teile deutlich komplexer
Wie er das alles macht, muss er selbst überlegen. Er hat lediglich eine Zeichnung, wie das Teil am Ende aussehen soll. Oft sei diese „ziemlich komplex. Man muss darauf achten, dass nichts kaputtgeht und alles die geforderte Genauigkeit hat“, erklärt er. Die größte Herausforderung sei das breite Spektrum der Teile. Jedes Mal muss Rohrer nachdenken: „Wie gehe ich heran, dass das Teil am Ende so ausschaut wie auf der Zeichnung?“ Die Abwechslung gefällt ihm.
Nun könnte man meinen, dass Rohrer durch seine Arbeit gut auf die WM in Lyon vorbereitet wird. Er schüttelt den Kopf. Bei Wettkämpfen müssen die Teilnehmenden deutlich komplexere Teile fertigen. Rohrer hat schon einen Doppeldeckerflieger hergestellt oder eine Lkw-Brücke. Das Ganze dauert bis zu sieben Stunden. „Das hat relativ wenig mit meiner Arbeit zu tun“, sagt Rohrer. „Dort sind die Teile deutlich simpler.“
Letztes Jahr wurde Tobias Rohrer Deutscher Meister im Fräsen
Dass es eine WM der Berufe überhaupt gibt, wusste er lange gar nicht. Sein Fertigungsleiter kam eines Tages auf ihn zu und fragte ihn, ob er Lust hätte, bei der deutschen Meisterschaft für MAN anzutreten. Dort hatte das Unternehmen länger nicht mitgemacht. Rohrer sagte zu – und sicherte sich im vergangenen Sommer den Titel. Der qualifizierte ihn zugleich für die WM. Seine Erfolgstaktik? Präzision. „Andere waren schneller, aber nicht genauer als ich“, sagt Rohrer. Wäre er ein Fußballer, er wäre eher Toni Kroos als Leroy Sané.
Auf Genauigkeit wird es auch im September in Lyon wieder ankommen. Die Maßtoleranz bei der WM liegt bei 0,02 Millimetern. Drei Modelle müssen die Teilnehmenden fertigen. Dafür erhalten sie eine Skizze und das Rohmaterial: Stahl oder Aluminium. Zunächst dürfen sich die Teilnehmenden mit ihrem Experten absprechen. Taktikbesprechung. Bei Rohrer ist dieser Experte ein erfahrener Zerspanungsmechaniker des Maschinenbauunternehmens Chiron. Das vorgegebene Modell müssen die Teilnehmenden anschließend so genau wie möglich anfertigen. Über die Punkte entscheidet am Ende eine Messmaschine. Aber auch die Optik fließt in die Bewertung mit ein. Der Teilnehmer mit den meisten Punkten ist Weltmeister.
Rohrer hat auch abseits vom Wettkampf ein Ziel für die WM
Rund 1400 Teilnehmer gehen an den Start, aus über 70 Ländern. Die anderen aus der deutschen Nationalmannschaft, wie Rohrer seine Mitstreiter nennt, hat er bei zwei Treffen schon kennengelernt. Aus Schwaben ist neben ihm noch Steinmetz Michael Neumann aus Kaufbeuren am Start. Und was ist Rohrers Ziel? Will er sich zum WM-Titel fräsen? Rohrer würde gerne eine Exzellenzmedaille um den Hals gehängt bekommen. Die gibt es, wenn man 700 von den 800 möglichen Punkten holt. „Ein realistisches Ziel“, findet er. Und, schiebt er dann noch nach, er würde gerne bester Europäer werden.
Seine Nervosität halte sich noch in Grenzen. Aber sie steigt, je näher der Wettbewerb kommt. Abseits vom Wettkampf sei die WM eine gute Gelegenheit, um Ausbildungsberufe zu präsentieren, findet Rohrer. „Ich möchte zeigen, dass eine Ausbildung nichts Minderwertiges ist, sondern nur eine andere Art der Qualifikation“, sagt Rohrer. Oft würde eine Ausbildung im Vergleich zum Studium noch immer belächelt.
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