Herr Professor Heinemann, Sie sind der neue Präsident der Bayerischen Krebsgesellschaft. Prävention und Vorsorge zählen zu Ihren Schwerpunkten – in Bayern haben Sie da viel zu tun, denn wie die Barmer meldet, ist Bayern ein Land der Vorsorgemuffel...
PROFESSOR DR. VOLKER HEINEMANN: Ja, die Wirksamkeit der Vorsorgeuntersuchungen gerade auch zur Krebsfrüherkennung wird in Bayern leider deutlich unterschätzt und die Angebote werden nicht ausreichend angenommen.
Woran liegt das?
HEINEMANN: Es gibt da sicher immer noch große Wissenslücken. Und hier sehe ich auch die Bayerische Krebsgesellschaft gefordert, noch mehr über Vorsorgeangebote zu informieren. Aber natürlich ist es vor allem auch die Angst, dass bei so einer Vorsorgeuntersuchung ein Tumor entdeckt werden könnte und die Erkrankung dann mein Alltagsleben einschränkt. Das Thema will man lieber verdrängen, das ist ja auch zutiefst menschlich. Männer können hier im Übrigen viel besser verdrängen als Frauen.
Aber wie wirksam sind denn überhaupt Krebsfrüherkennungsuntersuchungen?
HEINEMANN: Wir haben hier gerade in zwei Bereichen wirklich überzeugende Daten, die belegen, dass Früherkennung die Sterblichkeit deutlich senkt: Das ist zum einen das Mammographie-Screening. Hier konnte seit der Einführung im Jahr 2005 gezeigt werden, dass die Zahl der fortgeschrittenen Tumorerkrankungen massiv zurück gegangen und damit auch die Sterblichkeit für Brustkrebs gesunken ist. Aber auch mit der Koloskopie, also der Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchung, die seit 2002 regelmäßig angeboten wird, konnte eine deutliche Senkung der Darmkrebsinzidenz erreicht werden. Laut einer deutschen Studie führte dies zu einem erheblichen Rückgang der altersstandardisierten Sterblichkeit an Darmkrebs: bei Männern um 21 Prozent, bei Frauen sogar um 26 Prozent. Impliziert ist hier auch der großen Vorteil der Koloskopie, dass Polypen, die das Potenzial für eine Entartung haben, gleich frühzeitig entfernt werden können.
Bei der Mammographie hört man immer wieder, dass ein Ultraschall der Brust, der ohne Strahlung auskommt, noch genauer sei. Stimmt das?
HEINEMANN: Hier gibt es klare Empfehlungen: Ein Ultraschall wird nur als ergänzende Untersuchung bei einem unklaren Mammographie-Ergebnis angeraten. Zur Früherkennung bei Brustkrebs hat sich die Mammographie bewährt.
Frauen, ab 35 Jahren, die jährlich zur Krebsvorsorge zum Frauenarzt gehen, müssen beispielsweise den so genannten Pap-Abstrich, die Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs, selbst bezahlen, er wird dann nur noch alle drei Jahre von der Kasse übernommen, ist das nicht kontraproduktiv?
HEINEMANN: Die vorgegebenen Leitlinien für die Vorsorge richten sich grundsätzlich nach zwei Gesichtspunkten: Sie müssen medizinisch sinnvoll und an das Risiko der Erkrankung angepasst sein. Im Regelfall sollte also das durch die Leitlinie vorgegebene Intervall der Vorsorgeuntersuchungen eingehalten werden. Besteht aber eine konkrete Risikokonstellation, so muss das kürzere Untersuchungsintervall durch den Arzt begründet werden. Eine nicht leitlinienkonforme Verkürzung des Untersuchungsintervalls steigert nicht allein die Kosten, sondern beinhaltet auch die untersuchungsbedingte Beunruhigung der Betroffenen.
Eine Früherkennungsuntersuchung schützt allerdings ja nicht vor einer Erkrankung: Oft erklären Tumorpatienten, dass sie stets bei der Vorsorge waren, und dennoch schwer krank wurden...
HEINEMANN: Das hören auch wir Ärzte oft, dass Patienten immer bei der Vorsorge waren und verzweifelt sind, dass sie dennoch krank wurden. Nicht wenige sagen dann, da wurde nicht richtig geschaut. Hier muss aber auch betont werden: Eine Vorsorgeuntersuchung schützt nicht notwendig vor der Entwicklung einer Tumorerkrankung, sie deckt diese nur früher auf. Und jede Vorsorgeuntersuchung ist eine Momentaufnahme. War jemand immer bei den Vorsorgeuntersuchungen und wurde dennoch krank, dann war der Tumor in aller Regel damals noch nicht sichtbar. Das ist tragisch, muss aber leider akzeptiert werden. Ganz entscheidend ist allerdings: Mit einer frühen Diagnose steigen die Heilungschancen erheblich. Die moderne Medizin macht hier enorme Fortschritte und je früher ein Tumor erkannt wird, desto besser lässt er sich behandeln und Patienten können ganz geheilt werden. In einem frühen Stadium kann ein Tumor oft auch besser entfernt werden. Dies gilt im Einzelfall sogar auch für frühe Stadien einer metastasierten Erkrankung. So kann es zum Beispiel bei Darmkrebs mit einer begrenzten Metastasierung in die Leber gelingen, die Erkrankung durch einen chirurgischen Eingriff zu heilen. Das heißt: Gerade mit der Früherkennung kann die moderne Medizin mit ihren breit gefächerten Behandlungsmöglichkeiten so zum Einsatz gebracht werden, damit Menschen wieder ganz gesund werden. Den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen, ich will von dem Thema erst gar nichts wissen, ist also wirklich keine gute Strategie.
Zu welchen Vorsorge-Maßnahmen raten Sie noch?
HEINEMANN: Eine hoch effektive Vorsorge, die aber in Deutschland leider noch viel zu wenig in Anspruch genommen wird, ist die Impfung gegen Krebs. Gerade die Impfung gegen Humane Papillomviren, kurz HPV, die Mädchen und Buben im Alter zwischen neun und 14 Jahren empfohlen wird und von der Kasse auch bezahlt wird, ist so wichtig. Sie senkt das Risiko für Gebärmutterhalskrebs ganz erheblich. Aber auch eine Impfung gegen das Hepatitis B-Virus ist zu empfehlen, da sie das Risiko für eine Leberkrebserkrankung nachweisbar verringert.
Zur Prävention zählen viele Expertinnen und Experten auch den Lebensstil – lässt sich mit ihm wirklich das Krebsrisiko senken?
HEINEMANN: Hier gibt es mittlerweile sehr gute Daten, die klar belegen, dass sich mit dem Lebensstil die Häufigkeit von Tumorerkrankungen reduzieren lässt. Man geht davon aus, dass sich die Zahl um mindestens ein Drittel, das Deutsche Krebsforschungszentrum spricht sogar von bis zu 40 Prozent, senken lässt. Zu den wirksamsten Punkten zählen: Nicht Rauchen, kein übermäßiger Alkoholkonsum, eine ausgewogene Ernährung, viel Bewegung und kein Sonnenbaden. Gerade bei der Sonnenexposition müssten wir schon in der Kita beginnen und für ausreichende Sonnenschutzmaßnahmen sorgen. Hier hat auch die Bayerische Krebsgesellschaft ein Projekt gestartet, damit der Schutz der Kinder vor Hautkrebs möglichst flächendeckend erfolgt. An die Erwachsenen kann ich hier nur appellieren, die Früherkennungsangebote für Hautkrebs wahrzunehmen – dies geschieht leider auch viel zu wenig.
Oft hört man auch von verdeckten Krebsrisiken, welche zählen sie aktuell dazu?
HEINEMANN: Wir beobachten vor allem eine deutliche Zunahme von übergewichtigen Menschen, das ist ein Riesenthema. Denn Übergewicht ist ein Risikofaktor für Krebserkrankungen – aber auch für andere schwere, chronische Erkrankungen. Vor allem auch Kinder und Jugendliche sind zunehmend übergewichtig. Das Thema hat ja auch bereits die Politik aufgegriffen, dennoch passiert hier zu wenig. Beispielsweise werden Süßigkeiten in Supermärkten noch immer viel zu offensiv angeboten. Hier haben wir dringenden Handlungsbedarf. Bei dem Thema erkennt man natürlich auch: Wir sind eine sitzende Gesellschaft, was aber gleich den nächsten, großen Risikofaktor verstärkt: den Bewegungsmangel. Übergewicht gekoppelt mit Bewegungsmangel stellt ein konkretes Risiko für Krebserkrankungen dar.
Zur Person
Professor Dr. Volker Heinemann, 67, ist seit 2010 Direktor des Comprehensive Cancer Center München (CCCM) am LMU Klinikum München, das zum Netzwerk der 14 onkologischen Spitzenzentren in Deutschland zählt. Der Internist und Onkologe ist außerdem der neue Präsident der Bayerischen Krebsgesellschaft.
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